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Visionen für die Gesellschaft
Neue Zürcher Zeitung

Zwei neue Schulbauten von Morphosis in Los Angeles

In der Weiträumigkeit von Los Angeles zu bauen, ist für Architekten eine zwiespältige Erfahrung. Ausser Freeways, Küstenlinien, Bergen und Wolkenkratzern in einem Meer von Einfamilienhäusern gibt es hier kaum Anhaltspunkte. Dennoch haben für Thom Mayne vom Büro Morphosis städtebauliche Fragestellungen einen besonderen Stellenwert. Seinen jüngsten Bauten - zwei Schulhäusern - liegen auch soziale Überlegungen zugrunde.

7. Juli 2000 - Margit Ulama
Unbelastet von Traditionen und begünstigt durch die klimatischen Verhältnisse kann sich die Architektur in Los Angeles freier als anderswo entwickeln. Gleichzeitig fehlt die Folie einer im weitesten Sinn als Stadt definierten Textur. Dennoch haben für Thom Mayne vom Büro Morphosis städtebauliche Fragestellungen einen besonderen Stellenwert. Dem öffentlichen Raum wird eine zentrale Bedeutung eingeräumt. Mayne, der gerne das Image des Künstlerarchitekten in den Vordergrund rückt, legt seinen oft expressiven Bauten auch soziale Überlegungen zugrunde. Manchmal tragen seine Projekte sogar pragmatische Züge.


Entwurfsmethodik

Das Architekturbüro Morphosis stellt gegenwärtig neben dem Atelier von Frank Gehry das international renommierteste Architekturlabor in der bunten Szene von Los Angeles dar. Nach der Aufkündigung der Zusammenarbeit mit Michael Rotondi Anfang der neunziger Jahre wird heute Thom Mayne mit Morphosis identifiziert. Gleichwohl betont dieser die egalitäre und kollektive Form der Zusammenarbeit. Aber Mayne ist die führende Figur, die sich theoretisch äussert und die Richtung vorgibt. Lange Zeit bildete für ihn der Umbau seines eigenen Wohnhauses in Santa Monica ein reiches Experimentierfeld. Wenn er im Inneren einer bestehenden Hülle mit Fragmenten von Stützen, Balken, Wänden oder auch einer Treppe spielte und dabei eine eindrückliche Wohnatmosphäre schuf, so illustriert dieser Ansatz die Entwurfsmethodik vieler Projekte grösseren Massstabs. Das Aufsplitten eines Hauses in Grundelemente und anschliessend das Zusammensetzen aus fragmentierten Einzelteilen bildete über viele Jahre eine entwerferische Leitidee.

Im letzten Jahr stellte das Büro in Los Angeles zwei Schulbauten fertig, die sich von dieser Strategie der komplexen Collage aus heterogenen Elementen distanzieren. Sowohl die International Elementary School in Long Beach als auch die Diamond Ranch High School in Pomona entstanden in Zusammenarbeit mit Thomas Blurock Architects. Als öffentliche Schulen in einer vom Privatsektor dominierten Stadt kommt ihnen besondere Bedeutung zu. Mayne ist sich dessen bewusst und hofft auf eine Vorbildwirkung. So unterschiedlich die beiden Projekte in ihrer Erscheinung sind, so schaffen doch beide spezifische Freiräume, die im Kontext der Stadt eine besondere soziale Funktion übernehmen.

Im weiten Stadtgebiet von Long Beach wirkt die International Elementary School auf den ersten Blick beinahe enttäuschend zurückhaltend. Der Gebäudekomplex erhebt sich über einem rechteckigen Grundriss. Man nimmt ganz einfach Fassaden mit einer dezenten Farbgebung wahr. Erst bei genauerer Betrachtung bemerkt man eine für Morphosis durchaus typische skulpturale Durchformung. An einer der Hauptseiten verschränken sich zwei unterschiedlich geneigte Wände, eine davon kippt die Fensteröffnungen gleichsam nach vorne. Eine Auflösung des kohärenten Baukörpers ist hier zwar angedeutet; in anderen Entwürfen wird sie hingegen viel weiter getrieben. Gleich um die Ecke kragt aus einer blauen Fassadenfläche ein Balkon, dessen scheinbar überdimensionierte, violette Balken und Stützen ein zeichenhaftes Element entstehen lassen. Dieses Spiel mit konstruktiven Teilen, deren eigentliche Funktion in den Hintergrund tritt, findet man bei Morphosis, aber auch bei anderen Architekten in Los Angeles, immer wieder. Die Elemente werden kraftvoll inszeniert und spielen mit einer vagen Symbolik.

Doch in Long Beach sind diese wiederkehrenden Themen nur angedeutet. Der Bau dient in erster Linie seiner Funktion, die Accessoires wirken höchstens auflockernd, aber auch identitätsstiftend. Die Klassenzimmer sind einfach rechteckige Räume, die über zum Teil offene Gänge erschlossen werden. Im Inneren des Komplexes fallen schliesslich die grosszügigen Freiflächen auf, die auf unterschiedlichen Niveaus als Sportareal oder als Schulhof dienen. Die eigentliche räumliche Definition übernimmt an den Aussenkanten ein hochgestelztes, nach innen geneigtes und schliesslich geknicktes Lochblech, das sich dann über dem Eingangsbereich weiter entwickelt. Gestützt von einem filigranen Gestänge, oszilliert es zwischen Transparenz und Opazität, zwischen räumlichem Abschluss und Offenheit. Auch dieses durchscheinende Material kennt man von anderen Projekten, vom Hypo-Alpe-Adria-Zentrum in Klagenfurt oder vom Sun Tower in Seoul, wo es sich grossflächig bis in luftige Höhen faltet.

Ganz anders präsentiert sich die Diamond Ranch High School ganz im Osten des Grossraums Los Angeles. Die Santa Ana Mountains erstrecken sich hier von Südosten her weit ins Stadtgebiet hinein. In Diamond Bar, zwischen grünen Hügeln, vergisst man, dass man eben erst den Pomona Freeway verlassen hat. Die Parkplätze - im Moment riesige freie Asphaltflächen - bildeten ebenso wie die Sportflächen zentrale Entwurfselemente. Sie sind in der Grundfläche um vieles grösser als der eigentliche Bau. Doch die Topographie weit oben am Hügel erwies sich als günstig. Die Flächen wurden, den Höhenlinien folgend, um den Schulbau gruppiert und fügen sich als grosse Terrassen ins Gelände.

Die Architektur selbst präsentiert sich auffälliger. Anders als bei früheren Entwürfen entstand hier ein skulpturales Gebilde von grösserer Einheitlichkeit. Vom Parkplatz sieht man zwei Baukörper, von denen Teile hoch in die Luft greifen, sich annähern und eine Art Tor bilden. Darunter liegt der eigentliche Zugang zum Campus. Im Hintergrund - etwas erhöht - sieht man andere, zerklüftete Gebäudeteile. Über eine breite Treppe gelangt man zwischen der Turnhalle links und dem Verwaltungstrakt rechts in den zentralen Bereich der Anlage, einen mäandrierenden, lang gestreckten Aussenraum. Hier bestimmen schräge Flächen den visuellen Eindruck. Die Gebäude scheinen tatsächlich ins Wanken geraten zu sein. In einer von Erdbeben gefährdeten Zone mag diese Assoziation naheliegend sein, doch der mäandrierende Raum wirkt keineswegs bedrohlich, sondern bewegt und offen. Immer wieder blickt man über tiefer liegende Terrassen auf die Sportflächen darunter. Raum bedeutet hier Aussenraum und wird als gut nutzbarer, intimer und von fortschrittlicher Ästhetik geprägter Bereich zur zentralen Identifikationsfigur der Anlage.


Topologie

Bei den Bauten von Morphosis sticht immer wieder die äussere Konzeption ins Auge. Die spezifische innenräumliche Wirkung - in Pomona etwa bei der Turnhalle - stellt das Resultat eines Konzeptes mit anders gelagerten Prämissen dar. Die Grundlage der skulpturalen Gebäudelandschaft bildet schliesslich eine erstaunlich klare Typologie. Der lang gestreckte Platzraum erfüllt gleichsam die Funktion einer zentralen Halle, von der kammartig drei Klassentrakte ausgreifen - im Inneren wieder mit einfachen Rechteckräumen. Am Ende schweben die an die Formensprache der Moderne erinnernden weissen Trakte über der Böschung. Auf der gegenüberliegenden Seite des zentralen Bereiches erschliesst ein langer Mittelgang die Unterrichtsräume. Ein vielfältiges Wegsystem durchzieht die gesamte Schulanlage und bildet unterschiedlich konfigurierte Höfe. Den Klassentrakten ist jeweils eine von einer gekrümmten Betonmauer eingefasste Wiese zugeordnet. Was sich im Grundriss als doppelte Ohrform abbildet, die am Klassentrakt hängt und wie eine formalistische Spielerei wirkt, schafft in der Realität angenehme Aussenräume für die einzelnen Gruppen.

Mayne verfolgte bei diesem Projekt einmal mehr seine Idee der Modellierung der Landschaft. Die gefaltete Dachfläche will den Baugrund neu formen und spiegelt gleichzeitig die Unregelmässigkeit der Wände. So auffällig die Formenwelt der Diamond Ranch High School auch ist, so bescheiden sind die Materialien - Sichtbeton, Wellblech und Glas. Weisse Putzflächen über Stahlfachwerk akzentuieren die Klassentrakte. An ihrem hangseitigen Ende schliessen scharfkantig, aber auch mit deutlichem Abstand die silbrig verkleideten, kristallinen Volumen an, die die bewegten Wände des Hofraumes bilden. Kritiker mögen durchaus von potemkinschen Fassaden sprechen, hinter denen sich keine vergleichbare innenräumliche Konzeption verbirgt. Gewiss distanziert sich dieser Bau von klassischen architektonischen Themen. Er setzt zugleich ein optimistisches Zeichen: In Los Angeles wird von einem «symbol of renewed civic optimism» gesprochen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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