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Meister der organisch-skulpturalen Form
Neue Zürcher Zeitung

Das Werk des Architekten Eero Saarinen

16. September 2003 - Roman Hollenstein
Die Begeisterung junger Baukünstler für die sogenannte Blob-Architektur mit ihren topologischen Formen hat neues Interesse an einem Architekten geweckt, der in den fünfziger Jahren als einer der Ersten den Computer für den Entwurf seiner organisch-skulpturalen Bauten einsetzte - zu einer Zeit also, als diese Technologie für die meisten erst in der Welt der Science-Fiction existierte. Auf die entwurfstechnischen Möglichkeiten der damals noch riesigen Rechner aufmerksam geworden war der 1910 in Finnland geborene und bereits als Teenager nach Amerika gekommene Eero Saarinen im Zusammenhang mit seinen Bauaufträgen für IBM in Rochester und Yorktown. Obwohl der in Yale in der Beaux- Arts-Tradition ausgebildete Architekt sich erst spät aus dem Schatten seines berühmten Vaters Eliel Saarinen (1873-1950) lösen konnte, schuf er im Laufe einer kurzen Karriere Bauikonen, die zu den Meisterwerken der amerikanischen Nachkriegsarchitektur zählen. Der bereits mit 51 Jahren einem Hirntumor erlegene Baukünstler pflegte einen kreativen Eklektizismus, der ihm kritische Bemerkungen wie «Viel Form und wenig Idee» aus dem Lager der orthodox-doktrinären Modernisten eintrug, während ihn Robert Venturi, der Vordenker der postmodernen Architektur, als «prophetische Figur» verehrte.

Unter Berücksichtigung der neusten technischen Erkenntnisse und gemäss dem Wahlspruch «Style for the Job» passte Eero Saarinen das Aussehen seiner Bauten der jeweiligen Aufgabenstellung an, wobei er bei Kultur- und Verkehrsbauten gerne auf die expressiven Formen einer Architecture parlante setzte, während er für Verwaltungsgebäude das von Mies van der Rohe entwickelte rationalistische Vokabular bevorzugte. Sein berühmtestes Werk, der 1956 entworfene und ein Jahr nach seinem Tod eröffnete TWA-Terminal auf dem JFK-Flughafen in New York, darf als das erste zeichenhafte Gebäude der Luftfahrtgeschichte gelten. Deshalb nimmt dieser zwischen Nachtfalter und Düsenjet oszillierende Bau mit seinen dynamischen, fast schon neobarocken Raumsequenzen, der heute noch in den Projekten eines Santiago Calatrava nachklingt, eine zentrale Stellung ein in der ebenso fundiert recherchierten wie attraktiv aufgemachten Eero-Saarinen-Monographie des spanischen Architekturhistorikers Antonio Román. In fünf Essays nähert sich dieser dem Werk des Meisters an und bereichert die anschaulichen Texte durch suggestive Schwarzweissfotos, Skizzen und Pläne.

Am Beispiel des TWA-Terminals gewinnt die mitunter Frank Gehry vergleichbare prozessuale Arbeitsweise des eigenwilligen, aus einer reichen Erfindungsgabe schöpfenden Künstlers Konturen. Einigendes Element der bald plastisch-fliessenden, bald kantigen Bauten ist ein vom Geist der fünfziger Jahre erfüllter Optimismus, dem man in den heiteren, elegant eingerichteten Wohnhäusern ebenso begegnet wie bei den Bauten auf dem MIT-Campus in Cambridge. Dort erntete Saarinen 1955 mit so gegensätzlichen Lösungen wie dem von einer auf nur drei Punkten ruhenden Betonschale überwölbten Kresge- Auditorium oder der in ein Ziegelgewand gehüllten, zylinderförmigen Kapelle viel Beifall, aber auch ätzenden Widerspruch. Während er für die Ingalls-Hockey-Halle der Yale University in New Haven ein rochenartiges Erscheinungsbild erfand, kreierte er für den Hauptsitz der Deere Company in Moline eine abstrakte Raumstruktur aus Glas und dunklem Stahl. Doch auch bei den einer klaren Einfachheit verpflichteten Konzerngebäuden liess Eero Saarinen mitunter seinen Einfällen freien Lauf: So darf sich vor der gekurvten Fassade des IBM-Forschungszentrums in Yorktown die Schwanzflosse eines mit Bruchstein geschuppten Fisches zum Eingangsbaldachin aufschwingen.

Naturstein prägt auch die Aussenhaut der wabenartig um neugotische Campusbauten gruppierten Stiles and Morse Colleges von Yale. Hier spürt man allenthalben jene Liebe zum künstlerischen Detail, die sich auch in seinen Designobjekten manifestiert: etwa dem Womb Chair (1948) oder dem futuristischen Tulpenstuhl aus Kunststoff (1956). Aber auch die grosse Geste war ihm nicht fremd. Sie triumphierte früh schon im monumentalen Bogen des Gateway Arch genannten Jefferson Memorial von St. Louis und dann erneut in der kühn gespannten Abflughalle von Washingtons Dulles International Airport oder im postum ausgeführten, konstruktiv auf die Twin Towers des WTC vorausweisenden CBS Building in New York.


[Antonio Román: Eero Saarinen. Architecture of Multiplicity. Princeton Architectural Press, New York 2003. 225 S., Fr. 98.-.]

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