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Im Bauch des Architekten
Neue Zürcher Zeitung

Eine Libeskind-Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin

20. September 2003 - Claudia Schwartz
Das Jüdische Museum in Berlin empfängt mit stürzenden Linien und kippenden Wänden. Auch nach wiederholtem Besuch nimmt die Architektur einen gefangen, noch bevor man die Ausstellungsräume betritt. Bald werden es eineinhalb Millionen Menschen sein, die seit der Eröffnung vor zwei Jahren die Institution besucht haben. Mindestens die Hälfte von ihnen kommt laut Direktor Michael Blumenthal wegen der Architektur von Daniel Libeskind. Grund genug, dem Hausarchitekten zum zweijährigen Bestehen des Museums eine in Zusammenarbeit mit der Londoner Barbican Gallery erarbeitete Ausstellung zu widmen. Wo der Markenname Libeskind als Vehikel dient, um den eigenen Erfolg zu befördern, kennt die Vermarktung keine Grenzen. Schon beim Eingang wirbt das im Museum beheimatete Restaurant mit einem «Libeskind Special», jüdischen und internationalen Spezialitäten inklusive «Space-Cocktail».

Spacig gibt sich auch die Sonderausstellung «Kontrapunkt: Die Architektur von Daniel Libeskind», die mit kreuz und quer durch die Räume gezogenen Leinwänden etwas angestrengt den Geist des Konstruktivismus atmet. Die Schau stellt weniger eine kritische Würdigung von Libeskinds Schaffen dar als vielmehr eine One- Man-Show entlang von vierzehn Projekten, unterlegt mit Zitaten des Meisters. Dabei gelingt eine assoziative Annäherung an den ausgebildeten Musiker und Architekten, der mit seinem multidisziplinären Ansatz neue Wege in der Architektur beschritten hat und die Fragen der Baukunst und Stadtplanung als gesellschaftlichen Diskurs versteht.

Anhand von Modellen, Plänen, Zeichnungen, Fotografien und Multimedia-Installationen wird der Werdegang eines Stararchitekten nachvollziehbar, dessen Bauten eine Ausdruckskraft besitzen, der man sich nur schwer entziehen kann: Libeskind, der zuerst als Theoretiker und Visionär Aufsehen erregte, baute seine ersten Modelle wie Kunstwerke, abstrahiert, skulpturhaft und für den Laien kaum lesbar. Die frühen grafischen Arbeiten, «Micromegas» und «Chamberworks» (1979/ 83), loten den Raum in zeichnerischer Mathematik und musikalischer Intuition aus. Der Entwurf scheint bei Libeskind seinen Weg über die Abstraktion ins Skulpturale zu finden.

Der 1946 in Polen geborene Libeskind ist auch in Israel und den USA aufgewachsen, wo er die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hat. Von den vierzehn vorgestellten Projekten, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind, sind vier realisiert: Das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück (1998), das Berliner Jüdische Museum (1999), das Imperial War Museum North in Manchester (2001) und das Studio Barbara Weil in Mallorca (2003). Die Schau präsentiert die Modelle ohne Vitrine. Das ermöglicht eine ansprechende sinnliche Annäherung vor allem bei den noch in der Planungsphase befindlichen Projekten wie der transparenten Bremer Konzerthalle «Musicon» und beim spiralartigen Erweiterungsbau des Londoner Victoria and Albert Museum.

Libeskinds nicht realisierte Berliner Entwürfe für den Potsdamer Platz (1991) und den Alexanderplatz (1993) erscheinen im Rückblick als stimmungsvolle Reminiszenz an die hochfliegenden Metropolenpläne, die sich die wiedervereinigte Stadt nach der deutschen Wende erträumte. Der unlängst erfolgte Umzug des Architekten von Berlin nach New York erstaunt in diesem Zusammenhang nicht. Die Stadt an der Spree mit ihrer Liebe zu Traufhöhe und Blockrandbebauung musste dem Visionär irgendwann zu eng werden. Allerdings erscheint auch die innere Entwicklung von Libeskinds Schaffen auf den Schlusspunkt der Schau, auf das aktuelle Projekt für das World- Trade-Center-Gelände in New York, zuzusteuern. Im Laufe des Parcours wirkt das bedeutungsvolle Projekt wie eine logische Folge der vorangegangenen. Libeskind, für den der Bau des Jüdischen Museums Berlin den internationalen Durchbruch bedeutete, kann Wettbewerbe nicht zuletzt dann für sich entscheiden, wenn der Architektur eine hohe Symbolfunktion zukommt: sei es als Ikonen der Erinnerung wie beim Jüdischen Museum und bei den Plänen für Ground Zero oder als Zeichen der Mahnung beim Imperial War Museum North oder beim Umbau des Militärmuseums Dresden. Es sei der Fehler der Stadtplaner, zu denken, dass der Berliner Alexanderplatz in fünfzig Jahren vollkommen sein könnte, schreibt der Architekt. Hier mag ein Grund für seinen Erfolg liegen. Seine Bauten pflegen keine verträumte Vorstellung von der Vergangenheit. Sie halten die Spannungen der Gegenwart aus.


[ Bis 14. Dezember im Jüdischen Museum in Berlin. Eine erweiterte Version der Ausstellung wird vom 16. September 2004 bis zum 23. Dezember 2004 in der Barbican Gallery in London zu sehen sein. Die Begleitbroschüre kostet 1 Euro. ]

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