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Ganz glücklich über den „zweiten Schinkel“
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt Ludwig Persius in Potsdam

26. September 2003 - Claudia Schwartz
Leicht erhöht über Potsdam liegt das Schloss Babelsberg, umgeben von einem malerischen Park. Ein Bauwerk nach der Mode seiner Zeit im neugotischen Stil mit zinnenbewehrten Türmen. Begonnen hat es 1833 Karl Friedrich Schinkel. Weniger bekannt ist, dass sein begabtester Schüler und Nachfolger, Ludwig Persius, den Bau in einer zweiten Entstehungsphase im Wesentlichen erweiterte und 1849 vollendete. An dem pittoresken Ort ist derzeit die Schau «Ludwig Persius. Architekt des Königs» zu sehen, welche die Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin- Brandenburg dem Architekten (1803-1845) aus Anlass seines 200. Geburtstags widmet.

Schloss Babelsberg wird oft Schinkel zugeschrieben und illustriert das Schattendasein, das Persius in der Rezeptionsgeschichte neben dem grossen Architekten Preussens bis heute führt. Es ist das Verdienst der gegenwärtigen Präsentation, das Werk von Persius in ein neues Licht zu rücken und gleichzeitig Schinkels Bedeutung als überragender Künstler gelten zu lassen. In den Zeichnungen und Entwürfen von Persius offenbart sich ein künstlerisches Talent, das Schinkels Lehre hochhielt. Gleichwohl überführte Persius dessen idealisierende Symmetrie in eine funktionale, kubisch verschachtelte Bauweise, die manchmal wie eine leise Vorahnung der späteren Bauhaus-Bewegung aufleuchtet. So bei der Orangerie in Bad Muskau (1844), einer der wenigen ausserhalb Potsdams realisierten Persius-Bauten, die nach Wunsch von Fürst Hermann Pückler- Muskau orientalische Anklänge aufweisen sollte. Persius fand eine bestechend moderate Lösung, die in Abstrahierung der formalen Aufgabe mit leichten Tudorbögen, schlohweissem Fassadenanstrich und nur angedeuteten Zinnen wie ein Vorläufer der frühen Industriearchitektur des 20. Jahrhunderts erscheint. Der Bauherr, selbst ein leidenschaftlicher Gartenkünstler, zeigte sich «ganz glücklich, endlich einen zweiten Schinkel gefunden zu haben».


Der Architekt des Königs

Persius' Werk ist von Kontinuität geprägt. Es weist ihn als direkten Nachfahren Schinkels und als frühen Vertreter der Schinkel-Schule aus, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss des Historismus auflöste. Die Zusammenschau der Bildwelten von Lehrer und Schüler beleuchtet, wie erst die Synergie der beiden unterschiedlichen Temperamente - unterstützt vom Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné und befördert von Wilhelm IV. - die Potsdamer Schlösser- und Gartenlandschaft zu jenem einzigartigen Gesamtkunstwerk erweckte, als das sie sich bis heute zeigt. Während Schinkel in Babelsberg nach einem ersten königlichen Auftrag eine bescheidene Sommerresidenz im Cottagestil entworfen hatte, wünschte sich der neue Machthaber Friedrich Wilhelm IV. nach Schinkels Tod von Persius eine Erweiterung, die den Anforderungen grösserer Gesellschaftsanlässe entsprach. Persius brach - im Bewusstsein des «genialen Entwurfes» seines Meisters, mit dessen Bauausführung er zuvor schon beauftragt war - die zwischen Pfeiler gespannten Wandflächen asymmetrisch auf. Er schraubte runde und oktogonale Türme in den Himmel, legte Erker und Terrassen an, entwarf ein zeichenhaftes Märchenschloss im Burgenstil.

Anhand von 120 originalen Zeichnungen, Entwürfen, Plänen und Fassadenansichten sowie Fotografien, Modellen, Bauplastiken und einem Werkverzeichnis im umsichtig edierten Katalog erfährt das architektonische Lebenswerk von Persius hier eine umfassende kritische Würdigung. Diese hält sich in einer ersten werkgeschichtlichen Aufarbeitung rigoros an den engen zeitlichen und räumlichen Horizont von Leben und Werk des Potsdamer Architekten. Eine Aufarbeitung im internationalen Kontext wäre wünschbar, um den provinziellen Eindruck, den eine solche Engführung zwangsläufig mit sich bringt, aufzubrechen. Im Rahmen der gegenwärtigen Forschung stehen weitere Publikationen an, die dieses falsche Bild allerdings entkräften dürften.

Eine «Galerie der verschollenen Zeichnungen» erinnert mit fünfzig Reproduktionen an den 1945 verlorenen Nachlass von Persius, der mit über 650 Originalblättern einst das Œuvre dokumentierte: das rege Schaffen eines im Alter von 42 Jahren viel zu früh Verstorbenen. «Schinkels Meisterschüler» und erster «Baukondukteur» war mit der Bauausführung des Prinzenschlosses, des Gärtnerwohnhauses und der Römischen Bäder bei Charlottenhof in Sanssouci sowie des Glienicker Schlosses betraut. Persius vollendete mit der Überarbeitung der Kuppel zudem Schinkels Nikolaikirche. Zu den Höhepunkten seines Werks zählen die Heilandskirche in Sacrow (1844), die Potsdamer Friedenskirche (1848), das 1843 in der Art einer Moschee errichtete Dampfmaschinenhaus von Sanssouci und das etwa zur gleichen Zeit entworfene Belvedere auf dem Pfingstberg.

Nach Schinkels Tod wurde Persius von Wilhelm IV. bald zum «Architekten des Königs» berufen. Die letzten vier Jahre seines Lebens zeichnete er für den Ausbau von Potsdam verantwortlich in enger Zusammenarbeit mit dem königlichen Auftraggeber, dessen Launenhaftigkeit in «Ordre, Contreordre, Disordre» dem Baumeister ein Abwägen von diplomatischem Geschick und unbeirrter Sicherheit in der Sache abforderte. Persius' Schaffen stand in der Folge unter den Leitgedanken des «Romantikers auf dem Thron», dem die Architektur mehr zusagte als die Politik: Sein Bestreben lag in der Vollendung des Gesamtwerks Sanssouci, in der Verschönerung der Silhouette von Potsdam und im Kirchenbau.


Italiensehnsucht

Zu den reizvollsten Schöpfungen von Persius zählen seine Turmvillen im Stil der norditalienischen Renaissance. Sie erlangten, von Schinkels Sehnsucht nach Italien berührt, in eigentümlicher Kombination aus funktionaler Einfachheit und gestalterischer Plastizität Vorbildcharakter. Obwohl Persius Italien nie zuvor gesehen hatte, beherrschte er den Landhausstil der Fabbrica, eines von Wirtschaftsgebäuden und Anbauten umgebenen Anwesens, und entwickelte ihn weiter: Die für ihn typische «allseitig ausgebildete Baugestalt» wurde vielfach nachgeahmt, was manche Strassenzüge Potsdams bis heute prägt und die «Potsdamer Turmvilla» zur bürgerlichen Spielart des königlichen Entwurfs eines preussischen Arkadien werden liess.

Der Rundgang durch das von Persius gebaute, erst teilweise sanierte Schloss Babelsberg mit seinen überraschenden Ausblicken auf das Gebäude selbst und auf die umliegende Landschaft zeugt vom unbedingten Willen zur Inszenierung, von der angestrebten Harmonie zwischen Architektur und Natur, die sich zum Gesamtkunstwerk fügen sollten. Am Ende bringt die Architektur selbst den Künstler zum Leuchten. Der Achteckturm, der mit einem pompös inszenierten, zweigeschossigen Tanzsaal das Herzstück des Schlosses bildet, stellt den Höhepunkt der Babelsberger Schau dar und illustriert den schweren Stand einer theoretischen Präsentation von Architektur im Anblick des originalen Bauwerks. Persius hat die Fertigstellung des Saales nach seinen Plänen nicht mehr erlebt; das Prunkstück wurde vom Schinkel-Schüler Johann Heinrich Strack vollendet.

Die Sehnsucht nach Italien, das Streben nach einer idealen Wirklichkeit liessen Persius keine Ruhe. Im Oktober 1844 erbat er sich von seinem König Urlaub. Es war seine erste Studienreise. Im Tagebuch notiert er des Königs Auftrag, Bauwerke von Genua bis Neapel zu besichtigen. Die «Reise-Ordres für Italien Seiner Majestät» muten im Nachhinein so fürsorglich wie makaber an: «Recht sauber leben, keinen italienischen Wein trinken.» Persius kehrte im Mai 1845 von seiner viermonatigen Reise zurück, erkrankte an Typhus und starb wenige Wochen später. Der König berief keinen Nachfolger mehr für den Potsdamer Hofarchitekten, der ihm von seiner Reise schrieb: «Ein hohes Meer bei heiterstem Sonnenschein, milde Frühlingslust im Frostmonat, eine solche Stadt und eine grossartige Scenerie der Gegend mussten einen so unerhörten Eindruck auf einen Potsdamer machen, dass Ew. Majestät gnädigst verzeihen wollen, wenn ich selbst hier auf diesem Blatte noch taumele.»


Bis 19. Oktober im Schloss Babelsberg in Potsdam. Begleitpublikation: Ludwig Persius. Architekt des Königs. Hrsg. Stiftung Preussische Schlösser und Gärten. Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2003. Abb., 275 S., 29 Euro. - Der Architekturführer «Ludwig Persius» (130 S.) kostet 12 Euro.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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