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Architektur für Bibliophile
Neue Zürcher Zeitung

Die Zeitschrift «Wendingen»

14. Januar 2002 - Hubertus Adam
In jüngerer Zeit gilt die Aufmerksamkeit der architekturhistorischen Forschung verstärkt der Publizistik. Mediale Konstruktion bestimmt die Rezeption von Architektur in entscheidendem Masse. Neben Reprint-Editionen, welche besonders das Profil des Berliner Gebr.-Mann-Verlages prägen, gibt es inzwischen eine Reihe von Veröffentlichungen zu generellen oder speziellen Aspekten der Architekturpublizistik. Eines der jüngsten Beispiele ist der von Martijn F. Le Coultre herausgegebene, opulent illustrierte Band über das niederländische Periodikum «Wendingen», das monatlich (mit einer Reihe von Doppelheften) zwischen 1918 und 1931 erschien.

Lange Zeit stand «Wendingen» im Schatten des ungefähr gleichzeitig erschienenen «De Stijl». Doch obwohl sich «De Stijl» thematisch und gestalterisch konsequenter der Moderne verpflichtete, wäre es falsch, die beiden Organe schlicht als Antipoden wahrzunehmen. «Wendingen» thematisierte keineswegs allein das expressionistische Bauen der Amsterdamer Schule um de Klerk, Kramer und van der Meij, sondern griff auch Themen auf, die sich ebenso bei der Konkurrenz hätten finden können, beispielsweise mit Sonderheften zu Eileen Gray (1924) oder der Van-Nelle-Fabrik in Rotterdam von Brinkman & van der Vlugt (1930). El Lissitzky gestaltete das Titelblatt zur ersten (von insgesamt sieben) Frank-Lloyd-Wright-Nummern (1921), Vilmos Huszár, der für das Erscheinungsbild des «Stijl» verantwortlich war, jenes der Diego-Rivera-Nummer (1929).

Dieser Offenheit zum Trotz richtete sich das Hauptaugenmerk der Redaktion nicht auf die Tendenzen zum Funktionalismus. Das war massgeblich das Werk von Hendricus Theodorus Wijdeveld (1885-1987), der zwischen 1918 und 1926 als Herausgeber und Spiritus Rector fungierte. Als Architekt im Stil der Amsterdamer Schule eher von nachgeordneter Bedeutung, avancierte er mit «Wendingen» zu ihrem einflussreichsten Propagandisten. Wer die Tendenz zur Abstraktion, Versachlichung und Vereinfachung als Königsweg der Moderne versteht, für den dürften zumindest die späteren Jahrgänge von «Wendingen» wenig ergiebig sein. Wer jedoch an einem Panorama der niederländischen (und internationalen) Baukunst der Zwischenkriegszeit interessiert ist, für den ist das Blatt eine Fundgrube, die nicht nur mit wichtigen Bilddokumenten, sondern auch mit Texten bedeutender Architekten aufwartet. Darüber hinaus können die quadratischen, nach japanischer Art mit Bast oder Kordeln gebundenen und künstlerisch gestalteten Hefte als eine der schönsten Zeitschriften überhaupt gelten. Nicht zuletzt diese eher den Periodika der Jahrhundertwende als jenen der zwanziger Jahre verwandte Ausstattung wird eine Faksimile-Edition der raren Ausgaben leider auch in Zukunft vereiteln.

Aber immerhin - nach einer knappen, von einem kleinen Katalog begleiteten Darmstädter Ausstellung des Jahres 1992 - liegt nun eine Publikation vor, die nicht nur die Geschichte des Periodikums dokumentiert, sondern auch erstmals sämtliche künstlerisch gestalteten Umschlagseiten farbig reproduziert. Inhaltsverzeichnisse, technische Angaben wie Preis und Auflageziffern und ergänzende Beschreibungen erweisen das Buch als unabdingbar für jede künftige Beschäftigung mit der Materie.


[Martijn Le Coultre: Wendingen 1918-1931. Architectuur en vormgeving. V-K Publishing, Blaricum 2001. 272 S., EUR 66.-. ]

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