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Ein Klassiker in Berlin
Neue Zürcher Zeitung

Mies van der Rohe im Alten Museum

14. Januar 2002 - Claudia Schwartz
Allmählich bringt die Kunst das Leben auf die Museumsinsel zurück. Schon seit einiger Zeit lockt der wunderschön rekonstruierte Lustgarten vor Schinkels Altem Museum die Menschen im Sommer in Scharen auf die Berliner Spreeinsel. Aber erst seit der Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie vor wenigen Wochen liegt eine besondere Magie über dem Ort, eine Verheissung auf jene Zukunft, in der die fünf berühmten Museen als Ensemble wiederhergestellt sein werden. Die Berliner stehen in diesen Tagen in eisiger Kälte stundenlang Schlange, um sich eines ihrer schönsten Häuser des Spätklassizismus, die Alte Nationalgalerie, wieder anzueignen. Gleich nebenan im Alten Museum findet sich ein weiterer Höhepunkt mit der Ausstellung über die «Berliner Jahre 1907-1938» von Ludwig Mies van der Rohe, die vom New Yorker Museum of Modern Art übernommen worden ist (NZZ 14. 7. 01). Eine schöne Koinzidenz, war es doch der Geist des Klassizismus, der den Meister der Moderne zeitlebens umtrieb. Insbesondere die preussische Tonart Karl Friedrich Schinkels hatte es Mies van der Rohe angetan. Ihm erwies er mit seinem genialen Spätwerk, der Neuen Nationalgalerie am Kulturforum in Berlin (1965-68), seine Reverenz. Die Schau setzt ihren Schwerpunkt in der Verwurzelung in dieser architektonischen Tradition. Die ausgesprochen stilvoll gehaltene Präsentation nimmt einen effektvollen Auftakt mit der Vision des (unrealisiert gebliebenen) Hochhauses in der Friedrichstrasse in Gestalt eines hochfliegenden Plexiglasmodells, um dann die frühen Werke der Berliner Zeit Revue passieren zu lassen: In den grossbürgerlichen Villen und Häusern deutet sich jenes Formenvokabular an, das der 1886 in Aachen geborene Architekt bei seiner Emigration nach Amerika 1938 im Gepäck trug und das er zu jener Architektursprache ausformulierte, die ihn zum Meister der klassischen Moderne werden liess. Die in vorbildlicher Weise um räumliche Anschaulichkeit bemühte Schau findet eine unabkömmliche Ergänzung durch den anspruchsvollen Begleitband.


[Bis 10. März. Begleitbuch: Mies in Berlin - Ludwig Mies van der Rohe. Die Berliner Jahre 1907-1938. Hrsg. Terence Riley und Barry Bergdoll. Prestel-Verlag, München 2001. 392 S., 595 Abb., Fr. 117.- (EUR 69.- in der Ausstellung).]

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