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„Die Stadt hat keine Lösung“
Der Standard

Am Sonntag wird die 7. Architekturbiennale von Venedig eröffnet: Bis 29. Oktober zeigen 37 Länder sowie 82 exklusiv zur Schau geladene Architekturgrößen, was ihnen zum Biennale-Thema „Città: Less Aesthetics, More Ethics“ eingefallen ist. Die Antwort lautet: weniger Architektur, mehr Installation.

7. Juli 2000 - Ute Woltron
Wie immer, wenn Venedig die Weltarchitekturparade feiert, vermischt sich die ernsthafte Schwere tatsächlich realisierter Architekturprojekte mit der verspielten Leichtigkeit nicht so fundamental im Erdreich verankerter Installationen. Letztere haben heuer Hochkonjunktur, sowohl in den Länderpavillons als auch in den Einzelarchitektenbeiträgen, die Biennale-Chef Massimiliano Fuksas in den Renaissancehallen des Arsenals versammelt hat.

Die Stadt der Zukunft, der Fuksas weniger Ästhetik, dafür mehr Ethik abfordern will, hat eine Größe erreicht, der kein Mensch mehr gewachsen ist. Was kann der Architekt dieser von Menschenmassen und Wirtschaftskräften geformten Mega-Realität entgegensetzen, womit wirklich Einfluss nehmen? Und soll er das nach den vielen gescheiterten Architekturvisionen der Vergangenheit überhaupt?

Ein wenig hilflos flüchten denn auch die Teilnehmer weg von der Architektur hin in installierte Nischenbereiche, lassen die Besucher durch verschiedenste verniedlichende Guckkästen Blicke auf Städte und Projekte tun und bemühen die so schön zum Verschummern knallharter Realitäten tauglichen neuen Medien wie Internet und Video auf Teufel komm raus.

Die Niederlande zum Beispiel setzen auf lustiges Miteinander. Sie haben ihren Pavillon sorgfältig mit blauem Plüschteppich ausgelegt und zur „Lounging Zone“ erklärt. Öffentliches und privates Leben sollen sich hier mischen; wer eintreten und auf Sofas und Liegen zum Zwecke des für die einen vielleicht gemütlichen, für die anderen aber durchaus anstrengenden gemeinschaftlichen Architekturerfahrens vor Bildschirmen, Cola-Automaten und Kaminfeuern Platz nehmen will, der muss vorher allerdings die Schuhe ausziehen.


Gähnend langweilig

Die meisten Länder (wie Brasilien und Belgien) versuchen sich in schlichten und nie ganz uninteressanten Bestandsaufnahmen, andere verzupfen sich sicherheitshalber gleich in die Vergangenheit. Allen voran der gähnend langweilige Deutschland-Beitrag, der seine Besucher mit plakatwandgroßen und von Wissenschaftlichkeit durchtränkten Berlin-Plänen des Vorgestern, Gestern und Heute ziemlich allein lässt.

Von Zukunft ist auf dieser Biennale also selten etwas zu sehen, doch das macht nichts, solange der hier gezeigte „state of the art“ der Architektur noch nicht allenthalben Gegenwart geworden ist. Den wahrscheinlich innovativsten Beitrag gestatten sich die Amerikaner. Sie zeigen eine gelungene Synthese zweier wichtiger Trends:

Zum einen regieren hier die Computer samt ihren avantgardistischen Dompteuren Greg Lynn (UCLA) und Hani Rashid (Columbia). Zum anderen wird der sich ständig erweiternde Pavilloninhalt von 25 Studenten dieser beiden Professoren gestaltet, die unermüdlich die Rechner bedienen, projizierte Images per Internet verändern und mittels computergesteuerter Maschinerie eine Architektur-Alien-Form nach der anderen aus Werkstoffplatten fräsen. Der Computer als Werkzeug einerseits, eine exquisite Architektenausbildung als extrem wichtige, der Verantwortung verpflichtete Berufsbasis andererseits können sehr wohl einen Weg ins Morgen weisen. Federführender US-Kommissär ist der in New York stationierte Max Hollein.

Vater Hans Hollein war für die heimische Architektenparade zuständig. Er hat ein paar Häuser weiter ein kleines Politschlenkerl inszeniert. Mit Arbeiten etwa von Adolf Krischanitz und Hermann Czech wird Österreich als „Area of Tolerance“ vorgestellt, mit internationalen Kollegen als „Area of Action for International Architects“. Ein Betätigungsfeld für ausländische Architekten sind zwar andere Länder auch, doch in Zeiten wie diesen wird internationales Engagement im Staate Österreich offenbar zur kostbaren Besonderheit. Die Architektenriege ist namhaft - von Zaha Hadid (Wiener Stadtbahnbögen, Bergisel-Schanze) über Peter Cook und Colin Fournier (Kunsthaus Graz), Thom Mayne (Hypo Alpe-Adria Zentrum Klagenfurt) bis Greg Lynn (Hydrogen-House für die OMV in Schwechat).


Locker-lustig

Eine locker-lustige Mischung aus Gebautem und Projektiertem, aus Design und Architektur setzt Großbritannien den Besuchern vor. Hier wird Architektur - etwa von William Alsop, Zaha Hadid und David Chipperfield - mit Alltagskultur vom Kitschsouvenir über das Firmenlogo bis zur Designervase zu jenem bunten Süppchen an Gegenständen, Images und Architekturen verkocht, in dem wir alle schwimmen.

In diesem medienbeflirrten, musikberatterten und hektisch Botschaften aussendenden Pavillonkarneval der Nationen befindet sich ein Ort düsterer, schweigender Gelassenheit: Die Russen haben die Nase voll von Visionen. Sie glauben nicht mehr an eine verordnete bessere Zukunft und führen dem computer-und installationsübersättigten Flaneur unvermittelt menschenleere Winterfotos prachtvoll verrottender Paläste des Sowjet-Paradieses vor.

Und noch ein Beitrag versucht in Sachen Architekturstreben innezuhalten: Coop Himmelb(l)au zeigt ein zerrissenes Modell von Havanna. Denn: „Die Stadt hat keine Lösung. Städtebau gibt es nicht mehr, Stadt baut sich selbst. Wo nicht, ist sie verloren.“

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