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Allein ist ungesund
Der Standard

Der Mexikaner Enrique Norten baut mit neun Kollegen gerade eine ganze Stadt. Mit Ute Woltron sprach er über die Poesie der lateinamerikanischen Moderne und die Lächerlichkeit des Architekturstartums.

10. Juni 2000 - Ute Woltron
Wien - Gelegentlich kommen Auftraggeber daher, die sind nicht von dieser Welt. Enrique Norten (47) ist Mexikaner, Architekt, Architekturlehrer und natürlich Auftragnehmer. Im Falle des Geschäftsmannes Jorge Vegara lief ihm der Idealfall eines Bauherren über den Weg.

Der milliardenschwere Vitaminproduzent, der es satt hatte, für seine an die 20.000 Mitarbeiter keine ordentlichen Meeting-Gelegenheiten in der Heimat auftreiben zu können und dauernd in die USA ausweichen zu müssen, beauftragte ihn mit dem Entwurf eines über zwei Millionen Quadratmeter großen, völlig neuen Stadtteils für Guadalajara samt Businessparks, Freizeittempeln, Wohnzonen und Hahnenkampfarena.

Nur gemeinsam mit den besten internationalen Kollegen, meinte Norten sofort, wäre dieses wunderbare Problem zu lösen. Mit von der Partie waren also bald Leute wie Jean Nouvel, Daniel Libeskind, Zaha Hadid, Toyo Ito, Frank Gehry und auch die Wiener Coop Himmelb(l)au. Baubeginn soll noch heuer im September sein.

Himmelbläuling Wolf D. Prix war es auch, der den fröhlichen Mexikaner nach Wien lotste, wo er gestern Abend im Architektur Zentrum Wien einen Vortrag über dieses und viele andere seiner Projekte hielt.

Der Architekt, meint Norten, sei wie ein Dirigent, der die vielen Disziplinen des Baugeschehens zu einem Wohlklang zusammenführen müsse. Das allgegenwärtige Architekturstarsystem, in dem eine einzelne Person alle Meriten für sich allein beansprucht, erschien ihm „stets ein wenig lächerlich. Die Leute werden verrückt und verlieren jeden Bezug zur Realität. Deshalb versuche ich immer mit anderen zusammenzuarbeiten, einmal mit diesem, dann wieder mit jenem, manchmal arbeite ich auch ganz allein, doch zu viel von letzterem kann durchaus ungesund sein.“

Bereits 1985 gründete Norten gemeinsam mit Taller De die Designer- und Architektengemeinschaft TEN Arquitectos und entwarf alles vom Bürohaus über Grünlandschaften und stadträumliche Masterpläne bis zum Mobiliar. Heute unterhält der Architekt zwei Büros in Mexico City und in New York, hat da wie dort gebaut und steht sozusagen mit einem Bein in Lateinamerika, mit dem anderen in den USA. Wie überwindet man die ausgeprägten wirtschaftlichen und architektonischen Differenzen zwischen den beiden Ländern? „Der größte Unterschied liegt in der Verschiedenartigkeit der Menschen, in ihrer Geschichte, der Kultur, der Mentalität.“ In Nortens Architektur spiegelt sich seiner Meinung nach diese Verschiedenartigkeit nur indirekt wider, denn jedes Projekt, jede Aufgabe verlange ohnehin nach maßgeschneiderten Lösungen, die alle Kräfte berücksichtigten, die Architektur formten. „Es ist wichtig für mich, dass jedes Gebäude die Einzigartigkeit der Bedingungen ausdrückt, unter denen es entstanden ist, und dabei ist es völlig egal, in welchem Land das Bauwerk steht. Wichtig sind vielmehr die vielschichtigen Verantwortlichkeiten, denen der Architekt Rechnung tragen muss, und die reichen von den sehr einfachen Bedürfnissen wie Schutz bis zu den komplizierten ästhetischen Ansprüchen.“

Mexikos Vergangenheit ist gesegnet mit beeindruckenden Baumeistern, Felix Candelas Betonschalen etwa sind einzigartig, Luis Barragans Farbkompositionen unerreicht. Norten steht dafür, diese mexikanische Architekturtradition in seinen Arbeiten gewissermaßen weiterzutragen.

Einverstanden ist er mit dieser Definition allerdings keineswegs: „Ich liebe die Arbeiten all dieser Architekten, doch sind sie viel zu unterschiedlich, um in einem Atemzug genannt zu werden. Was man aber tatsächlich als mexikanische Tradition bezeichnen kann, ist ein leichter, poetischer Umgang mit der Moderne, die in Europa so schwer und ernsthaft daherkommt. Der internationale Stil wurde hierzulande mit großer Leidenschaft übernommen und zu einer sehr speziellen, nicht gar so puristischen Form geführt.“

Über seine eigenen Architekturabsichten will Norten überhaupt nicht reden. „Wenn ich tatsächlich mit Worten beschreiben könnte, warum ich meine Häuser und Projekte so baue und nicht anders, dann würde ich heute nicht von der Architektur, sondern vom Schreiben leben.“

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