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Schatzi, dreh' die Sonne auf!
Der Standard

Die Entwicklung des Menschen vom Troglodyten zum Sonnentierchen schreitet voran. Oder gehören Sie auch zu jenen Relikten, die nicht an den Evolutionsmotor Solar- und Passivarchitektur glauben?

8. Juli 2000 - Ute Woltron
Mit den Viecherln ist es so: Wenn beispielsweise der Fischotter eine Forelle verspeist, dann nimmt er damit kaum mehr Energiemenge zu sich, als er benötigt, um gleich darauf mit hurtigem Herumgetauche einen nächsten Fisch zu erbeuten. Wenn hingegen die Anakonda ein Wasserschwein er- und hinunterwürgt, darf sie dank sparsamer Energiehaushaltung erst einmal ein paar Monate Pause machen, gemütlich verdauen und im Schlamm dösen. Letzteres System ist äußerst praktisch. Die vorhandene Energie wird aufgespart und langsam und dosiert mit höchster Effizienz verbraucht.

Bei den Menschen und ihren Behausungen gibt es ganz ähnliche Unterschiede: Die meisten verfeuern unter Erzeugung hoher CO2-Mengen im Laufe eines Winters enorme prähistorische Waldstriche in ihren Heizölbrennern, um drinnen die lebenswerten Temperaturen zu erhalten. Die anderen drehen zu diesem Zweck gelegentlich an besonders kalten Ausnahmetagen ein paar Glühbirnen auf.

Letzteres glauben Sie jetzt natürlich nicht. Können Sie aber ruhig: Heutzutage ist es im Extremfall möglich, ein Haus so geschickt und präzise zu bauen, dass es gänzlich ohne oder nur mit geringer Beheizung auskommt. Ein paar wichtige Faktoren machen diesen Fortschritt möglich: Erstens gibt es seit ein paar Jahren die erforderlichen Baustoffe, vor allem die edelgasgefüllten, hochgedämmten Spezialfenster. Zweitens werden die nicht erneuerbaren Energiequellen wie Heizöl und Kohle nicht mehr und nicht billiger, dafür schreitet die Schadstoffbelastung der Umwelt munter voran. Drittens ist die Erkenntnis gereift, dass wir insgesamt höchst unwirtschaftlich herumfuhrwerken, was unser Wohnen und Bauen, also unser täglich Leben anbelangt.

Ex-Minister Caspar Einem hat seinerzeit ein Forschungs- und Impulsprogramm ins Leben gerufen, das „Nachhaltig Wirtschaften“ heißt, und das sich neben der Erforschung der „Fabrik der Zukunft“ auch mit dem „Haus der Zukunft“ befasst. Der Einem mittlerweile nachgefolgte Michael Schmidt konnte nun vergangene Woche „Beachtenswerte Pionierleistungen“ auf diesem Gebiet präsentieren und 15 Preisträger mit Urkunden und Preisgeldern bedenken.

Eine internationale Jury hatte zuvor die eingereichten Projekte genau analysiert. Sie schöpfte dabei aus dem Vollen. Österreich liegt an der absoluten Weltspitze, was energietechnisch smartes Bauen anbelangt. In keinem anderen Land gibt es zum Beispiel eine höhere Pro-Kopf-Sonnenkollektorendichte als hier, und kaum irgendwo ist das Interesse an Niedrigenergiebauweise und der Extremform Passivhaus, dem so gut wie keine (Heiz-) Energie zugeführt werden muss, sowohl von Bauherren-als auch von Architektenseite höher.

Den Juryvorsitz hielt der Sonnenpionier und Amerikaner Robert Hastings. Der Mann mit dem Credo „Ein Haus sollte so gebaut sein, dass ein Föhn ausreicht, es am schlimmsten Tag des Winters heizen zu können“, lehrt etwa an der ETH Zürich und der Donauuniversität Krems, und seine wichtigste Botschaft lautet: Man muss vor der Krise reagieren und nicht erst aktiv werden, wenn sie schon da ist.

Österreichs Architekten zählen hier zur Weltspitze. Ohne großes Trara planen sie quasi der Sonne entgegen allerorten vorbildliche Wohnhausanlagen, Bürogebäude und auch Einfamilienhäuser, und raffinieren geschickt alle Fortschritte von Industrie und Technik in ihre Planungen. Die beiden erstgereihten Häuser der Zukunft stehen in Form der Wohnanlage Ölzbündt von Hermann Kaufmann in Dornbirn und des Büro- und Wohnbaus Sportplatzweg ebenfalls von Hermann Kaufmann, diesmal gemeinsam mit Christian Lenz, in Schwarzach.

Beide Gebäude überzeugten die strenge Jury - bestückt unter anderen mit Peter Burkhardt vom Schweizer Bundesamt für Energie, Rainer Pflug vom Passivhaus Institut Darmstadt und dem Wiener Architekten Dieter Henke - auch architektonisch. Der übertriebene Öko-Bio-Alternativterroristen-Look der frühen Energiespar- und Sonnenhäuser ist zu einem guten Teil schon lange passé.

Die Wohnanlage Ölzbündt steht ganz proper in der Landschaft, drei Geschosse hoch, in Holz und Glas gebaut. Für ihr Inneres saugt sie die Frischluft über ein Edelstahlrohr an, das im Erdboden verlegt wurde und dadurch die Luft entsprechend vorwärmt. Aus der verbrauchten warmen Abluft wird weitere Wärme rückgewonnen, und eine Solaranlage auf dem Dach liefert rund zwei Drittel der Energie, die für die Warmwasserbereitung erforderlich ist. Insgesamt benötigt das Haus mit seinen 13 Wohnungen gerade ein Viertel der Energie, die ein dümmer gemachtes, also durchschnittliches Haus verpulvert.

Was die Baukosten anbelangt, so Architekt Kaufmann, bewege man sich etwa vier bis fünf Prozent über dem vergleichbaren Durchschnitt: „Es handelt sich hier um einen Prototyp. Wenn man sich allerdings in diesem System einüben würde, könnten die Kosten sicherlich kräftig gesenkt werden.“ Preisträger Nummer Zwei in Schwarzach war nur geringfügig teurer als Vergleichsgebäude, die Mehrinvestitionen sollten sich laut Kaufmann in fünf, sechs Jahren amortisiert haben und in weiterer Folge seine Benutzer Jahr für Jahr mit hohen Heizkosten verschonen. Denn die Raumlufterwärmung verbraucht - zumindest in niederösterreichischen Statistiken - etwa 77 Prozent der in einem Haus aufgewendeten Energie.

Robert Hastings formuliert die neun Gebote für ein „Haus der Zukunft“:
O Es muss sich für Licht und solare Wärme öffnen
O Es bedarf einer kompakten Gebäudeform, die nicht zu Lasten einer „humanen“ Architektur geht
O Seine Hülle muss hervorragend gedämmt sein (für Fachleute: der U-Wert soll 0,11 W/ m2K betragen)
O Auch Fenster und deren Rahmen sollten hochisoliert sein (U-Wert kleiner 0,7 W/m2K)
O Wärmebrücken müssen vermieden werden
O Die Sonnenenergie soll durch Fenster, offenen Grundriss und innenliegende Speichermassen wie Fußböden und Trennwände passiv genutzt werden
O Die Be- und Entlüftung sollte mittels Vorwärmung (Erdrohre) und Wärmerückgewinnung (Altluft) erfolgen
O Den Restwärmebedarf kann eine umweltgerechte Kleinheizung beisteuern
O Die Warmwasseraufbereitung erfolgt aktiv durch Sonnenenergie
Das sind Grundsätze, die natürlich vor allem im Wohnbau greifen, aber zu einem guten Teil auch von - aus Gründen des Platzverschleißes abzulehnenden - Einfamilienhäusern berücksichtigt werden können.

Ein wichtiger, nächster Schritt - das „Haus der Zukunft“ wird ihn sicher tun - besteht in der behutsameren Wahl der Baustoffe. Denn braucht man für die Aufbereitung von Holz überschlagsmäßig etwa 50 Kilowattstunden pro Kubikmeter, so sind es für Beton bereits 600 und für Stahlbeton gar horrende 50.000. Der hierzulande vor allem im Osten so verpönte Holzbau wird also künftig das umwelt- und haustechnische Non-Plus-Ultra, sozusagen die Anakonda des Hausbaus sein. Gemütlich ohne dauernden Heizaufwand im Schnee vergraben - so könnte die Zukunft des Viecherls Mensch auch sein.

Alle Preisträger und Projekte sowie genauere
Informationen zum Impulsprogramm gibt es unter
http://www.hausderzukunft.at und
http://www.nachhaltigwirtschaften.at. Und der Architektur Raum Burgenland lädt am 14. 9. um 17 Uhr im Technologiezentrum Eisenstadt zur Expertenrunde „Energie Haus Haltung“.
architektur@derstandard.at

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