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Fortschritt und Folklore
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung über slowakische Architektur in Wien

29. November 2003 - Paul Jandl
Die Moderne der zwanziger und dreissiger Jahre hat in der slowakischen Architektur bedeutende Spuren hinterlassen. Fridrich Weinwurm und Alois Balán bauen puristische weisse Villen, Vladimir Karfiks Kaufhaus Bat'a setzt in Bratislava neue Massstäbe der Urbanität, und Emil Belluš' Kolonnadenbrücke über die Waag wird zum strengen Meisterwerk des Funktionalismus. Selten hat die Architektur des Landes so radikal Stellung bezogen wie in der Epoche der Zwischenkriegszeit. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm zeigt die Höhepunkte der slowakischen Architektur, ohne deshalb auf den Kontrast vielfältiger Mittelmässigkeit zu verzichten. «Architektur Slowakei» ist ein umfassendes und gelungenes Porträt einer wohl immer noch kaum bekannten Landschaft des Bauens.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bricht der Sezessionismus in die slowakische Architektur ein. Daneben gedeiht ein standhafter Historismus, der sich mit einer archaischen und ins Ornament verliebten Folklore verbindet. Die Wiener Ausstellung zeigt die Entwicklung der slowakischen Architektur chronologisch. Dadurch fällt der Blick auf die vielen Ungleichzeitigkeiten, die das Bauen in der Slowakei prägen. Am Jahrhundertanfang steht Dušan Jurkovis unübersehbarer Beitrag zur neuen Architektur. Die Ausstellung dokumentiert die exzessive Volkstümlichkeit von Jurkovis Villen, die in ihrer rustikalen Moderne den auch später noch anhaltenden Konflikt von Peripherie und Zentrum deutlich machen. In der kurzen Zwischenkriegszeit entsteht eine Fülle von Bauten, in deren sachlicher Ästhetik sich ein selbstbewusstes Bürgertum ebenso ausdrückt wie der Modernisierungswille der Verwaltung. Grosse Siedlungen im Bauhausstil, etwa Fridrich Weinwurms Laubenganghäuser «Unitas», verbessern die Wohnqualität.

Eines der radikalsten Beispiele für eine neue Architektur, die auch das Stadtbild Bratislavas prägt, ist hingegen Baláns Villa Jaro in ihrer streng geometrischen und minimalistischen Ästhetik. Tomáš Tvaroeks Stadtsparkasse ist von einem ebenso bahnbrechend nüchternen Funktionalismus wie das Verwaltungsgebäude der Sozialversicherung von Balán und Jii Grossmann. Weit weniger entschieden war naturgemäss die kollektiv betriebene Architektur der kommunistischen Jahre, die die Ausstellung ebenfalls in allen Aspekten zeigt - von den Repräsentationsgebäuden bis zum Plattenbau. Herausragend ist die Landwirtschaftshochschule in Nitra, 1961 entworfen von Rudolf Miovsk und Vladimir Dedeek, umstritten bis heute die das Stadtbild prägende monumentale Neue Brücke in Bratislava, die Anfang der siebziger Jahre von Josef Lacko, Ladislav Kušnir und Ivan Slame gebaut wurde. Die architektonische Gegenwart der Slowakei wirkt in der Ausstellung eher schwach beleuchtet. Achtbar ist die ästhetische Dynamisierung der Einfamilienhausarchitektur, zahlreich sind die Aufträge für Kirchenbauten. Und auch die ökonomischen Hoffnungsgebiete der EU-beitrittswilligen Slowakei werfen ihre Schatten voraus. In der boomenden Petralka in Bratislava steht die neue gläserne Kaufhausmoderne des «Auparks».


[ Bis 29. Februar. Katalog: Architektur Slowakei. Impulse und Reflexion. Architektur im Ringturm XI. Hrsg. Adolph Stiller und Štefan Šlachta. Verlag Anton Pustet, Salzburg und München 2003. 200 S., Euro 39.-. ]

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