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Architektonische Paradiese
Neue Zürcher Zeitung

Schauplatz Los Angeles

Schatten über zwei Meisterwerken der Moderne

2. Dezember 2003 - Roman Hollenstein
Der Grossraum Los Angeles besitzt eine Vielzahl von Meisterwerken der Villenarchitektur. Doch während man von Frank Gehrys spektakulärer Disney Hall neue städtische Impulse erhofft, ziehen Schatten über zwei Ikonen der Moderne auf: Frank Lloyd Wrights Hollyhock House und Rudolf Schindlers Bungalow in West Hollywood.

Für seine gebauten Extravaganzen ist Los Angeles bekannt. So besitzt Downtown nicht nur bizarre Kinopaläste, sondern mit Public Library und City Hall zwei Art-déco-Wahrzeichen, auf die andere Städte stolz wären. Doch erst das von Richard Meier wie eine neue Alhambra auf den Hügeln von Brentwood errichtete Getty Center, die neue Kathedrale von Rafael Moneo, vor allem aber die wogende Stahlskulptur von Frank Gehrys Disney Hall konnten den Angelenos die Gewissheit geben, dass ihre Stadt nun auch architektonisch erwachsen ist. Dabei besitzt der Grossraum Los Angeles seit langem eine Vielzahl wegweisender Villen - vom Gamble House der Arts- and-Craft-Architekten Green and Green über die Bauten Irving Gills und Richard Neutras Lovell- Haus bis hin zu den Case Study Houses von Charles und Ray Eames oder Pierre Koenig. Die bedeutendste Wohnarchitektur der südkalifornischen Metropole aber ist das Hollyhock House - eine Mischung aus Villa, Heiligtum und Kulturbezirk. Diesen magischen, zwischen aztekischen, ostasiatischen und modernen Formen oszillierenden Baukomplex liess Aline Barnsdall, die Tochter eines Ölmagnaten aus Pennsylvanien, ab 1917 auf Olive Hill errichten - und zwar von keinem Geringeren als Frank Lloyd Wright.


Eine Akropolis der Kunst

Die Anlage, die ursprünglich neben der Villa und zwei ebenfalls realisierten Gästehäusern auch ein Theater, ein Kino sowie Schauspielerunterkünfte hätte umfassen sollen, markiert die Wende Wrights vom offenen Präriestil hin zu einer monumentalen, nach innen gerichteten Architektur. Da sich der Meister damals aber ganz auf das Imperial-Hotel-Projekt in Tokio konzentrierte, überwachte sein junger Mitarbeiter Rudolf Schindler die Entstehung dieser «Californian Romanza», die sich bald schon höchst pittoresk auf der Kuppe von Olive Hill erheben sollte. Doch nicht einmal die prachtvolle Aussicht über Stadt und Berge konnte es verhindern, dass Aline Barnsdall sich auf ihrem Musenhügel unwohl fühlte, das Kulturprojekt abbrach und 1927 das Hollyhock House samt weitläufiger Parkanlage der Stadt schenkte: mit der Auflage, daraus einen Kulturbezirk zu machen.

Das Geschenk war ebenso wertvoll wie der Unterhalt aufwendig. Zwar liess die Stadt ein formal Wrights kalifornischen Werken nachempfundenes Municipal Art Center mit Galerie und Theater errichten, vermietete aber mit dem Hollyhock House das eigentliche Juwel an kulturelle Institutionen, welche das von Wright und Schindler ausgestattete Innere veränderten. Mitte der siebziger und Ende der achtziger Jahre wurden dann Restaurierungsarbeiten durchgeführt, die Interieurs und Möbel zum Teil rekonstruiert und das Haus Besuchern geöffnet. Doch nach dem Northridge-Erdbeben schloss man das in Mitleidenschaft gezogene Haus; und der lange schon vernachlässigte Park wurde zum Refugium für Obdachlose. Erst im September 2001 machte sich die Stadt an die fast 20 Millionen Dollar teure Sanierung der Grünanlagen: Am Nordhang mit dem Traumblick auf die Hollywood Hills wurden wieder Olivenhaine und auf dem Hochplateau zwischen Hollyhock House und Municipal Art Gallery ein Pinienwäldchen angepflanzt.

Doch auch nach der Wiedereröffnung von Olive Hill im letzten Mai bleibt das Hollyhock House geschlossen. Zwar wurden die schlimmsten Erdbebenschäden saniert; das Gebäude aber zeigt sich weiterhin in einem verwitterten Zustand, der eines Baudenkmals von Weltrang nicht würdig ist. Wann die auf zusätzliche 20 Millionen Dollar geschätzte Restaurierung in Angriff genommen werden kann, bleibt ungewiss. Sicher hingegen ist, dass sich die architektonisch und kulturhistorisch bedeutende Anlage zusammen mit einem noch zu bauenden Aussichtsrestaurant sowie dem Museum, das man anspruchsvoll (und nicht nur mit der improvisiert wirkenden Hollyhock-House- Show) bespielen könnte, in ein erstrangiges Ausflugsziel verwandeln liesse.

Wie wichtig eine besucherfreundliche Infrastruktur ist, zeigt das Beispiel des Bungalows, den Rudolf Schindler 1922, während er auf Olive Hill arbeitete, in Fertigbauweise als Doppelhaus mit gemeinsamer Küche, aber individuellen Gartenhöfen in West Hollywood realisierte. Obwohl das einst wohl als Antithese zum gravitätischen Hollyhock House gedachte, mittlerweile etwas in die Jahre gekommene Experimentalhaus öffentlich zugänglich ist, wird es höchstens von Architekturliebhabern besucht, weil es ausser einem Bookshop und gelegentlichen Ausstellungen nur leere Räume bietet. Gleichwohl rückte das Schindler- Haus jüngst ins Rampenlicht. Dies, weil der Investor Richard Loring auf dem Nachbargrundstück an der einst von Villen gesäumten Kings Road ein grosses Apartmenthaus erstellen möchte. Zum Widerstand gegen das Vorhaben rief nun das Museum für angewandte Kunst in Wien (MAK) auf, welches sich seit 1995 am Betrieb des Schindler-Hauses beteiligt. MAK-Direktor Peter Noever sprach sogar davon, dass «Schindler's Paradise» zum isolierten Museumsstück degradiert werde, wenn man den Kontext zerstöre.


Ideenwettbewerb

Dieser Sicht kann man entgegenhalten, dass das Haus schon jetzt von Wohnblocks bedrängt und seine Nutzung längst museal sei. Dennoch trifft es zu, dass die stimmungsvollen Gartenhöfe durch ein aufdringliches Gegenüber ihren Charakter verlieren würden. Um dem Bauprojekt eine konstruktive Alternative entgegenzustellen, lud Noever zwanzig teils international bekannte, teils junge regionale Büros zu einem Ideenwettbewerb ein. Von Coop Himmelb(l)au über Zaha Hadid bis Eric Owen Moss wurden meist dekonstruktivistische Vorschläge unterbreitet, die - trotz architektonischer Qualität - das Schindler-Haus nicht weniger einengen würden. Die Projekte, von denen man am ehesten Peter Eisenmans Vision eines wie durch ein Erdbeben geborstenen und vom Terrain halbwegs verschluckten Flachbaus realisiert sehen möchte, werden zurzeit mittels Plänen, Computerbildern und Modellen im Schindler-Haus zur Diskussion gestellt. Auch wenn sich dadurch Loring kaum zum Umdenken bewegen lassen dürfte, so wird vom Engagement des MAK zumindest ein Katalog bleiben, der demnächst erscheinen soll.


[Die Ausstellung im Schindler-Haus dauert bis zum 7. Dezember. Angekündigter Katalog: Architectural Resistance: Contemporary Architects Face Schindler Today. Hrsg. Peter Noever. Verlag Hatje Cantz, Ostfildern 2003. 120 S., Fr. 42.-.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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