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Die guten Götter von Manhattan
Der Standard

Architekten als Kreatoren einer besseren, friedlicheren Welt? Die Schlacht um die Neugestaltung von Ground Zero hat längst begonnen. Wer sie gewinnt, wird so etwas wie ein Symbolgebäude emporwuchten, vor allem aber wird er sich selbst neu erschaffen - als Architektursuperstar.

4. Februar 2002 - Ute Woltron
New York - Zum Glück gibt es Herrn Max Protetch. Und Gott sei Dank hat er eine Galerie in Manhattan. Wie schön, dass er die Sache sofort in die Hand nahm, als nach dem 11. September des Vorjahrs klar wurde, dass dort, wo früher die beiden Türme des World Trade Centers gestanden hatten, architekonischer Handlungsbedarf bestand.

Wenn sich der New Yorker Galerist nicht bereits Anfang Oktober „spontan“ ans Telefon gehängt, die internationale Architektenschaft rund um den terrorerschütterten Globus antelefoniert und um persönliche Entwürfe und Visionen für eine Neugestaltung von „Ground Zero“ gebeten hätte, die auszustellen er beabsichtigte, dann wäre die Sache nicht so rund gelaufen. Dann hätte man wahrscheinlich noch nicht einmal die Phase des persönlichen wie nationalen In-Sich-Gehens und Nachdenkens überwunden - wo doch noch nicht einmal die letzten Leichen geborgen werden konnten. Und die Architekten hätten irgendwie ethisch-moralische Probleme gehabt, gleich loszulegen und ihre Monumentalentwürfe zur Heilung dieser Katastrophenwunde herzuzeigen, während noch die Trümmer rauchten.

Doch Protetch und seine Galerie machten legitim und offiziell, was die meisten Architekten ohnehin mit einem Schauder des Entzückens heimlich dachten: Lasst uns jetzt gleich ein neues, noch gigantischeres World Trade Center planen, lasst uns der Welt zeigen, was wir Architekten anzubieten haben - und das ist nichts weniger als das Erschaffen eines neuen Manhattan, eines neuen Symbols der westlichen Welt, quasi eines weltweit sichtbaren Architekturzeigefingers. Jetzt erst recht.

Die formenden Architekturkräfte der zivilisierten Menschheit standen augenblicklich wie ein Mann hinter dem Vorhaben, und der ist, wenn man die Teilnehmerschaft an Protetchs Wettbewerb hernimmt, von weißer Hautfarbe und knapp 60 Jahre alt. Bis auf ein paar Ausnahmen wie Frank Gehry, Peter Eisenman, Philip Johnson oder Rem Koolhaas waren so gut wie alle Antelefonierten zur Tat bereit und lieferten eifrig blitzschnell jene großteils absurden, in die Höhe schießenden Konstrukte ab, die nun in der New Yorker Galerie bis Mitte Februar in Bild und Modell ausgestellt sind.

Wer wird denn in den Geruch der Überheblichkeit kommen, wenn man im Dienste einer Stadt, einer Nation, ja einer Geisteshaltung aufgefordert wird, sein Bestes zu geben? Die Architekten sahen sich immer schon als Konstrukteure besserer Welten. Dass ihnen in den vergangenen Jahrzehnten dieser Anspruch neben einer immer mächtiger werdenden Bauindustrie abhanden gekommen ist, hat eine gewisse Sinnleere produziert, die sich nun an diesem einen Ort herrlich demonstrativ auffüllen lässt.

Vielleicht befeuerte auch ganz nebenbei, sozusagen synergetisch, folgender Umstand den Eifer der Konstrukteure: Eine derart perfekte Chance, sich gramgebeugt in den Mittelpunkt zu spielen, dürfte wohl nicht so bald wieder daherkommen. Keine Zeitung, die an der Sache vorbeikommt, und die Architektenhelden der einzelnen Nationen schaffen, was ihnen ansonsten nie gelingt, nämlich auf den Titelseiten Schlagzeilen zu machen.


Image statt Inhalt

Wer letztlich seine Fundamente in diesem prominentesten Baugrund der international wichtigsten Hochhausstadt verankern wird, bleibt da fast schon egal. Die vereinigten Fernsehkameras und Pressefotografen der Welt zeigen jetzt einmal, was sein könnte, und das allein ist schon Goldes wert in einer Szene, die zumindest medial mittlerweile hauptsächlich von Image anstelle von Inhalt bestimmt wird.

Dass mit der schwerst belasteten Baulücke zwischen den Hochhäusern etwas geschehen muss - und zwar rasch und im Dienste der Stadt, ihrer Einwohner und ihrer Wirtschaft -, ist natürlich klar. Investoren und Immobilienmanager wie Larry Silverstein, der Mieter des WTC, drängen bereits auf Lösungen. Silversteins Vorschlag, vier niedrigere, schlichte Türme samt Memorial-Zone zu errichten, scheint vernünftig und unkapriziös. Sie ist auf jeden Fall sympathischer, weil ehrlicher als all jene monumentalen Riesengebilde, die die weltverbessernde Architektenschaft in ihrer Eitelkeit vor die laufenden Kameras hielt.

Das World Trade Center, so sagt man, sei ein Schloss des Geldes und ein Sinnbild des Kapitalismus gewesen. Rund um die Trümmer hängen Transparente, auf denen steht: „United we stand“. Dieser Slogan war einmal die Antwort auf den Manchesterkapitalismus gewesen, erfunden wurde er von den ersten Gewerkschaften der Geschichte. Während die Kinderarbeit und den 18-Stunden-Tag bekämpften, betätigten sich Architekten in Europa - durchaus auch eigeninitiativ - an der Verbesserung der katastrophalen Arbeiterslums. Sehr erfolgreich und in die Architekturgeschichte eingehend. Posthum, versteht sich.

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