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In die Luft projiziert, aus der Erde gestampft?
Neue Zürcher Zeitung

Laufplanken und neue Pläne für Ground Zero

11. Januar 2002 - Andrea Köhler
Eigentlich sollten die Twin Towers zum Jahreswechsel ja wieder am Horizont erscheinen, als computergesteuertes Lichtspektakel und funkelnde Simulation, «grösser» natürlich, als sie in Wirklichkeit waren, bis zu sechs Kilometer hoch, ein gigantisches Zaubertheater aus Gas und Hightech. Das Illusions-WTC, von Ingenieuren einer kanadischen Firma in der norditalienischen Stadt Alessandria am Bildschirm entworfen, sollte bereits als Weihnachtsgeschenk in die New Yorker Nacht projiziert werden, aber vielleicht ging es mit dieser Himmelsskulptur aus Hochleistungsscheinwerfern wie mit so vielen Gerüchten und Plänen in diesen Tagen: Sie verschwinden, wie sie gekommen sind, und waren vielleicht von Anfang an nur ein Fake, bigger than life.

Der Plan, die Twin Towers in ihrer alten Gestalt auch in Wirklichkeit wieder erstehen zu lassen, scheint dagegen endgültig verworfen worden zu sein, aber auch Ex-Bürgermeister Giulianis noch letzte Woche lancierte Idee, den «Holy Ground» ausschliesslich in eine Gedenkstätte zu verwandeln, wurde von seinem Amtsnachfolger Michael R. Bloomberg als Allererstes verworfen. Bloomberg, der sein neues Amt zum Jahreswechsel mit einer Rede antrat, für deren uninspirierte und monotone Rhetorik er in der Presse sogleich schlechte Noten bekam, hat es ohnehin schwer, sich gegenüber seinem Vorgänger zu profilieren, ein erstes Terrain scheint nun New Yorks seelisches Zentrum zu sein. Bloombergs Vorstellungen sind charakteristisch für den geschäftstüchtigen Pragmatismus, der den millionenschweren Businessman bekannt und nicht nur beliebt gemacht hat: Ein Geschäftszentrum mit Bürotürmen und Apartmenthäusern soll auf Ground Zero entstehen, die Rede ist von vier Türmen, die nicht höher als etwa 50 Stockwerke werden sollen. Zumindest in den Grössenordnungen der Gebäude scheint sich die «Lower Manhattan Redevelopment Authority», jene Gesellschaft also, die für den Wiederaufbau am Ort des ehemaligen World Trade Center verantwortlich ist, einig zu sein. Doch immer häufiger werden daneben Stimmen laut, die vor einer allzu fixen und bürokratischen Lösung warnen. Die Verletzung, die der Nation durch das Attentat zugefügt worden sei, schrieb Herbert Muschamp in der «New York Times», sei grösser als der Ground Zero und der verständliche Wunsch (oder die uramerikanische Attitüde), die Wunde möglichst rasch zu schliessen, dürfe nicht dazu führen, kühne urbane Visionen im Übereifer gleich mit zu begraben.

Inzwischen ist auf Ground Zero auch das letzte Stückchen Eisengerüst gefallen, jener stählerne Rest, der so frappant an eine gotische Kathedrale erinnerte (und der für eine Gedenkstätte gut das Gerüst hätte bilden können). Und während aus dem immer noch glimmenden Untergrund nach wie vor Leichen geborgen werden, während noch immer Berge von Schutt nach Staten Island geschafft werden, ist für den Katastrophentourismus eine Aussichtsrampe durch das Gelände gelegt, ein hölzerner Laufsteg, geplant von den renommiertesten Architektenbüros der Stadt. Die schlichte Plattform, deren drei übrige Rampen noch im Bau befindlich sind, erlaubt es nun, den Aufräumarbeiten von allen Seiten und mittendrin zuzusehen; Bedenken, dass hier über dem Höllenschlund eine Arena des Grauens errichtet werde, vergehen vor dem wenig spektakulären Ausblick auf einen Bauplatz, auf dem in der Hauptsache nur noch Bagger, Raupen und Lastwagen unterwegs sind.

Auch Einwände, dass hier das Andenken in Devotionalienhandel, die Reverenz an die Toten in Voyeurismus umschlägt, gab es zuhauf, doch scheint das touristische Reanimierungsprogramm vorerst ohnehin keine Früchte zu tragen; wer hierherkommt, dem ist nicht nach Essen und Shoppen zumut. Bis zu fünf Stunden verharrten die ersten Besucher im schneidenden Wind, um sechs Blocks herum wand sich die Schlange der Wartenden. Aus allen Teilen des Landes kommen sie angereist, um hier für ihre Gefühle eine Wirklichkeit wiederzufinden. Der Wunsch, ein Opfer zu bringen, und seien es abgefrorene Zehen, das Pathos eines kollektiven Zusammenstehens in bitterster Kälte sind für Europäer oft schwer verständlich. «Das ist das mindeste, was ich tun kann», hört man von Leuten, die in ihren ohnehin äusserst knapp bemessenen Holidays aus Ohio, aus Illinois, Florida und Kalifornien angereist sind; es scheint, als offenbare sich hier ein uralter Sehnsuchtstopos der amerikanischen Seele: «United we stand» - und sei es mit unseren Opfern.

Doch Ground Zero ist schon länger kein Ort mehr, wo der Geist der Toten über den Wassern schwebt, die in hoch aufschiessenden Fontänen den Staub niederhalten sollen. Nachts ist das Gelände von Scheinwerfern ausgeleuchtet, die die Leere zwischen stehen gebliebenen Hochhäusern mit einem Lichtkegel füllen, welcher die bunten Lasertürme aus Alessandria fast schon erübrigt. Es darf keine Ruhe einkehren über Ground Zero, Tag und Nacht ist das Kreischen der Kräne zu hören, nichts scheint den Seelenfrieden der Stadt mehr zu bedrohen als eine Totenstille über den Trümmern. Auch an den Feiertagen standen die Bauarbeiten nicht still, aus dem ganzen Land waren Freiwillige angereist, um die Rettungsarbeiter wenigstens zu den Festtagen zu entlasten, doch es heisst, dass diese inzwischen geradezu süchtig sind nach dieser Schufterei in den Trümmern, dass sie nichts andres mehr tun und denken können, und anders ist so eine Totengräberarbeit über Wochen und Monate vielleicht gar nicht auszuhalten.

Indessen sind New Yorks neue Twin Towers schon in Arbeit. Upper West Side, am Columbus Circle baut Donald Trump einen Fünf-Sterne-Luxuskomplex, zwei Zwillingstürme, 55 moderate Stockwerke hoch. Das künftige AOL Time Warner Center wird gleich neben dem Trump-Tower-Hotel und der dagegen ziemlich winzigen Columbus-Statue stehen - «at the center of the world, at the center of everything», wie ein Plakat am Fusse der Rohbauten annonciert. Es gibt also gar keinen Grund zur Eile. Die Architekten, die in der Lage wären, für Ground Zero eine überzeugende Lösung zu finden, liess der Stararchitekt Renzo Piano verlauten, seien heute ohnehin erst vier oder fünf Jahre alt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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