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Kunststoff Natur
Neue Zürcher Zeitung

Neue japanische Landschaftsarchitektur in London

18. Januar 2002 - Jörn Ebner
Bei der «Restore Station» in Hiroshima gleiten die Autos vorbei an Hollywoodfilmen, grossflächig projiziert auf haushohe kubische Betonelemente. Dahinter liegt parallel zur Strasse ein gläsernes Café, während ein geodätischer Glasdom einen punktuellen Akzent setzt. Shinichi Ogawas multifunktionales Gelände von 1991, eine geometrische Komposition aus Beton, Stahl und Glas, sitzt in einer sonst leeren Landschaft, aktualisiert diese durch den menschlichen Eingriff und schafft so eine künstliche Natur. Auf ähnlich unkonventionelle Weise treten auch die anderen neun japanischen Landschaftsarchitekten auf, die derzeit im Royal Institute of British Architects in London zu sehen sind - einige erstmals ausserhalb Japans.

Klar definierte geometrische Linien bestimmen das Erscheinungsbild dieser Art von Landschaftsarchitektur, die sich in den letzten zwölf Jahren herauskristallisiert hat. Farbigkeit entsteht durch abgegrenzte unterschiedliche Pflanzungen, die zuweilen in ummauerten Rabatten rechteckig voneinander abgehoben sind wie beim Dachgarten des Gate Tower in Rinku von Makoto Noborisaka. Um diesen türmen sich die Betonpfeiler der umliegenden Autostrassen. Materialunterschiede rhythmisieren Wege und Ruheplätze, Holz und Stein beleben die oft pflanzenleeren Anlagen, skulpturale Objekte sind wie Blumen in den Boden gelassen. Bäume markieren oft nur vereinzelte Punkte im weiten Feld - etwa in den Parkanlagen von Yoshiki Toda, die sich dereinst wieder einem natürlichen Zustand annähern werden. Im Tsunan-Zentralpark und im Tateshina-Skulpturenpark verwendet Toda hingegen runde, fliessende Formen - allein, auch hier besteht kein Zweifel an der Künstlichkeit des Gebauten.

Die Grenzen zwischen Park und Garten verwischen sich bei diesen laut dem Ausstellungstitel zwischen «Moderne und Ma» positionierten Architekten. Ma? Koshi Ohashi erläutert diesen Begriff als unsichtbares Element des sich durch die menschliche Nutzung verändernden Raums. Jene mystische Komponente bleibt also eine unbekannte Grösse, die vielleicht als Gegenstück zu den geometrischen Mustern aus Gras und Wasser gelten mag, mit denen Yoji Sasaki den Vorplatz des NTT Musashino Center gestaltete. Aber auch dessen Anlage gilt der spirituellen Anregung der Mitarbeiter des Unternehmens. NTT drängte dabei übrigens auf eine Anlage, die das Firmenbild nicht widerspiegelt - ganz entgegen japanischer Corporate-Identity-Tradition. Insofern werden traditionelle Verfahren nicht nur mit einem modisch modernen Lebensstil verbunden, sondern auch der Wandlung eines Gesellschaftsbilds zugetragen.


[ Die Ausstellung «From Modernism to Ma. Contemporary Japanese Landscapes» in der RIBA Gallery in London dauert bis zum 16. Februar. Kein Katalog. ]

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