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Protagonist des Industrial Design
Neue Zürcher Zeitung

Ausstellung Christopher Dresser in der Triennale Mailand

Die edlen und schlichten Silbergegenstände, die nach Entwürfen Christopher Dressers in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden, faszinieren auf Grund ihrer Modernität bis heute. Eine Ausstellung in Mailand bietet Gelegenheit, das Werk dieses Protagonisten der industriellen Produktgestaltung zu entdecken.

5. Februar 2002 - Hubertus Adam
Trotz vereinzelten Versuchen - etwa einer monographischen Ausstellung des Kölner Kunstgewerbemuseums 1981 - ist es bislang nicht gelungen, den englischen Gestalter Christopher Dresser (1834-1904) seiner Bedeutung entsprechend auf dem europäischen Kontinent bekannt zu machen. Doch auch in England selbst stand er lange Zeit im Schatten von William Morris und dem Arts and Crafts Movement, mit dem er die Wurzeln teilt, auch wenn er ihm nicht im engeren Sinne zuzurechnen ist. So leistete Nikolaus Pevsner Pionierarbeit, als er den Designer 1937 mit einem ausführlichen Beitrag in der Zeitschrift «Architectural Record» würdigte. Während die Fachpresse bei Dressers Tod noch abschätzig von «Abstraktion und Flächigkeit» seiner Arbeiten gesprochen hatte, kam diesen der sachlich-funktionale Geschmack der dreissiger Jahre entgegen. Pevsners treffender Versuch, Christopher Dresser jenseits des Mainstreams der englischen Kunstgewerbebewegung als Protagonisten der industriellen Produktgestaltung zu verorten, sollte fortan die Rezeption prägen. Konzediert man, dass auch Dressers schlichte und auch heute noch atemberaubend zeitgemässe Silber- und Tonarbeiten weder aus dem Nichts entstanden noch die einzige Facette des Œuvre darstellen, dann kann Pevsners These weiterhin Gültigkeit beanspruchen. Das beweist die von Massimo Valsecchi und Michael Whiteway kuratierte Ausstellung «Christopher Dresser - Un designer alla corte della regina Vittoria» in der Mailänder Triennale. Mit mehr als 250 Katalognummern wird das Werk in einer nie gesehenen Ausführlichkeit vorgestellt. Die Schau besticht weniger durch einen neuen theoretischen Zugang oder einen Perspektivenwechsel als durch die Fülle des Materials, das in den von Mario Bellini entworfenen Ausstellungskojen ansprechend präsentiert wird.


Botanik und Design

Anhand der vor leuchtend gelbem Hintergrund gehängten 55 Farblithographien des 1854 verlegten Mappenwerks «Dickinson's Comprehensive Pictures of the Great Exhibition 1851» werden die Besucher zu Beginn mit der in Paxtons Crystal Palace veranstalteten ersten Weltausstellung konfrontiert, deren geschmacklose Industrieproduktion den wesentlichen Ausgangspunkt für die englische Kunstgewerbereform darstellte. Augustus Welby Pugin, dessen mittelalterlicher Pavillon den Kritikern als einer der wenigen sehenswerten Beiträge der Ausstellung galt, hatte in seinen Publikationen schon einige Jahre zuvor gefordert, keine Elemente an einem Gebäude zu verwenden, die nicht der Funktion oder der Konstruktion dienten; das Ornament habe Berechtigung lediglich als Bereicherung der Konstruktion.

Wichtiger noch als die Schriften von Pugin und Ruskin waren für den jungen Dresser die Kontakte zu dem Architekten und Ornamentiker Owen Jones. Dieser verwarf nicht nur die abbildende Naturnachahmung in der Kunst zugunsten einer Adaption von Strukturprinzipien, sondern widmete sein Interesse vor allem aussereuropäischen Kulturen. Nachdem Dresser zunächst als Botaniker hatte tätig werden wollen - seine ersten beiden Publikationen galten Themen der Pflanzenkunde und verschafften ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Jena -, wechselte er zu Beginn der sechziger Jahre zum Design. Die Keramiken, die nach seinen Entwürfen ab 1862 für die Manufakturen Minton und Wedgwood entstanden, sind von japanischen Vorbildern inspiriert, die im gleichen Jahr erstmals auf der Weltausstellung zu sehen waren. Damit wendet sich der Künstler definitiv von dem Kreis um William Morris ab, der sich formal am englischen Mittelalter orientiert und mit dem Werkstättengedanken auch eine vormoderne Arbeitsform neu zu beleben sucht. Dresser hingegen gründet ein Studio und beliefert mit seinen Entwürfen diverse Manufakturen und Firmen.


Arbeit für die Kunstindustrie

Etwa fünfzig Produktionsstätten aller kunstindustriellen Gewerbe sind es, für die er in seinem gesamten Berufsleben tätig ist - mal zeichnet er Einzelprodukte, mal Serien, mal die ganze Produktpalette. Ägyptische, antike oder südamerikanische Vorbilder interessieren ihn ebenso wie die Morphologie von Pflanzen oder der japanische Reduktionismus. Als Gesandter des South Kensington Museum reist er über die Weltausstellung von Philadelphia (1876) für drei Monate nach Japan, wo er sogar vom Tenno empfangen wird. Zurück in England, reduziert er die Formen, und es entstehen in den siebziger und achtziger Jahren jene Gegenstände, die Dresser zu einer Ausnahmeerscheinung unter den Gestaltern seiner Zeit machen: die silbernen Teekannen, Toasthalter und Tischaccessoires für die Firmen Hukin and Heath, Elkington & Co. (beide Birmingham/ London) sowie Dixon & Sons (Sheffield), ausserdem Produkte für die Töpfereien Linthorpe und Ault und - gegen Ende des Jahrhunderts - deformierte Glasvasen für die in seinem Geburtsort Glasgow ansässige Firma James Couper & Sons.

Nach Materialien und Herstellern gegliedert, werden die nach Entwürfen Dressers angefertigten Objekte grosszügig in Vitrinen präsentiert. Eine Zusammenschau ermöglicht der mittlere Saal der Ausstellung, mit dem die Ausstellungsmacher auf die Art Furniture Alliance Ltd. hinweisen. Als Gemeinschaftsunternehmen unterschiedlicher Hersteller - Aktionäre waren unter anderem Dixon & Sons sowie Arthur Lasenby Liberty - entstand 1880 ein Einrichtungskaufhaus an der Londoner Bond Street, das unter Leitung von Dresser stand. Auch diese Idee kann für ihre Zeit als wegweisend gelten, selbst wenn das Kaufhaus nach drei Jahren schliessen musste.


[ Bis 3. März. Katalog: Michael Whiteway: Christopher Dresser. 1834-1904. Skira Editore, Milano 2001. 208 S., EUR 49.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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