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Die Mentalität der Alpenfurchen
Der Standard

Eine vorweihnachtliche Architekturbuchauswahl - rückbesinnlich und vorausblickend

20. Dezember 2003 - Ute Woltron
Der Zeichner Paul Flora erinnert sich an einen Freund: „Das Spiel der Erhaschung öffentlicher Aufträge, die geheimen Flüsse der Beziehungen hat er zwar durchschaut, aber leider nicht beherrscht. Als ernsthafter und gescheiter Mensch war er kein Kollaborateur der Gemütlichkeit und gewöhnlicher Dummheit, kein Liebhaber der Spaßkultur.“

Floras Erinnerung gilt dem verstorbenen Tiroler Architekten Josef Lackner, dem das Architekturforum Tirol als Herausgeber soeben ein melancholisch-schönes Buch gewidmet hat. Lackner, gestorben 2000, war bekanntlich eine schroffe Persönlichkeit, seine Architekturen sind dementsprechend, publizieren wollte er sie eigentlich nur ungern, weil vom großen Gerede und Geschreibe hielt er nie wirklich viel.

Doch Josef Lackner. Bauten und Projekte. 1950-2001 (Verlag Anton Pustet, € 49,-) ist eine klassische, klare Architekturpublikation geworden, in der - wahrscheinlich ganz im Sinne Lackners - die schlüssig präsentierte Arbeit des Architekten an erster Stelle steht. Ganz hinten wird das Buch weicher, weil hier, unter dem schlichten Titel „Nachrede“, die Lacknerianer zu Wort kommen dürfen: seine Studenten, Freunde, Anhänger. Kollege Reinhard Honold, der an der TU-Innsbruck studierte, schreibt einen bezeichnenden Nachruf: „Lackner ist nicht tot. Im Gegenteil: jünger als die Jungen, selbstbewusst, eigenständig, frech und heiter. Dabei unangreiflich alltagstauglich. Jedenfalls eine lang anhaltende Herausforderung. Ich beneide ihn um sein gelebtes Verständnis für die Mentalität der Alpenfurchen bei gleichzeitig freigeistiger Weltoffenheit. Ihn können die Berge nie behindern, und auch nicht das Tal. Ich will ihn gerne freundlich grüßen.“

Freigeistig und weltoffen kommt auch eine ganz andere Publikation jüngeren Datums daher, die allerdings dem Architektur-Kunst-Stadt-Spaß großen Freiraum einräumt, um nicht zu sagen, insgesamt einen solchen darstellt. Thomas Redl und Heidulf - „von Kärnten“ - Gerngross haben sich mit ST/A/R (zu haben z.B. bei Buchhandlung Morawa, Wien, € 5,- oder im Abo unter www.star-wien.at) eine „Europäische Zeitung für den direkten kulturellen Diskurs“ ausgedacht, „ein primäres Medium, eine Struktur für schöpferisch Tätige“.

Das Heft ist dick, das Spektrum der Beitragenden groß, die Aufbereitung provokant bis lässig, das Durchblättern und Verweilen anstrengend, aber lohnend, zumal hier ein Kunst-und-Publikationen-Recycling stattgefunden hat, das vieles zusammenfasst, was eigentlich ohnehin irgendwie zusammengehört.

Eine interessante Kombination findet sich sogleich auf Seite fünf des Sternenblattes, hier kommen nämlich untereinander die doch etwas konträren Charaktere Gustav Peichl und Roland Rainer zu Wort. Die Gesprächsausschnitte stammen aus dem - ebenfalls neuen, und ebenfalls an dieser Stelle empfohlenen - Buch Die Architektur und ich von Maria Welzig und Gerhard Steixner (Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar, € 29,90), das „eine Bilanz der österreichischen Architektur seit 1945, vermittelt durch ihre Protagonisten“ ziehen will.

Die darin enthaltenen Texte erschienen als Serie in Architektur & Bauforum, die Zusammenfassung der Interviews mit (u.a.) Ernst Hiesmayr, Friedrich Achleitner, Ottokar Uhl, Günther Domenig lesen sich im Durchlauf noch besser, weil untereinander vergleichbar. Harry Glück zum Beispiel, von der Architekturkritik nicht immer wertfrei behandelt, kann hier seine Wohnhäuser treffsicher und wortgewaltig analysieren und verteidigen. Er habe „im Neckermann-Format die Lebensqualitäten der Oberschicht auch der breiten Masse zugänglich“ gemacht. Und Harry Seidler referiert über die „spaciousness of things“. „Heutzutage“, so meint er, „gibt es da endless possibilities, da geht es weiter, aber es geht nicht zu der Schachtel zurück.“

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