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Architektur, zur besten Sendezeit im Bild
Der Standard

In den Abendnachrichten werden Bauten zu Bedeutungsträgern: Ein Fernsehprotokoll

13. März 2004 - Oliver Elser
Jeden Abend dasselbe Ritual: Um 19 Uhr und 30 Minuten färbt sich der Fernsehschirm nachtblau, die Nachrichtenhymne setzt ein, wir sehen die Erde aus der Perspektive eines Satelliten unter uns, der Schriftzug ZIB erscheint. Es folgen kurze Einspielungen zu den Nachrichtenthemen. Dann schwillt, während die Kamera von schräg oben ins Studio blickt, die Musik wieder an. Geübte Zuschauer können jetzt schon erkennen, wer die beiden Sprecher für Nachrichten und Kultur diesmal sein werden. Für ca. drei Sekunden ist zu sehen, dass beide am selben Tisch sitzen, der die Form eines zum Zuschauer geöffneten Dreiecks hat. Im vergangenen Jahr wurde das Studiomöbel der Architektengruppe veech.media.architecture mit dem Staatspreis Design ausgezeichnet. Schnitt. „Guten Abend, herzlich willkommen bei der Zeit im Bild.“

Bis hierher folgt die ZIB einer Choreografie des guten Geschmacks. Was nun kommt, ist in der Hektik des Tagesgeschäfts entstanden. Berge von Bildern werden Abend für Abend beim Zuschauer abgeladen. Die Zeiten sind längst vorbei, in denen die Nachrichtensprecher noch die Nachrichten gesprochen haben. Die Themen werden meist nur noch anmoderiert, dann ist ein kleiner Film zu sehen, ein so genannter „Einspieler“, der von einer Stimme aus dem Off kommentiert wird. Das Bildmaterial ist jedoch selten so interessant, dass es selbst einen Nachrichtenwert hätte. Viele Einstellungen sind reines Füllmaterial, angehäuft aus dem Zwang heraus, jeden Satz mit Bildern unterfüttern zu müssen. Und dabei kommt, häufiger als man vielleicht vermuten würde, die Architektur ins Spiel.

Freitag 5. 3., ZIB 1: „Einige ÖVP-Politiker vermuten, Franz Fiedler wollte mit der Bekanntgabe seine Kandidatur bis nach den Landtagswahlen warten.“ Wenige Sekunden zuvor noch sah man den möglichen Präsidentschaftskandidaten, wie er vor dem Marmorhintergrund der Parlamentswandelhalle ein Interview gibt. Dann werden die besagten Politiker zitiert, denen ein Auftritt vor der Kamera aber verwehrt bleibt. Also, so werden es sich der Redakteur und sein Kameramann gedacht haben, braucht es ein Bild, das den gesprochenen Text unterstreicht, ein echtes ÖVP-Bild. Jetzt hätte man auch einfach den Namen der Partei auf ein Papier schreiben und in die Kamera halten können. Stattdessen wird der Eingang zur Parteizentrale gezeigt und in einer zweiten Einstellung eine Ansicht der Fassade. Das Gebäude direkt am Wiener Rathaus ist wie geschaffen für den Sitz einer bürgerlich-konservativen Partei. Die Bilder sprechen durch das Medium der Architektur. Das allerdings nur, weil die Partei sich anscheinend sehr bewusst für ein Gebäude entschieden hat, das zu ihr passt.

Freitag 5. 3., ZIB 1: „Verbindliche Bildungsstandards für österreichische Schüler“ Kameraschwenk im Klassenzimmer, die Schüler stecken ihre Köpfe zusammen und „büffeln“. Die Off-Stimme erklärt, sie hätten nichts zu befürchten, getestet werden solle die Qualität der Schulen, nicht die der einzelnen Schüler. Trotzdem ist es ein trauriges Bild. An diesem Klassenzimmer mit seinen beklebten Militärspinden und den merkwürdigen Wandverkleidungen ist die Schularchitektur der letzten Jahre mit all ihren vorzüglichen Beispielen vorbeigegangen.

Freitag 5. 3., ZIB 1: „ÖIAG stellt weitere Privatisierungen für 2004 in Aussicht, darunter die Anteile an der Telekom“ Wirtschaftsnachrichten sind im IT-Zeitalter ein schwierig zu bebilderndes Thema. Postangestellte oder Bergarbeiter eignen sich für prägnante Bildmotive, aber womit die Telekom ihr Geld verdient, kann kaum gefilmt werden. Wieder ist die Architektur ein Umweg. Der Blick in die glasgedeckte Halle wäre auch an sich schon spektakulär, kann aber erst durch den grasgrünen Tresen mit roten Streifen ganz eindeutig zugeordnet werden. Schlechter ist es um die ÖIAG selbst bestellt. Die Holding der ehemaligen Staatsbetriebe ist so wenig greifbar, dass sich nur die videobestückte Gegensprechanlage in einem anonymen Bürobau zeigen lässt.

Freitag 5. 3., ZIB 1: „Russisches Parlament bestätigt Premier Michail Fradkow“ Korrespondenten führen mitunter ein hartes Leben. Der Architekturhintergrund, vor dem Susanne Scholl frierend posiert, erfüllt dieselbe Funktion wie einst die Urlaubspostkarte. Er dient als Beweis. Frau Scholl ist unsere Frau in Moskau.

Freitag 5. 3., ZIB 1: „Zwischenbilanz der Diagonale“ Der Grazer Uhrturm ist auch mit Doppelgänger ein Wahrzeichen. Er hat zwar nicht direkt mit dem Filmfestival zu tun, steht aber genauso prägnant für Graz wie für Kultur.

Montag, 8. 3., ZIB 1: „Die Kärntner SPÖ berät ihr Verhalten bei der Wahl Jörg Haiders“ „Hinter verschlossenen Türen“ ist sprachlich ein treffendes Bild. Und genau so wurde die interne SPÖ-Diskussion auch illustriert. Die Einstellung dauert nur wenige Sekunden. Erst in der Aufzeichnung wird erkennbar, dass die sozialdemokratische Partei ihre Eingangstür mit zwei Blumengebinden schmückt, als sei es die Einfahrt zu einer Villa am Land.

Montag, 8. 3., ZIB 1: „Reaktionen auf die Landtagswahlen: Kritik an der ÖVP kommt auch aus Niederösterreich“ Als neu gebaute Landeshauptstadt eignet sich St. Pölten hervorragend für Fernsehbilder. Erst wird der Regierungssitz von außen gezeigt, dann sieht man Landeshauptmann Erwin Pröll an seinem Arbeitstisch vor einer riesigen Glasfassade.

Montag, 8. 3., ZIB 1: „Immer mehr Österreicher sind Schmerzpatienten“ Wo gelitten wird, muss es anscheinend auch entsprechend aussehen, das hatte sich ja bereits bei den Bildern aus dem Klassenzimmer bewährt. Die Arztpraxis dokumentiert den Architekturalltag in seiner tristesten Form. Nicht nur Architekten sollten spätestens jetzt das Programm wechseln.

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