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Neue Architekturbücher für Traditionalisten, Nostalgiker, Bilderfreaks und Computerwürmer

6. Oktober 2001 - Ute Woltron
Herbstzeit ist Bücherzeit. Das ALBUM hat wieder einmal eine erste kleine Auswahl neuer Architekturpublikationen zusammengestellt: Charles-Edouard Jeanneret, bekannter unter dem Namen Le Corbusier (1887-1965), gab 1960, fünf Jahre vor seinem Tod, ein Buch heraus, das er schlicht Mein Werk nannte. Dieses Werk Corbusiers bestand keinesfalls ausschließlich aus Plänen und Architekturen, sondern auch aus zahlreichen Schriften, Vorträgen, Pamphleten zur Gesellschaft und der sich daraus ableitenden Aufgabe des Baukünstlers. Außerdem betätigte sich der Schweizer als formidabler Zeichner und Maler. Der Titel Le Corbusier. Mein Werk. (Hatje Cantz, 715,- öS/ EURO 50,10) fasst all diese Facetten Le Corbusiers sowie diverse historische Fotografien vom Architekten und seinen Gebäuden zu einem publizistischen Kleinod, das lange vergriffen war, nun aber druckfrisch erfreulicher weise wieder aufgelegt wurde.

Ebenfalls eher zu den Oldtimern der Szene darf Hugo Häring (1882-1958) gezählt werden, ein wirklich umfassender Werkbericht des deutschen „neuen“ Bauers stand bisher aus. Häring gehörte der Architektenvereinigung „Der Kreis“ an, die sich um Mies van der Rohe scharte und eine Gegenfraktion zum vorhin beschriebenen Corbusier bildete. Die fette Publikation Hugo Häring. Architekt des Neuen Bauens (Matthias Schirren, Hatje Cantz, öS 936,-/ EURO68) begibt sich gründlich auf die Fährte des Baumannes. Matthias Schirren legt darin ein gründliches Werkverzeichnis sowie eine Bibliographie Härings vor und lässt anhand vieler Pläne, Skizzen und alter Aufnahmen einen Einblick in die Arbeitswelt des zu Unrecht bislang wenig Dokumentierten entstehen.

Mit BLOBMEISTER digitalreal (herausgegeben von Peter Cachola Schmal, Birkhäuser, öS 716,-/ EURO 52,05) tun wir einen Sprung in die Zukunft der Architektur, die, unter anderem, auf dem Computer entschieden wird. Das leider nicht wirklich gut bebilderte Buch (weder die Computergrafiken noch die Fotos der tatsächlich ausgeführten Bauten befriedigen) führt seine Leser und Betrachter in virtuelle Computerwelten, die allerdings wahrhaftig bereits umgesetzt wurden. Die Beispiele spannen den Bogen von den computerisch avantgardistischen USA über die Niederlande und Großbritannien bis nach Japan und überzeugen nur zum Teil. Souverän setzen etwa die Amerikaner Sulan Kolatan und William Mac Donald den Rechner ein, bis dato allerdings für kleinere Architekturformate. Wie das mit Größe funktioniert, zeigt Frank O. Gehry in mittlerweile schier endlosen Wiederholungen, wie es nicht so ganz hinhaut, demonstriert Computerwunderwuzzi Greg Lynn gemeinsam mit Michael McInturf und Garofalo Architects mit der eigenartigen New York Presbyterian Church. Weitere Beispiele finden sich etwa von Oosterhuis, Hadid, Asymptote. Viel aufschlussreicher als die gezeigten Objekte selbst sind die Texte von Leuten wie etwa Marcos Novak und Antonino Saggio.

Ein vergleichsweise erdverbundeneres, diesmal schön-fotolastiges Prachtwerk befasst sich mit dem Thema Treppenhäuser (Catherine Slessor, Callwey, öS 729,-/ EURO49,95) und zeigt anhand einer Fülle von (nicht nur ganz neuen) Beispielen, dass Stiegen und die dazugehörigen Häuser von außergewöhnlicher Vielfalt sein können. Von der stahlseilverspannten Aluminiumtreppe von Future Systems in London, über die in ihrer Zartheit fast papieren wirkende feine Rampe von Kiyoshi Kasai in Tokio, bis zur schweren Holzskulptur von Herzog & de Meuron in Duisburg - dieses Stiegenbuch führt auch mit einfachen Plänen (Schnitte, Ansichten, gelegentlich Details) in die Welt der Treppe.

Zu guter Letzt noch zwei Architektur-Lesebücher: In bignes? Kritik der unternehmerischen Stadt (herausgegeben von Jochen Becker, b-books, öS 225,-/ EURO16,35) wird von fast drei Dutzend Autoren zeitgenössische Urbanität teils sehr witzig, teils ziemlich abstrakt unter die Lupe genommen. Der Ausbau der Städte zu Erlebnislandschaften wird ebenso thematisiert wie Park Fictions, Airline Food, Territoriale Intimitäten oder Sensible Zonen: „Saint-Denis empfängt die Fußball-Weltmeisterschaft“.

Und die Leute vom Grazer Haus der Architektur haben ebenfalls Über die Aufgabe der Architektur als Aufgabe der Architektur nachgedacht, Gäste dazugeladen und diese Gedankengänge zu einer Publikation zusammengefasst (HDA Dokumente zur Architektur 13/14, öS 285,-/ EURO19,90). Ernst Giselbrecht und Harald Saiko: „Dynamik und Veränderung sind grundlegende Erscheinungen unserer Zeit und haben zur Folge, dass Wert und Mehrwert gängige Schlagwörter unserer Gesellschaft sind.“ Das vorliegende Heft fasst quasi Veranstaltungen des HDA in Buchform und wird Fortsetzung finden: „Der Übergang des Programmes von den handelnden Personen zu Phänomenen der Architektur wird anhand des Benutzers, des Users erörtert, welches als nächstes Heft erscheinen wird.“

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