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Jungstars der französischen Designerszene
Neue Zürcher Zeitung

Ausstellung Ronan und Erwan Bouroullec in London

4. März 2002 - Jörn Ebner
Das neue Millennium begann auf der Mailänder Möbelmesse mit einer französischen Sensation: Die Schlafkabine «Lit clos» der Brüder Ronan und Erwan Bouroullec galt als Ereignis des Jahres und warf ein neues Schlaglicht auf die junge französische Designerszene. So jedenfalls stellt es das Londoner Design Museum dar, das zurzeit den umschwärmten Jungstars die erstmalige Gelegenheit bietet, ihr Gesamtwerk der Öffentlichkeit zu präsentieren. Fehlen darf die auf Stelzen erhöhte Schlafkabine dabei selbstverständlich nicht, da sie all jene Qualitäten vereint, die den Bouroullecs wichtig sind: Persönlichkeit, Poesie, Schönheit und Funktionalität.

Das schon recht umfassende Œuvre der Bouroullecs zeichnet sich sowohl durch klare Formgebung als auch durch munteres Formenspiel aus. Die «Vases combinatoires» von 1998 bestehen aus einem achtteiligen, einfarbigen Stecksystem aus Kunststoff, das in einem flachen Fuss zu über 2000 Konfigurationen gestöpselt werden kann. Diese Bereitstellung von Formen zur individuellen Handhabung durch den Käufer zieht sich durch das ganze Werk der Bouroullecs. Teppiche etwa, die an Reissverschlüssen entlang erweitert und umgestaltet werden können, oder eine «Cuisine désintégrée», die nur aus einer Tischkonstruktion besteht, an der gewünschte Bestandteile wie Regale beliebig angebracht werden können. Dieser Interpretation von Funktionalität als individuell adaptierbare Umweltgestaltung steht eine sanft gerundete Formensprache mit poetischem Witz zur Seite: Ihre jüngst entworfene TV-Vase beleuchtet die in ihr steckende Blume bläulich.

Der 30-jährige Ronan und sein fünf Jahre jüngerer Bruder Erwan erläutern ihre Arbeit als assoziative Poesie, die mit klarer Funktionalität kombiniere und damit der japanischen Gedichtform des Haiku vergleichbar sei, in der zwei Bilder nebeneinander gestellt werden. Gleichzeitig sehen sie ihre Produkte als eine Form des Logos, dessen Bildhaftigkeit schnell aufzunehmen ist. So sollen sich beispielsweise bekannte Gegenstände wie Fernseher und Vase in neuer Kombination zu einem erfrischenden, ebenso poetischen wie irritierenden Bild verdichten. Die Bouroullecs vergleichen ihr Werk mit einer Farbpalette und nicht mit einem Gemälde. Denn sie bieten nur die Voraussetzungen für die Nutzung und kein streng festgelegtes Erzeugnis.

Mit ihrer romantischen Funktionalität entzücken die in der Bretagne geborenen Brüder selbst arrivierte Kollegen wie Jasper Morrison und Issey Miyake. Für das Pariser Geschäft des japanischen Modedesigners konzipierten die Bouroullecs die gesamte Innenausstattung. Auch die Ausstellung im Design Museum haben die beiden als wohnlichen Showroom selbst installiert. Sitz- und Liegemöbel wollen als Exponate bewundert werden, sie dienen aber auch der Betrachtung von Videos über das Entstehen des zeichnerischen Entwurfs; Wandelemente stehen als Designobjekte aus Styropor für sich selbst und teilen gleichzeitig den Raum. Entstanden ist so eine schöne neue Welt - ganz im Geist der Brüder Bouroullec.


[Bis 16. Juni im Design Museum London; kein Katalog.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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