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Immer hart am Limit
Immer hart am Limit, Foto: Nigel Young © Foster and Partners
Spectrum

Was Norman Foster, Coop Himmelb(l)au oder auch Vito Acconci erdenken, verwandeln sie in Wirklichkeit: die Grazer Tragwerkplaner Zenkner & Handel. Ihre Ambition: Probleme der Statik mit minimalem Materialaufwand zu lösen.

10. April 2004 - Karin Tschavgova
Tragwerkplaner stehen selten im Rampenlicht. Selbst bei einer Schuldfrage - etwa wenn die Reichsbrücke einstürzt - bleibt es dem Statiker in der Regel erspart, ans Licht der medialen Öffentlichkeit gezerrt zu werden. Zu vielschichtig sind die möglichen Ursachen des Versagens, um sie an einem Fehler und an einer verantwortlichen Instanz festzumachen. Die Tragwerklehre ist ebenso komplex wie abstrakt, und so wird der Statiker nicht selten, trotz der trockenen Materie, in die Nähe des Zauberers gerückt, der Naturkräfte bezwingen soll. „Konstruktionen sind Mittel zur Übertragung von Kräften“, leitet der berühmte Frei Otto einen Aufsatz über Grundbegriffe von Konstruktionen ein. Klingt einfach, doch wer weiß schon Genaueres über Biegung, Zug und Druck, die unsichtbaren Kräfte, die des Konstrukteurs Streben bestimmen, sie in geordnete und berechenbare Bahnen zu leiten. Ein Statiker, der es sich leicht macht, rechnet Sicherheitszuschläge ein und legt ein überdimensioniertes Tragwerk vor. Schwieriger wird es, wenn man der Meinung ist, dass letztendlich das interessanteste Problem der Statik ist, eine Aufgabe mit minimalem Materialaufwand zu lösen.

Großbritannien kann auf eine lange Tradition des konstruktiven Leichtbaus in Eisen und Glas zurückblicken. Die Geschichte der Palmenhäuser und der Kristallpaläste, die Kühnheit ihrer fragilen Konstruktionen sind Ausdruck einer technischen Revolution, die im England des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Die Technologie des Eisengusses ermöglichte es, Bauteile in standardisierter Form herzustellen, sie in Werkstätten zu verbinden und auf der Baustelle nur mehr die Endmontage vorzunehmen. Das war der Beginn der industriellen Bauweise, die die Grundlage der Architektur der Moderne bildete und auch die des modernen Hochhausbaus. Bis heute basiert der amerikanische Skyscraper auf dem Prinzip des Leichtbaus in Stahl.

Heute hat Großbritannien im Architekten Lord (!) Norman Foster, dem vielbauenden Pritzker-Preisträger, den wohl renommiertesten Vertreter des Leichtbaus in Stahl und Glas. Fast immer war in den letzten Jahren die österreichische Firma Waagner Biro an der Realisierung der Bauten von Foster and Partners beteiligt, etwa bei der neuen Kuppel des Reichstags in Berlin; anfangs als Bestbieter bei Ausschreibungen zur Stahl-Glas-Konstruktion, nun schon seit einiger Zeit als erklärter Wunschpartner Fosters.

Bei allen innovativen Projekten der Firma Waagner Biro dabei ist das Grazer Ingenieurbüro der Tragwerkplaner Günther Zenkner und Erich Handel. Der Weg der beiden, die immer noch ein vergleichsweise kleines Büro mit etwa zwölf Mitarbeitern leiten, führte sie nach dem Studium an der TU Graz geradewegs zu Theorie und Lehre als Assistenten und erst relativ spät, vor zehn Jahren, in die Praxis. Umso erstaunlicher ist der Umfang ihres bisherigen OEuvres, das sich wie ein Auszug der spannendsten europäischen Bauaufgaben der letzten Jahre liest. Zenkner & Handel haben die statische Berechnung des Dachs über dem Forum des Sony Center (Entwurf Murphy u. Jahn) in Berlin gemeistert, eine komplexe geometrische Struktur mit einer gefalteten Dachoberfläche. Sie haben leichte, zeltartige Stahlmembrankonstruktionen für das Scientific Center Kuwait ermöglicht, die Glasfassade am Bahnhof von Leipzig (Entwurf Hentrich & Petschnigg) bemessen, in Wien am Andromeda Tower (Holzbauer), am Rucksack des Gasometers (Coop Himmelb(l)au), am Büro- und Geschäftszentrum St. Marx mitgearbeitet und die Glasstatik am Hangar 7 (Burgstaller) in Salzburg ermittelt.

Für Foster and Partners berechneten sie die riesige muschelförmige Dachstruktur des Music Centre Gateshead bei Newcastle, einen Bürohausturm der Canary-Wharf- Gruppe in den Docklands und das Schwingungsverhalten der Wendeltreppe, die sich im neuen Londoner Rathaus spiralförmig vom ersten bis zum achten Stockwerk zieht. Sie haben die Spitze des Swiss Re Towers von Norman Foster realisiert, eine geometrisch komplexe Struktur in Stahl und Glas, die ein neues Highlight am Londoner Nachthimmel darstellen wird.

Nachhaltig konnten Zenkner & Handel ihren Ruf als innovative Ingenieure festigen, als sie den entscheidenden Beitrag zur konstruktiven Lösung der Überdachung des Great Court im ehrwürdigen British Museum lieferten. Das mehr als 6000 Quadratmeter große Dach überspannt ein Geviert von Ausstellungsbauten aus dem 18. Jahrhundert, in dessen Zentrum als Rundbau, leicht versetzt aus der Mitte, der historische Lesesaal steht. Mit dem Büro Happold als Tragwerkplaner hatte Foster ein gänzlich stützenfreies Netzwerk aus Dreieckselementen konzipiert, eine umgedrehte Schale. Das Vergabesystem in England sieht nun vor, die gesamte Verantwortlichkeit für eine Spezialanfertigung, also die der Statik, der Bauphysik, der Materialgüte, der Einhaltung der Kosten und des Zeitplans, in die Hände der ausführenden Firma zu legen. Der Tragwerkplaner wird nur mehr für das Controlling eingesetzt. Aufgrund der Asymmetrie des Dachs ergab sich, dass alle Knoten und Stäbe unterschiedlich ausgebildet werden mussten. Die große Herausforderung für die beiden Statiker bestand nun darin, einen Knoten zu entwickeln, der eine Verbindung zwischen allen Stäben ermöglichte und Kräfte sowie Biegemomente aufnehmen konnte. Wesentliche Kriterien waren die verschiedenen Winkel zwischen den Stäben und ihre Verdrehung zueinander. Die Lösung der Knoten - jeder von ihnen ist automatisiert aus einem starken Blech herausgebrannt und ein Unikat - prägt die Schönheit des Dachs wesentlich. Die enorme Anstrengung in der Entwicklung und Montage des Dachs ist dem feingliedrigen transparenten Netzwerk, das die Londoner Wetterkapriolen wunderbar wiedergeben kann, nicht anzusehen.

Im Entwurf eines Tragwerks in direkter Zusammenarbeit mit dem Architekten sehen die beiden Ingenieure ihre reizvollste Aufgabe. Deswegen war für sie die Entwicklung der Struktur der schwimmenden Acconci-Insel, des Leitprojekts der Stadt Graz 2003, eine besondere Herausforderung. Zehn Jahre der Praxis und Zusammenarbeit mit Architekten haben sie erkennen lassen, wie wichtig ein Architekturverständnis für Bauingenieure wäre und wie groß das Manko ihrer Ausbildung ist, das keine Lehrinhalte über Architektur vorsieht. Zu ihrem Auftraggeber konnten sie in langjähriger Zusammenarbeit ein Vertrauensverhältnis aufbauen, das sich auch in der Verbundenheit des großen Stars Foster niederschlägt. Es wird ihnen ermöglichen, ihre Forschungsschwerpunkte der Seil- und Membrankonstruktionen und der dynamischen Berechnungen fortzuführen. Schön wäre, wenn sie ihren kreativen Elan und ihr fundiertes Wissen auf der Universität weitergeben dürften.

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