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Inspiration aus dem Norden
Neue Zürcher Zeitung

Junge Architekten aus Italien und der Schweiz in Mailand

9. März 2002 - Roman Hollenstein
Jahrelang dämmerte die italienische Baukunst vor sich hin. Doch nun keimt wieder Hoffnung. Zum einen sorgen Projekte ausländischer Stars für frischen Wind, zum andern bemühen sich junge Architektenteams mit viel Einsatz um den internationalen Anschluss. Das ist nicht einfach, da die Wettbewerbskultur und mit ihr das öffentliche Interesse an Architektur erst wieder aufgebaut werden müssen. So bleiben als Orte des Diskurses neben festgefahrenen Hochglanzmagazinen wie «Domus» und sporadisch stattfindenden Ausstellungen vorerst nur die Architekturfakultäten von Venedig, Mailand - und von Mendrisio. Da ist die Initiative des Centro Culturale Svizzero, der Mailänder Aussenstelle von Pro Helvetia, höchst willkommen. Dieses lud fünf junge Architektenteams aus Zürich und ebenso viele aus Italien zu einem «Transalpinarchitettura» betitelten Ausstellungsdialog in seinen Veranstaltungsraum an der Piazza Cavour ein.

Die kleine, von Alberto Alessi eingerichtete Schau macht die unterschiedlichen Temperamente sichtbar, wenn etwa der sachlich kühlen Präsentation der Schweizer das rhetorische Feuerwerk der Italiener antwortet. Gleichzeitig offenbaren sich ganz unterschiedliche Entwurfsstrategien: Entwickeln die Schweizer ihre Projekte aus dem Kontext, so verstehen die Italiener die Architektur zunächst einmal als ein Designproblem. Das zeigt sich beim eleganten Servicecenter in Orio al Serio von De Otto Associati aus Bergamo und mehr noch bei den organischen Projekten (etwa für ein neues Auditorium in Sarajewo) von Sciolari & Orsi aus Rom sowie bei den Medienräumen des ebenfalls in Rom tätigen Büros Ma0. Auf modische Attitüden verzichtet hingegen das Genueser Team 5+1. In seinem Archäologischen Museum von Aquileia schwingen noch Anklänge an Aldo Rossi mit, während in der zusammen mit Chaix & Morel aus Paris realisierten Universität von Savona eine neomodernistische Sprache vorherrscht. Als Wanderer zwischen den Welten erweist sich der in Rom und Zürich tätige Alessi mit seinem Wohnhaus in Travagliato, das von einer Steven Holl verwandten Raumauffassung zeugt.

Noch grösser ist die Vielfalt entwerferischer Positionen im Schaffen der eingeladenen Schweizer Architekten. Ihre Bauten und Entwürfe belegen augenfällig, dass dem Nachwuchs heute Zürich - und nicht mehr Basel und Graubünden - Quell der Inspiration ist. Der plötzliche Ideenreichtum in einer Stadt, die lange ein architektonisches Schattendasein fristete, mag erstaunen. Doch lässt er sich nicht zuletzt mit jener neuen Offenheit erklären, die zurzeit fast alle Bereiche von der Partyszene bis zum Wettbewerbswesen durchweht. Die eigentlichen Senkrechtstarter sind Camenzind & Gräfensteiner, die mit ihrem Pneushop am Mythenquai, ihrer Sporthalle in Uster, ihren Entwürfen für ein Indianermuseum und für die «Seewürfel» in Zürich ebenso brillieren wie mit ihrem Wettbewerbsprojekt für eine wellenförmig sich ausbreitende Überbauung des Ponte Parodi im Hafen von Genua. Wellenförmig ist auch das Dach des Extasia-Pavillons in Yverdon von Vehovar & Jauslin, eines der interessantesten Beiträge zur Expo 2002 überhaupt. Stark konzeptuell arbeiten Grego & Smolenicky, die den Ballettsaal des Zürcher Opernhauses in einen Farbraum verwandelten, beim Hauptquartier von Accenture aber mit Mitteln der Symmetrie für ein nobles Erscheinungsbild sorgten. Ebenfalls auf Symmetrie und Repräsentation setzten Müller & Truniger, und zwar beim Rathaus in Jona, das gleichermassen von Salvisberg und Hans Kollhoff beeinflusst ist. Einer skulpturalen Einfachheit verpflichtet sind die Berner Lehrwerkstätten von Graber & Pulver, doch bei der Erweiterung der Primarschule Bachtobel in Zürich gilt ihr Interesse nun der Rhythmisierung des Baukörpers.

Leicht hätten diese fünf Zürcher Haltungen erweitert werden können um Arbeiten von jüngeren Teams wie Baumann Buffoni Roserens, Bünzli & Courvoisier, EM2N oder Pool. Doch ist nicht Vollständigkeit Ziel der Schau, sondern der Gedankenaustausch zwischen Nord und Süd - wobei selbstverständlich den Italienern die jüngste Schweizer Baukunst nähergebracht, aber auch die italienische Sicht der Architektur nördlich der Alpen bekannt gemacht werden soll. Ganz in diesem Sinn will nun Pro Helvetia den Dialog in Zürich weiterführen.


[Bis 22. März. Kein Katalog.]

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