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Rem Koolhaas total
Neue Zürcher Zeitung

Ausstellungen im NAI und in der Kunsthal Rotterdam

15. April 2004 - Roman Hollenstein
Wer «Content», die grosse Ausstellung des Architekturgurus Rem Koolhaas und seines Rotterdamer Büros OMA in der Neuen Nationalgalerie Berlin (NZZ 20. 11. 03) verpasst hat, dem bietet sich zurzeit Gelegenheit, den Besuch dieser ebenso genialen wie verwirrenden Schau in Rotterdam nachzuholen. Anders als an der Spree, wo Koolhaas die von ihm konstatierten «Mies-takes» der Neuen Nationalgalerie mit seiner chaotischen Installation zu übertönen suchte, durfte er in Rotterdam die Schau in seiner eigenen, von Mies van der Rohe beeinflussten, aber ironisch verfremdeten Kunsthal arrangieren. Mit Erfolg. Denn der in 20 Stationen unterteilte Ausstellungsrundgang wird zu einer schwindelerregenden Reise durch die widersprüchliche Welt des jüngsten, zwischen gebauter Kritik und Kommerzarchitektur schwankenden Œuvre von Koolhaas, seines Büros OMA und seiner städtebaulich-soziologisch tätigen Forschungsabteilung AMO.

Nach dem Projekt für das Universal-Hauptquartier in Los Angeles und mehreren jüngst eröffneten oder der Vollendung entgegengehenden Bauten wie der niederländischen Botschaft in Berlin, der Casa da Musica in Porto und der Stadtbibliothek von Seattle trifft man unvermittelt auf eine Sequenz aus jener «Sex and the City»- Folge, in der Carrie mit ihrem Lover Burger den von Koolhaas kreierten Prada Store in Manhattan besucht. Vom Glamour, der vom Label Koolhaas ausgeht, liess sich selbst Chinas Führung beeindrucken. Soll Koolhaas in Peking doch in ihrem Auftrag einen u-förmig gekrümmten Wolkenkratzer für China Central Television bauen. Am Ende des mit künstlerischen Interventionen aufgelockerten ausstellerischen Wechselbads findet man sich dann in einer Boutique wieder, wo man durch den Erwerb von entsprechend bedruckten T-Shirts oder dem äusserst schrillen Kultbuch «Content» (NZZ 26. 2. 04) die «Koolhaasmania» weiter anheizen kann.

Nach einer Verschnaufpause in Koolhaas' Kunsthal-Restaurant, das (neben dem Café Rotterdam am anderen Maas-Ufer) noch immer eines der angenehmsten Trendlokale Hollands ist, gelangt man durch den vom jung verstorbenen OMA-Wunderkind Yves Brunier gestalteten Museumspark zum Nederlands Architectuurinstituut (NAI). Ergänzend zur Kunsthal-Schau wirft dieses anlässlich von Koolhaas 60. Geburtstag einen Blick auf dessen zwischen 1978 und 1994 entstandenes Frühwerk, und zwar anhand von Zeichnungen, Fotos und Modellen aus den eigenen Beständen. Das NAI konnte nämlich zwischen 1984 und 1994 wichtige Teile von Koolhaas' Archiv erwerben. Deshalb wohl ist in der mit «Start» betitelten und in die Abteilungen «Design Process», «Discovery», «Innovation» und «Masterpieces» gegliederten Schau eine Art Depot eingerichtet, aus dem man sich von Archivaren Unterlagen zu verschiedenen Bauten reichen lassen kann. Im Mittelpunkt dieser Präsentation stehen neben dem noch einem sinnlichen Dekonstruktivismus verpflichteten Nederlands Danstheater in Den Haag und der Kunsthal Rotterdam die nicht realisierten Projekte für das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, die Jussieu-Bibliothek in Paris und das Rotterdamer NAI (das jedoch nach Jo Coenens Plänen erbaut wurde). Diese Arbeiten zeigen, wie sehr Koolhaas den internationalen Architekturdiskurs nun schon seit über 25 Jahren vorantreibt.

[«Content» in der Kunsthal dauert bis zum 29. August, «Start» im NAI bis zum 31. Mai. Katalog: Content. Hrsg. Rem Koolhaas und Brendan McGetrick (englischsprachig). Verlag Taschen, Köln 2004. 544 S., Fr. 19.80.]

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