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Harmloser Bilderreigen
Neue Zürcher Zeitung

„Fassaden der Macht“ - eine Studie von Barbara Kündiger

28. März 2002 - Hubertus Adam
Der Architekt, so heisst es bei Nietzsche, sei stets unter der «Suggestion der Macht» gewesen: «Architektur ist eine Art Macht-Beredsamkeit in Formen (. . .)» In der Tat bedarf der Architekt eines Bauherren und verhält sich damit affirmativ gegenüber einer bestehenden Ordnung, während der Künstler die Möglichkeit hat, eben diese Ordnung kritisch zu befragen. In Zeiten, in denen Architektur im Allgemeinen lediglich als ästhetisches, also als formales Problem wahrgenommen wird, könnte die Frage nach dem sich wandelnden Kräfteverhältnis von Auftraggeber und Auftragnehmer durchaus von Interesse sein. Doch die reich bebilderte Studie «Fassaden der Macht - Architektur der Herrschenden» der Berliner Kunsthistorikerin Barbara Kündiger weicht der Aktualität der Fragestellung aus, indem sie sich auf Wohlbekanntes und Selbstverständliches zurückzieht. Der Wettbewerb für die Umgestaltung des Reichstagsgebäudes und Axel Schultes' Kanzleramt-Entwurf bilden die Berlin-lastige Klammer des Buches, welches ein weites Panorama auffächern möchte, aber dabei seinen Schwerpunkt und eine relevante Fragestellung verliert.

Von der Kaiserpfalz in Aachen und dem Veitsdom in Prag springt die Autorin zum Schloss von Versailles und zur fürstbischöflichen Residenz in Würzburg; vom Capitol in Washington geht die Reise im Hauptkapitel «Staatsform und politische Architektur» über die Parlamentsgebäude in Wien und Brasilia bis zum Wettbewerb für den Sowjetpalast in Moskau und zum Palast der Republik in Berlin, um schliesslich unter dem Stichwort «Kultur als staatliche Inszenierung» bei Johann Otto von Spreckelsens «Grande Arche» in Paris zu enden. Es folgen Kapitel über Rathäuser (Florenz, Siena, Lübeck, Augsburg, Berlin, Hannover), «Inszenierungen der Kirche» (Reims, Albi, Petersdom in Rom) und «multinationale Bauaufgaben des 20. Jahrhunderts» (Völkerbundspalast in Genf und Uno-Gebäude in New York). Gerade nach dem 11. September 2001 wäre das Kapitel «Inszenierungen des Kapitals» von besonderem Interesse, doch was Kündiger über das Woolworth, das Chrysler und das AT&T Building, über das World Trade und das World Financial Center in New York schreibt, übersteigt nicht das deskriptive Niveau eines universitären Proseminars, angereichert durch einige vulgärmarxistische Statements. Zu Recht wird das Thema «Kulturimage» ebenfalls in diesem Kapitel abgehandelt, doch mit den drei Seiten über Richard Meiers Getty Center verschenkt die Autorin eine Fragestellung, welcher eine kritische Publikation zu widmen wäre.

Abgesehen von einigen erhellenden Einschätzungen (beispielsweise der «Grande Arche»), die innerhalb des Buches wie Zufallstreffer wirken, ist die Publikation weder inspiriert noch inspirierend, was nicht zuletzt den häufigen, auf Populismus schielenden sprachlichen Entgleisungen zuzuschreiben ist («Die Reichstagsabgeordneten tagen in einem zugigen Provisorium, und sie wollen da raus»). Auf ein sorgfältiges Lektorat glauben offenkundig selbst renommierte Verlage verzichten zu können. Einer in Zeiten grassierender Affirmation mehr denn je nötigen kritischen Architekturgeschichte hat Barbara Kündiger einen Bärendienst erwiesen. Wer mit der Aussage, Architektur sei «Produkt von Machtverhältnissen, die aus bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen resultieren», aufwartet, desavouiert ungewollt seinen Ansatz und verliert sich in intellektueller Banalität.


[Barbara Kündiger: Fassaden der Macht - Architektur der Herrschenden. Verlag E. A. Seemann, Leipzig 2001. 192 S., Fr. 99.-.]

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