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First Things First
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Produkte haben wir schon genug– verwenden wir Gestaltung, um sozial innovativ zu sein. Stichwort Social Design: ein Rundgang durch Wiener Aktualitäten.

3. Oktober 2015 - Harald Gründl
Design, Kunst und Architektur üben sich bei Festivals aktuell als sozial wirksame Disziplinen und Treiber eines positiven gesellschaftlichen Wandels. Ein häufig verwendetes Format ist eine laborhafte Situation, in der positives gesellschaftliches Handeln untersucht, ausgestellt und erprobt wird. Das Social Lab ist eine geeignete prozesshafte Form, Designstrategien auszuprobieren und unmittelbar erlebbar zu machen. Der Designbeitrag „2051: Smart Life in the City“ zur Vienna Biennale 2015 (Ideas for Change) verwendet die Form, ebenso das Format „Stadtarbeit“ bei der Vienna Design Week 2015. Ein groß angelegtes Social Lab initiiert zudem „Urbanize!“, das internationale Festival für urbane Erkundungen in Wien.

Social Design ist eine Designhaltung und -praxis, welche die Werkzeuge des Designs nutzt, um an einem positiven gesellschaftlichen Wandel zu arbeiten. Um diesen Wandel herbeizuführen, braucht es, wie im österreichischen Klimaschutzbericht als Ratschlag für Politikmachende nachzulesen ist, neben technologischer Innovation auch soziale Innovation und partizipatives Handeln. Victor Papaneks Designbuchklassiker von 1970, „Design for the Real World“, ermahnt dazu, sich nicht nur um die Luxusdesignprobleme des globalen Nordens zu kümmern, sondern um alle. Design für die anderen 90 Prozent der Menschen, aber auch für die anderen 90 Prozent der Herausforderungen, denen wir uns im Rahmen der derzeitigen Auffassung von Designarbeit nicht widmen.

Die mehreren Tausend Flüchtlinge, die täglich in Österreich ankommen, nur für kurze Zeit hier bleiben oder sich dauerhaft ansiedeln wollen, gehören zu diesen 90 Prozent. Die Arbeit an sozialer Innovation eröffnet auch den Raum für neue gestalterische Praktiken. Mit dem Staatspreis Design 2015 wurde in der Kategorie Innenraumgestaltung kürzlich das Hotelprojekt der Caritas, das Magdas Hotel – entworfen und umgesetzt vom Architekturbüro AllesWirdGut – ausgezeichnet. Das Sozialunternehmen Magdas Hotel bietet seine Gastfreundschaft internationalen Hotelgästen und unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen an, ein Großteil des Hotelpersonals hat ebenfalls Fluchterfahrung. Um nicht auf Spenden angewiesen zu sein, werden die Einkünfte des Hotels für die Bereitstellung der Flüchtlingsunterkünfte verwendet. Der Herausforderung, mit knappen Mitteln ein attraktives Hotel auszustatten, trotzten AllesWirdGut mit einer partizipativen Herangehensweise. Zahlreiche Möbel wurden nach einem Aufruf gespendet und mit Freiwilligen teilweise umgestaltet. Gestaltung in solchen Kontexten heißt oft reagieren, moderieren, motivieren und Gestaltungsfreiräume für Co-Kreation zulassen. Die über hundert Lampenschirme, welche an zahlreichen Samstagen mit bunter Wolle eingestrickt wurden, sind Beispiel für Massenkreativität, die sich dann doch in ein gesetztes Bild einfügt. Im Rahmen der Vienna Biennale hat AllesWirdGut ein gleichnamiges Buch herausgegeben, das die Erfahrung dieses und anderer gesellschaftsverändernder Projekte nachvollziehbar macht und zum Nachahmen anregt.

Omas und Opas backen Kuchen

Die Vienna Design Week kooperiert ebenfalls mit der Caritas. Mit dem Projektformat „Stadtarbeit“ initiiert das Designfestival seit 2012 Social-Design-Projekte im Wiener Stadtraum. Die „Vollpension“ der Gebrüder Stich ging nach ihrer Pilotphase während des Festivals heuer als permanentes Sozialunternehmen aus dem Projekt hervor. Hier bereiten Omas und Opas Kuchen und Schweinsbraten für junge Menschen; eine sympathische Form der Inklusion einer Generation, die ihren Lebensabend heute meist im Seniorenheim oder allein zu Hause zubringt. Nach einigen Jahren des Pop-up-Daseins hat sich das Projekt verstetigt und ist so auch nun eines der Vorzeigeprojekte für innovatives Sozialunternehmertum. In der heurigen Ausgabe der „Stadtarbeit“ lädt die Künstlerin Ebru Kurbak zu Workshops am Viktor-Adler-Platz ein, um Kulturtechniken anderer Länder kennenzulernen: eine nomadische Hütte zu bauen oder einen afghanischen Eintopf zu kochen. Studierende des Caritas-Lernsprung-Programms werden so selbst zu Lehrern. Die Künstlerin agiert als Forscherin von alternativen Lernformen, die soziale Inklusion stärken. Der Rahmen eines Designfestivals schafft Aufmerksamkeit dafür und sorgt für Austausch mit einer sonst nicht erreichten Öffentlichkeit: ein Hinweis auf zukünftige Arbeitsgebiete des Designs sowie eine Einladung, zivilgesellschaftliches Engagement zu zeigen.

Das „Cooperative Playground Lab“ des Urbanize! Festivals teilt sich zurzeit gemeinsam mit einer Flüchtlingsunterkunft des Roten Kreuzes ein Gebäude in der Vorderen Zollamtsstraße, das später von der Universität für angewandte Kunst als Standort genutzt werden wird. Vor dem ursprünglich geplanten Eingang des Festivals stehen jetzt wartende Flüchtlinge, Polizei und Rotes Kreuz. Das Motto des Festivals, „Do It Together“, wird in der ungewöhnlichen Hausgemeinschaft auf die Probe gestellt. Auch hier wird wieder kooperativ gehämmert und gesägt, es entstehen Möbel für die Flüchtlinge im Notquartier. Angebot und Programm des Festivals wurden so erweitert, dass auch die Menschen auf der Flucht angesprochen werden. Nach Ende des Festivals werden künstlerische räumliche Elemente wie der Kinderspielplatz vom Adhocrates Collective den Flüchtlingen weiter zur Verfügung stehen.

Die gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen wir stehen, finden Lösungsansätze in der Arbeitsweise der Akteure, die in diesen temporären Versuchsanordnungen alternative Zukünfte erproben. Jetzt braucht es Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, um die Arbeit der sozialen Labors zu skalieren, sie tragfähig und als Arbeitsfeld attraktiv zu machen. Die Arbeitssituation vieler Akteure des Wandels ist prekär. Für einen Wandel müssen wir sie stärken und ihnen eine Perspektive jenseits der Festivals geben. Umweltschutz, Kooperation, Inklusion, Offenheit und Gemeinwohlorientierung sind Werte, auf denen Social Design aufbaut. Unternehmen, Kommunen und zivilgesellschaftliche Initiativen, die diese Werte teilen, sind der Nährboden für ein neues Designverständnis und sinnvolle Kreativarbeit. „First Things First“ hieß das Grafikmanifest, das 1964 von Ken Garland veröffentlicht wurde und sich für eine humanitäre Ausrichtung im Design einsetzte. Die kreative Energie, die in den Entwurf und die Bewerbung für sinnlose Produkte geht, könnte besser eingesetzt sein, war sein Befund. Produkte haben wir genug heute – verwenden wir Gestaltung, um sozial innovativ zu sein.

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