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Selbst ist das Haus
Der Standard

In Straßburg steht ein sogenannter energiepositiver Wohnturm – angeblich der erste weltweit. Er erzeugt mehr Energie, als er benötigt. Fassade und Dach sind voller Solarpaneele. Sieht so das Bauen der Zukunft aus?

26. April 2024 - Lisa Breit
Es sieht schon auf den ersten Blick nicht aus wie ein gewöhnliches Wohnhaus – überragt es doch alle anderen in der Umgebung. Bewohnerinnen und Bewohner haben schon die ersten Sessel auf die Balkone gestellt, die hohen Temperaturen laden dazu ein. Tritt man näher, sieht man die vielen Solarpaneele, das halbe Gebäude ist voll davon. Der Tour Elithis Danube in Straßburg ist das erste „Plus-Energie-Effizienz“-Wohngebäude in Europa und, laut seinen Erbauern, sogar weltweit.

Solarpaneele sind nicht nur auf der Fassade angebracht, sondern auch am Dach. Die ganze Photovoltaikanlage umfasst rund 1300 Quadratmeter Fläche, das entspricht circa zwei Tennisplätzen. 177.000 Kilowattstunden Strom erzeugt sie im Jahr, heißt es von der Ingenieurgruppe Elithis, die das Gebäude realisiert hat. Zur Orientierung: Laut Schätzungen benötigt ein Zweipersonenhaushalt zwischen 2000 und 2400 Kilowattstunden pro Jahr. Mit der Energie, die die Anlage hervorbringt, kochen die Menschen oder beleuchten ihre Wohnungen. Was sie nicht benötigen, fließt ins Netz. Der Ertrag daraus wird an die Bewohnerinnen und Bewohner ausbezahlt.

Dass die Paneele nicht gleich ins Auge stechen, sei eine bewusste Entscheidung gewesen, sagt Steven Loiseau von Elithis: „Wir haben versucht, dass sie möglichst nicht auffallen.“ Bei Elithis sieht man sich als Pionier für umweltfreundliche Bauprojekte. Schließlich habe man schon 2005 ein Bürogebäude als Plus-Energie-Gebäude realisiert. „Das ist fast 20 Jahre her.“

Der Tour Elithis Danube wurde 2018 fertiggestellt. Auf den 13 Stockwerken befinden sich 63 Wohnungen, die meisten mit zwei oder drei Zimmern. Laut Loiseau sei der Bau nicht teurer gewesen als von herkömmlichen Wohnhäusern, dadurch sei der Wohnraum leistbar. Elithis verkaufte nach Fertigstellung an einen Investor, der die Wohnungen vermietet. Büros sind ebenfalls in dem Gebäude untergebracht.

Strom eigens produziert

Im Vergleich zu einem herkömmlichen Wohngebäude sei der Tour Elithis für zwölfmal weniger CO₂-Emissionen verantwortlich, sagt Loiseau. „Unsere Elektrizität produzieren wir selbst, das warme Wasser wird mittels Fernwärme erzeugt.“ Zwei Jahre nach Einzug seien den Bewohnerinnen durchschnittlich 14 Euro pro Monat an Energiekosten für ihre Wohnungen angefallen. Daran zeige sich, dass Umweltverträglichkeit kein Selbstzweck sei – „es ist auch ein Gewinn für jeden Einzelnen, finanziell gesehen“.

Eine Art digitaler Berater soll die Bewohnerinnen und Bewohner zu einem möglichst ökologischen Verhalten motivieren. Mit dem Tool können sie ihren Energieverbrauch per Bildschirm überwachen, und zwar in Echtzeit. Es erinnert sie auch daran, an einem heißen Sonnentag ihre Jalousien herunterzufahren. Das funktioniert übrigens auch aus der Ferne, ganz im Sinne eines Smart Home.

Loiseau zufolge funktioniert die Intervention. Die Menschen würden sich regelmäßig im Gemeinschaftsbereich am Dach treffen, um ihre Ergebnisse zu vergleichen. Sie würden es als eine Art Wettbewerb sehen. Was außerdem zur Disziplin beitrage: „Wir geben jenen, die besonders wenig verbraucht haben, einen Bonus.“ Er belaufe sich auf 120 Euro pro Jahr. Das sei nicht so viel, dass jene, die nicht mitmachen, einen großen Nachteil haben, aber gerade genug, um andere zu motivieren.

Das Wohngebäude befindet sich in Le Danube, einem relativ neuen Viertel, das als besonders ökologisch gilt, wegen der vielen Radwege und großzügigen Grünflächen, aber auch aufgrund innovativer Neubauten. „Der Wohnturm passte da gut dazu“, sagt Loiseau.

Laut der französischen Zeitung Le Monde sei der Tour Elithis Danube inzwischen „ikonisch“ für die Stadt, gleichauf mit der berühmten Kathedrale oder dem Europäischen Parlament. Für sie repräsentiere er die „Welt von morgen“, meint eine Straßburgerin in einem Fernsehbeitrag.

Aber nicht alles in dem Vorzeigehaus funktioniert reibungslos. So berichtete Le Monde im April des Vorjahres über erste Probleme, fünf Jahre nach Fertigstellung. Bewohnerinnen und Bewohner bemängelten die teils billige Ausstattung. Im Winter des Vorjahres sei die Heizung in einigen Wohnungen ausgefallen – und im Sommer wäre es dafür drückend heiß.

Für den Ausfall der Heizung sei laut Loiseau nicht Elithis verantwortlich, der der Wohnturm ja nicht mehr gehöre, sondern das Gebäudemanagement. Die Heizung sei nicht ausreichend gewartet worden. „Wir haben alles getan, um bei der Lösung des Problems zu helfen, doch es war nicht unsere Schuld.“ Dennoch sei der Imageschaden passiert.

Die Hitze im Sommer wiederum entstehe, wenn die Jalousien an heißen Tagen nicht heruntergefahren werden. Bei Messungen habe man große Unterschiede in vergleichbaren Wohnungen festgestellt: Während in der einen die Temperaturen sehr hoch gewesen seien, waren sie in der anderen angeblich erträglich. Loiseau erklärt sich das damit, dass die einen Bewohner den Empfehlungen des digitalen Beraters gefolgt waren und die anderen nicht.

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