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db 2024|05
Umhüllt
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Umbau zu einem Generationenhaus in Vorarlberg

In einem kleinen Bergdorf in Vorarlberg haben MWArchitekten ein Einfamilienhaus so transformiert, dass es nun Platz für drei Generationen bietet. Kern des Entwurfs ist eine fein abgestimmte Holzhülle, die präzise zwischen Intimität und Transparenz changiert.

3. Mai 2024 - Alexander Russ
Wie geht man mit einem Einfamilienhaus aus den 1980er-Jahren um, das keine architektonischen Qualitäten aufweist? Und das nun Platz für drei Generationen bieten soll? Ein Abriss liegt da nahe, zumal es sich – zumindest anfangs –, um die kostengünstigere Variante handelte. Trotzdem entschieden sich die Bauherren des Generationenhauses in einem kleinen Vorarlberger Bergdorf für den größtmöglichen Erhalt der Bausubstanz. Der Grund ist in der Geschichte des Gebäudes zu finden, wie Lukas Mähr von MWArchitekten erläutert: »Die Familie errichtete das Haus ursprünglich selbst und setzte das sehr hochwertig um. Im Bestand steckten also gute Materialien und viel Herzblut.« Für den Umbau verfolgte Mähr das Konzept einer umschließenden Holzhülle. Sie verwandelt das Konglomerat aus Wohnhaus und Doppelgarage in ein homogenes Ganzes, das nun wie selbstverständlich an seinem Platz sitzt. Dabei hielt die Lage des Hauses aufgrund der Erschließungssituation und der vorhandenen Bebauungsdichte einige Herausforderungen bereit. Das kleine Dorf, oberhalb des Rheintals gelegen und über Serpentinen mit dem Auto erreichbar, weist einen historisch gewachsenen Kern auf. Traditionelle Holzbauten mit einer Mischnutzung aus Wohnen und Landwirtschaft prägen den Ort. Alles ist über enge und steile Gassen miteinander verbunden – und so war die Erschließung eines der ersten Probleme, die der Architekt lösen musste. Um mehr Wohnraum zu schaffen, wurde die ursprünglich im EG befindliche Garage auf die nördliche Querseite des im Hang sitzenden UGs verlegt. Damit die Zufahrt funktioniert, dürfen die Bauherren nun beim gegenüberliegenden Nachbarn rangieren.

Neue räumliche Zonierung

Die Verlegung der Garage ermöglichte eine neue Zonierung des EGs, wobei sich der Architekt an die ursprüngliche Aufteilung von Betongarage und Mauerwerkshaus hielt: Die ehemalige Außenwand des Gebäudes dient im Norden nun als Trennwand für zwei Wohneinheiten, die sich jeweils über das EG und das 1. OG verteilen. In der ehemaligen Garage im Norden ist nun eine Einliegerwohnung mit 75 m² untergebracht. Das südlich gelegene Haupthaus bietet auf 175 m² Platz für eine fünfköpfige Familie. Beide verfügen über separate Eingänge, haben aber über entsprechend platzierte Türen im Innern Zugang zur Kellertreppe. Sie ist Teil der ehemaligen Haupterschließung in Form einer zweiläufigen Treppe, die in der Familienwohnung zum OG führt. In der Einliegerwohnung übernimmt das eine neue, im Wohnbereich platzierte Stichtreppe. Dabei achtete Mähr auf die größtmögliche Beibehaltung der räumlichen Zonierung und damit auch auf die Bewahrung der Bausubstanz. Eine vorhandene Mauerwerkswand in der größeren Wohnung trennt etwa das Wohnzimmer auf der Straßenseite vom Ess- und Kochbereich auf der Hangseite. Gleichzeitig wird sie durch Schiebetüren perforiert, die fließende räumliche Übergänge erzeugen. Im Gegensatz zu den beiden Geschossen darunter handelt es sich beim 1. OG um eine neue Konstruktion in Holzständerbauweise mit Zellulosedämmung. Sie ersetzt das alte DG, das einen zu niedrigen Kniestock hatte. Durch die dazugewonnene Raumhöhe konnten drei Schlafzimmer, ein großes Arbeitszimmer und zwei Bäder in der Familienwohnung untergebracht werden. Der Grundriss ist flexibel gehalten und ohne größere Baumaßnahmen neu konfigurierbar. Ein Beispiel ist das durch einen Luftraum mit dem darunterliegenden Ess- und Kochbereich verbundene Arbeitszimmer. Es kann in ein räumlich abgetrenntes Schlafzimmer umgewandelt werden, da die Unterteilung der im Süden gelegenen Fenstertüren das Andocken einer neuen Trennwand ermöglicht.

Präziser Filter

Beim zentralen Thema des Entwurfs, der umschließenden Hülle, ließ sich Mähr von der umgebenden Bebauung inspirieren: »Die traditionellen Häuser vor Ort mit ihrer pragmatischen Holzarchitektur, dem massiven Sockel und der einfachen Bretterschalung für die Fassade, haben den Entwurf stark beeinflusst. Typisch für die lokale Architektur ist auch ein Vorbereich, zum Beispiel in Form eines Schopfs, der eine Pufferzone zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen bildet«, sagt er über das Konzept. Ähnlich wie beim Grundriss reagiert auch die neue Fassade auf den Bestand. So wurden die vorhandenen Fensteröffnungen im UG und EG entweder beibehalten oder an einigen Stellen leicht modifiziert – etwa beim links vom Eingang liegenden Bandfenster, das ursprünglich aus zwei Öffnungen bestand. Eine vertikale Lattung aus Weißtanne dient als Wetterschale für die Holz- und Mauerwerkswände. Sie fasst das Haus ein und legt sich in Form einzelner Latten teilweise über die Fenster. Das bietet einerseits den aufgrund der hohen Bebauungsdichte notwendigen Sichtschutz zu den Nachbarn. Anderseits hält sie das Gebäude zusammen. Um eine homogene Kubatur auf der Eingangsseite im Osten zu ermöglichen, wurde die zuvor zurückspringende Außenwand der ehemaligen Garage im EG an die Flucht des Wohnhauses angepasst. Der neue Eingang mit den beiden Wohnungstüren springt nun in der Fassade zurück und definiert einen geschützten Vorbereich.

Ein bestimmendes Element der Fassade ist der räumliche Filter mit perforierter Holzlattung, den Mähr als vorgestellte Holzkonstruktion auf der Hangseite des Gebäudes anordnete. Er ersetzt einen länglichen Betonbalkon, kragt aber im Unterschied zu diesem nicht aus, sondern steht mit seinen Stützen auf einem kleinen Vorsprung an der Hangkante. Dabei umschließt er als eine Art Schopf den Sockelbereich im UG, der weiß verputzt belassen wurde. So wird das Thema der homogenen Hülle konsequent fortgeführt. Gleichzeitig ermöglicht der Filter geschützte Außenbereiche in den beiden darüberliegenden Geschossen durch eingehängte Holzplattformen.

Mittels großzügiger Öffnungen wird hier der Außen- mit dem Innenraum verwoben. Der Essbereich öffnet sich in der größeren Wohnung mit Fenstern und Glasschiebetüren über Eck zu einem umlaufenden Balkon, der auch von der Einliegerwohnung genutzt werden kann. Die Latten sind so perforiert, dass sie als Sichtschutz zu den Nachbarn funktionieren und trotzdem Ausblicke ermöglichen, wie Mähr erklärt: »Wir haben viel mit dem Abstand zwischen den Holzlatten experimentiert und verschiedene Muster gebaut, um das richtige Verhältnis von offen und geschlossen hinzubekommen.« Zudem gibt es gezielte Ausschnitte in der Lattung, die u. a. beeindruckende Ausblicke auf den angrenzenden Hausberg und das Rheintal inklusive Bodensee freigeben, ohne das kompakte Erscheinungsbild des Baus zu stören.

Grafische Fassade

Beeindruckend ist auch die handwerkliche Präzision des Filters: So wurden die Latten als Schwalbenschwanzverbindung ausgeführt, was ein ruhiges und wohlproportioniertes Erscheinungsbild erzeugt. Die Scheiben der Glasbrüstung kommen ohne sichtbare Verbindungselemente aus und wurden stattdessen in Ausfräsungen an den tragenden Stützen eingefasst. Ein weiteres gelungenes Detail ist die Hinterlüftung der Fassade, die aus kreisrunden Löchern besteht und dezent zum grafischen Erscheinungsbild beiträgt. Der Wille zur handwerklichen Präzision findet sich auch im Innern wieder. Ein Beispiel ist der Essbereich in der Familienwohnung, dessen zwei Stockwerke umfassende Wände inklusive überspannendem Satteldach mit unbehandelter Weißtanne verkleidet sind. Trotz seiner sakral anmutenden Höhe wird der Raum zum behaglichen Wohnmöbel mit Sitznische. Das restliche Mobiliar wie auch die angrenzende Küche oder die Einbauschränke in den Erschließungsbereichen wurden ebenfalls vom Architekten geplant, wie Mähr erläutert: »Wir achten sehr darauf, dass die von uns verwendeten heimischen Hölzer wie Esche für Boden, Möbel und Türen oder Weißtanne für die Fenster und Verkleidungen im Zusammenspiel ein homogenes Ganzes bilden.« Dadurch ergibt sich innen wie außen ein stimmiges Gesamtbild, dem man zu keiner Zeit ansieht, dass es sich hier um einen Umbau handelt. Die Entscheidung, den Bestand zu erhalten, lohnte sich für die Bauherren schlussendlich auch finanziell, da einsetzende Lieferschwierigkeiten die Preise für neue Bauprodukte in die Höhe trieben. Damit zeigt das Projekt exemplarisch, dass die Entscheidung für die Bewahrung eines Gebäudes ökologisch und ökonomisch sinnvoll sein kann. Umso besser, wenn dabei gelungene Architektur entsteht.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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