Bauwerk

Lehrwerkstätten Bern Felsenau
Graber Pulver Architekten - Bern (CH) - 2000

Gelungene Verbindung von Kunst und Architektur

Die Lehrwerkstätten Bern Felsenau von Marco Graber und Thomas Pulver

3. August 2001 - Martin Tschanz
In Ergänzung zur ehemaligen Spinnerei Felsenau realisierten Marco Graber und Thomas Pulver ein einfaches Gebäude, das sich bei näherer Betrachtung als erstaunlich reich und komplex erweist. Der überzeugende Bau ist das Ergebnis einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen den Architekten und der Künstlerin Elisabeth Arpagaus.

Wenn von der Gewerbeschule Bern die Rede ist, denken Architekturfreunde wohl zunächst an das Gebäude von Hans Brechbühler aus dem Jahre 1939. Zumindest den Bahnfahrern dürfte dieser Schlüsselbau der Schweizer Moderne bekannt sein, der bei der Einfahrt nach Bern ein markantes Gegenüber zur Altstadt bildet.

Das neue Schulgebäude der Architekten Marco Graber und Thomas Pulver dagegen ist wesentlich kleiner und liegt weit weniger spektakulär. Aber auch es überzeugt durch architektonische Qualität. Und ähnlich wie beim Bau von Brechbühler ist die Verbindung des Hauptbaus mit den Hallen der Lehrwerkstätten ein wesentliches Thema. - Der Neubau von Graber & Pulver ist Teil des Areals der ehemaligen Spinnerei Felsenau. Wie einige bereits bestehende Häuser ist er an die riesige Maschinenhalle angelagert, die nach wie vor den Baukomplex dominiert. Trotzdem ist der Neubau klar als Hauptgebäude ausgezeichnet: sowohl durch seine Lage in einer Strassenschlaufe an der Stirnseite der Halle als auch durch seine Form. Der an sich einfache Gebäudekörper ist so gestaltet, dass er die Halle mit der städtebaulichen Situation und der Topographie verklammert.

Eine verglaste Gebäudeecke verknüpft den Bau mit dem Steilhang über ihm und empfängt den von der Innenstadt her kommenden Besucher. Eine Art Einkerbung auf der Höhe des Erdgeschosses führt um die Gebäudeecke und entlang der Längsseite bis hin zum Eingang. Hier tritt man durch einen verglasten Windfang in die Empfangshalle, wo eine ebenfalls verglaste Rückwand den Blick über die Dächer der Werkhallenhinweg auf das scheinbar über der Erde schwebende Band des Felsenau-Viadukts öffnet. Auf der einen Seite führt eine Treppe hoch zu den neuen Werkräumen, auf der anderen eine nach unten zu den Hallen, in denen ein Hauptteil der Lehrwerkstätten untergebracht ist. Dieser Weg, der alle Teile des Hauses durch einen grosszügigen Raum verknüpft, ist das Herz der Anlage.

Jedes der drei Hauptgeschosse hat einen anderen Charakter. Prägend dafür sind die Tragstruktur und die mit ihr verbundene Lichtführung. Auf der Ebene der Spinnereihalle formen kräftige Unterzüge in Kombination mit den dazwischen liegenden Oberlichtern einen stark rhythmisierten Raum. Er steht in Kontrast zum Eingangsgeschoss, in welchem das Licht durch seitliche Fenster flach über die glatte Decke streicht. Im obersten Geschoss mit seinen grossen Werkräumen bilden verglaste Stahlträger eine Art Sheddach, das wie ein zeitgenössischer Kommentar zum alten Hallendach anmutet.

Stets wird die ganze Tiefe des Gebäudes überspannt. Im Gegensatz zum schier unermesslichen Stützenfeld der alten Spinnereihalle besteht der Neubau also nicht aus einem Skelett, sondern aus einer festen, tragenden Schale. Alles andere ist sekundär und grundsätzlich flexibel ausgebildet: ein Umstand, der im Verlauf der Planung bereits einige Anpassungen ermöglichte, die wegen der Dynamik der Berufsschulen notwendig waren.

Die Farbigkeit des Gebäudes unterstreicht dessen architektonische Konzeption. Aussen ist derKratzputz entsprechend zur plastischen Durchbildung in zwei unterschiedlichen Grautönen mit einem Stich ins Grüne bzw. ins Blaue eingefärbt. Diese Farbtöne sind dem Berner Sandstein verwandt, kommen aber auch im Buntmergel vor, der am Bauplatz gefunden wurde. Ähnliches gilt für den gelb eingefärbten Beton, der im Innern sichtbar die Tragschale bildet. Er erinnert mit seinen Unregelmässigkeiten an die Schichten des felsigen Untergrundes. Und weil er in eine mit einem Vlies ausgelegte Schalung gegossen wurde, hat er eine fast weich wirkende Oberfläche, in der sich bisweilen Falten dieses Stoffes wie ein Ornament oder eine versteinerte Spur abzeichnen.

Das Konzept der Farben und Materialien wurde in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Elisabeth Arpagaus bestimmt. In der zentralen Treppenhalle gibt es Kalkputze mit unterschiedlichfeinen Oberflächen, die in kräftigen Farben eingefärbt sind. Ein erdiges Orange, ein Mauve, ein Gelb und ein Hellblau erzeugen Farbräume; die weissen Decken und eine glänzend gewachste Wand reflektieren farbiges Licht, und im Boden mit seinem geschliffenen Steingemisch aus grünem Andeer-Granit und violettem Porphyr verbinden sich die Bunttöne zu einem farbigen Grau. Das wirkt fast wie eine dreidimensionale Malerei, die sich in den wechselnden Farben des Tageslichts überraschend stark verändert. ElisabethArpagaus kann dabei aus ihrer Erfahrung schöpfen. In ihren freien Arbeiten experimentiert sie seit längerer Zeit mit mineralischen Farben, die sie aus der Erde extrahiert. Das Resultat ist eine Farbflächenmalerei, die sie in ihren Ausstellungen zu Rauminstallationen verdichtet.

Ihre Arbeit in den Lehrwerkstätten beansprucht aber keine künstlerische Autonomie. Sie fügt sich vielmehr perfekt in die architektonische Gesamtkonzeption ein. Dabei profitiert die Malerei von der Architektur, die sie ihrerseits bereichert und unterstützt. Die Hierarchie der Räume und die unterschiedlichen Grade der Öffentlichkeit werden präzise beachtet. Nach aussen werden dezente Farben verwendet, womit die gerade in Bern hoch entwickelte Kultur einer gegenüber der Öffentlichkeit zurückhaltenden «anständigen» Architektur weitergeführt wird. Die Treppenhalle dagegen zeigt sich als wichtigster Gemeinschaftsraum in einem repräsentativen, ja schon fast opulenten Kleid. Die Bereiche schliesslich, in denen man sich länger aufhält und in denen gearbeitet wird, sind unaufdringlich und neutral gestaltet.

Es ist klar, dass diese Gesamtkonzeption nicht das Resultat eines konventionellen Wettbewerbs für Kunst am Bau ist, bei dem die Kunst auf eine bereits fertige Architektur appliziert wird. Die Künstlerin wurde vielmehr bereits in der Phase des Vorprojektes zur Zusammenarbeit ausgewählt, so dass sie in den weiteren Entwurfsprozess eingebunden werden konnte. Das Resultat ist überzeugend und kann als exemplarisch gelten für eine gelungene Verbindung von Kunst und Architektur.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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