Bauwerk

Stadthaus
DMAA - Wien (A) - 2001
Stadthaus, Foto: Margherita Spiluttini
Stadthaus, Foto: Margherita Spiluttini

Vorne wohnen, hinten hackeln

Altbewährt ist das Bebauungsmuster: die Verbindung von Wohnen und Arbeiten: Ganz auf der der Höhe der Zeit ist dessen Interpretation durch Delugan-Meissl: eine der spannendsten Baulückenverbauungen in Wien.

9. März 2002 - Liesbeth Waechter-Böhm
Für Architekten eine Standardaufgabe in der Stadt: das Füllen einer Baulücke im dicht verbauten Wohngebiet. Aufregend ist das in der Regel nicht. Man darf sich entscheiden zwischen Anpassung und - bewußter, formaler - Abgrenzung. Und im übrigen hat man möglichst viel an vermarktbaren, verkaufbaren Flächen aus dem Grundstück herauszuholen.

Delugan-Meissl ist es bei ihrem Bau in der Wimbergergasse in Wien nicht viel anders ergangen. Aber gerade dieses „nicht viel“ macht es aus. Denn das Resultat ist, trotz aller Modifikationen, die das ursprüngliche Projekt erfahren hat, beeindruckend. Eine der spannendsten Baulückenverbauungen, die es in Wien überhaupt gibt. Man mag einwenden: Von der Formensprache her - sehr zeitgeistig. Aber: Hier ist der Zeitgeist eben kein bloß aufgesetzter Formalismus, hier sind die zeitgeistigen Lösungen durch einen inhaltlichen, einen nutzerorientierten Mehrwert abgedeckt.

Zur Straße hin sieht man nur - eine Glasfassade. Sie setzt sich von der Umgebung sehr deutlich ab, wertet den Straßenzug (im Bezirk Neubau, fast parallel zum Gürtel) auf. Sie ist ein Highlight im Putzfassaden-Einerlei, das hier den Ton angibt.

Ursprünglich war übrigens etwas ganz anderes angedacht. Die Fassade hätte zweischalig und begrünt sein sollen. Aber das war wohl zu aufwendig. Bemerkenswert ist die Fassade trotzdem. Denn dadurch, daß die Architekten in die Loggienschicht teilweise auch zweigeschoßige Bereiche eingeführt haben, entsteht ein reizvolles Fassadenmuster. Der lebendige, grüne Sichtschutz fehlt zwar, eine Arbeit des Künstlers Herwig Kempinger greift den Gedanken aber auf: Er hat winterkahle Bäume photographiert und im Brüstungsbereich auf die Verglasung aufgedruckt. Eine sinnvolle Maßnahme, wenn man an die Unsitte der wild wuchernden Schilfmatten denkt oder auch daran, was sich auf Balkonen so alles ansammelt.

An dieser Stelle ist ein Exkurs zum Thema Bauträger angesagt. Es gibt die guten, es gibt die bösen - „Kallco Projekt“ zählt eindeutig zu den guten. Wilfried Kallinger ist einer der wenigen, die sich darauf einlassen, auch jenseits der eingefahrenen Pfade etwas zu versuchen. Er interessiert sich für Kunst, er interessiert sich für Architektur - und das sieht man den gebauten Ergebnissen dann auch an.

Von der Wimbergergasse gibt es demzufolge allerhand zu berichten. Denn das Projekt umfaßt keineswegs nur den straßenseitigen Wohnbau - der übrigens im ersten Obergeschoß auch eine Büroetage hat -, das Projekt umfaßt vor allem an der Hofseite eine richtiggehende Bürohaus- Landschaft. Man darf die Bezeichnung „Landschaft“ in diesem Fall fast wörtlich nehmen. Denn trotz der niedrigen Bauklasse im Hofbereich falten sich hier ziemlich wild zerklüftete Bauteile auf, die auch in den untersten Bereichen - teils über Rampen, teils über schluchtartige Einschnitte - natürlich belichtet sind. Als Arbeitsflächen zugelassen sind diese Ebenen zwar nicht, offiziell sind sie als Lagerräume deklariert, ans alte Souterrain erinnert hier trotzdem nichts mehr.

Jedenfalls ist das Konzept der Vermischung von Arbeit und Wohnen in der Wimbergergasse ausgesprochen reizvoll gelöst. Es ist sozusagen die zeitgenössische Interpretation eines alten Bebauungsmusters. Die Tiefe der Parzelle erklärt sich ja vor allem daraus, daß auch früher auf solchen Grundstücken vorne gewohnt wurde und dahinter, im Hoftrakt, oft eine gewerbliche Nutzung untergebracht war. Heute wissen wir, daß dieses alte Bebauungsschema Qualitäten hatte, daß es ein Beitrag zur Lebendigkeit eines Quartiers war. Andererseits: Es ist nicht so einfach, das heute zu realisieren. Denn jeder hat längst ein feines Organ für die Umweltbelastungen, die damit verbunden sind. Egal, ob das nun Schmutz oder Lärm ist. Der Nutzungsmix von Wohnungen und Büros ist dagegen relativ unproblematisch.

Und im übrigen hat das Wohnhaus durch die Verflechtung mit Büros sicher gewonnen. Das merkt man schon, wenn man in das äußerst großzügige Foyer hineinkommt. Da wurde ganz offensichtlich auf eine gewisse Eleganz Wert gelegt. Denn jeder, der nach hinten zu den Büros will, muß ja hier durch. Deswegen liegt auf dem Boden Schiefer, und ein Kunstwerk von Leo Zogmayer setzt einen schönen Akzent. Sogar die unvermeidlichen Briefkästen zeichnen sich durch formalen Anspruch aus. Und natürlich erklärt sich auch die Offenheit und Transparenz zur Straße aus dieser Durchgangssituation: So bekommt man sogar von draußen mit, daß sich hofseitig noch etwas tut.

Offenheit ist überhaupt ein Wort, das einem hier mehrfach in den Sinn kommt. Zumindest jetzt noch, in der Bezugsphase der Büros. Die Architekten haben wunderbar offene Loftsituationen geschaffen, mit denen man viel anfangen könnte. Leider bauen die Nutzer vieles wieder zu, gegen das herkömmliche Zellenbüro kommt scheinbar auch die beste Architektur nicht an. Das ist zwar ein Jammer, aber an der grundsätzlichen Struktur ändert es nichts.
Wie gesagt: ein großzügiges, elegantes, ein großstädtisches Projekt. Selbst nebensächliche Bereiche wie die Tiefgarage wurden mit Sorgfalt behandelt. Auch hier war übrigens eine Künstlerin am Werk, die versucht hat, mit Licht und Farbe diesen sogenannten Angstraum zu entschärfen. Man merkt ihrer Arbeit allerdings an, daß sie sich vielleicht doch zu weit ins Feld der „angewandten“ Gestaltung vorgewagt hat. Denn da gibt es Details, die nicht wirklich überzeugen. Ein ähnliches Manko weisen übrigens die Außenanlagen auf: Auch hier hat eine Künstlerin mit Streifen im Bodenbelag einen Akzent gesetzt, der nicht ganz überzeugt. Wenn die raffiniert verschwenkten und aufgefalteten Gründächer und Außenanlagen bruch- und nahtlos ineinander übergingen, wäre es sicher besser.

Aber das sind Auffassungsfragen. Tatsache ist: Die Wohnungen sind toll, ebenso die Büros. Und wenn man in einem der oberen Geschoße auf den kleinen Aussichtsbalkon hinaustritt, den die Architekten hofseitig ihren Wohnungen zugeordnet haben, dann hat man auch einen großartigen Blick - auf ein Stück bemerkenswerte zeitgenössische Architektur.

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