Bauwerk

pfarrzentrum podersdorf
lichtblauwagner architekten - Podersdorf am See (A) - 2002

Zur Abkürzung durch das Gotteshaus

Das Pfarrzentrum Podersdorf der Architekten lichtblau.wagner

14. August 2004 - Oliver Elser
In Podersdorf im Seewinkel strömten die Menschen in solchen Scharen in die kleine Kirche, das seit Jahren aus Platzgründen ein Neubau erwogen wurde. Grund des Andrangs ist nicht nur eine aktive Kirchengemeinde, sondern vor allen die Touristenmenge, die zur Ferienzeit das Strandbad am Neusiedlersee besucht und gelegentlich auch geistigen Erfrischungen nicht abgeneigt ist.

Obwohl der Bau keinen Köder auslegen musste, haben die Architekten ein offenes Haus gebaut, auch wenn die weißen Volumen hinter der beschrifteten Glaswand zunächst sehr verschlossen wirken. Im Wettbewerb ignorierten die Architekten Andreas Lichtblau und Susanna Wagner als einziges Team die Vorgabe, das schmale, aber sehr lange Grundstück hinter der alten Kirche so zu bebauen, wie es für das Ortsbild typisch gewesen wäre. Statt eines Baukörpers, der sich über die gesamte Grundstückstiefe erstreckt hätte, drehten sie das geforderte Programm um neunzig Grad, stellten also das Gebäude quer und ließen in der Mitte eine Durchfahrt frei. Fußgänger und Radfahrer, die die Abkürzung nutzen, um der verkehrsreichen Straße auszuweichen, die hinunter zum See führt, gelangen so ganz automatisch zum Kirchenraum auf der einen und oder zum Gemeindesaal auf der anderen Seite des Durchgangs.

Der Versuch, Schwellen abzubauen, hat in der Architektur der letzten Jahrzehnte nicht selten dazu geführt, dass eine Kirche nur noch schwer von einer Turnhalle zu unterscheiden ist. Die Kirche in Podersdorf hingegen ist trotz ihrer minimalistischen Raumhülle das exakte Gegenteil eines Multifunktionsraums. Decke und Boden sind wie ein Trichter geformt, was zum einen akustische Vorteile bringt. Aber um nicht die kalte Geometrie zu stark werden zu lassen, wurden die Bänke in konzentrischen Kreisen wie die Ränge eines Amphitheater in den hellgrauen Terrazzoboden Boden versenkt. Um den Preis der Flexibilität zwar, aber so entsteht eine Art Gottesdienstmulde, die wohl einen innigeren Kontakt zwischen Gemeinde und Priester zu stiften vermag, als andernorts das lithurgisch motivierte Stühlerücken. Selbst wenn doch einmal nur wenige kommen sollten, wirkt der Raum nie leer.

Messerscharfe Schlitze lassen das Tageslicht nicht direkt, sondern immer als Streiflicht auf die wolkigweißen Wände treffen. Obwohl komplett auf Farben verzichtet wurde, entsteht kein Gefühl von Sterilität.

Gut eineinhalb Jahre nach der Einweihung schimmert auch die Außenhaut des Gebäudes nicht mehr in so reinem Weiß unter der Schriftfassade hindurch, wie es die Fotos versprechen. Dass sich sogar leicht rostige Wasserspuren darauf abzeichnen ist kein Mangel der Dachabdichtung, sondern steht für die selten gewordene Fähigkeit, dass ein Gebäude Patina ansetzen kann. Die Hülle besteht aus Beton, darunter liegt die Wärmedämmung, die zur Innenseite mit einer Schicht aus Gipsplatten eingepackt wurde. Der ungewöhnliche Aufbau ergab sich aus dem Klimakonzept, das die Architekten lichtblau.wagner bereits an einem anderen Gebäude erproben konnten. Unter dem Grundstück liegt ein enges Röhrenregister, vergleichbar in etwa mit einer Fußbodenheizung. Nur beheizen nicht die Röhren die umgebende Erdschicht, sondern umgehrt. Je nach Jahreszeit kann mittels der Erdwärme beziehungsweise -kälte die Umluftanlage des Hauses um einige Grad entlastet werden. Damit die Wände schnell von der zirkulierenden Luft auf die gewünschte Temperatur gebracht werden können, war es nötig, im Innenraum nur Leichtbauwände einzusetzen.

Das Gebäude ist nicht nur Kirche. Während auf der einen Seite der Raum für die Messe das gesamte Volumen ausfüllt, verbergen sich auf der anderen Seite des Durchgangs sechs verschieden große Gruppenräume und der Gemeindesaal in dem kubischen Baukörper. Die Öffentlichkeit wird davon wohl nur den teils verglasten, teils holzgetäfelten Saal im Erdgeschoss zur Kenntnis nehmen. So entgeht aber den meisten das schöne Stiegenhaus, dessen filigrane Metallstufen Licht bis in den Keller dringen lassen, wo ebenfalls zwei große Räume untergebracht sind, die über ein raffiniertes Oberlicht zwischen Gebäudekante und der bedruckten Glasfassade belichtet werden.

Die Fassade selbst ist schnell erklärt: Die Architekten wollten die „Kunst am Bau“ lieber gleich selbst übernehmen und haben die Podersdorfer aufgefordert, ihre Gedanken zum Thema Familie aufzuschreiben. Aus der anonymen Textsammlung wurden markante Sätze herausgezogen und in den öffentlichen Raum gestellt.

Man kann die goldene Schrift als Schmuck interpretieren, der dem Gebäude sonst fehlt, das wäre aber eine vielleicht zu architektonische Beschreibung. Treffender ist es, die Schrift als Geste zu lesen, mit der die Kirche der Umgebung ein Diskussionsangebot macht. So offen und zugänglich der Bau auch sein mag - allein weil er eine Kirche beherbergt, umgibt ihn etwas mysteriöses. Es war eine kluge Entscheidung, ihm das nicht mit einem stärker „kirchlich“ geprägten Text nehmen zu wollen, aber zu zeigen, dass es eine Schnittmenge von Themen gibt, die drinnen wie draußen die Menschen beschäftigen.

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