Bauwerk

Ray 1
DMAA - Wien (A) - 2003

Demarkationslinie zwischen Himmel und Erde

Der Bauplatz ist ungewöhnlich. Das Flachdach eines Wiener Bürogebäudes haben die Architekten Degulan Meissl lediglich gepachtet und darauf eine gefaltete Raumskulptur als «Haus auf dem Haus» gebaut. Ebenso ungewöhnlich ist der schwebende Raumeindruck, der durch die stützenfreien Spannweiten des Stahlfachwerks erreicht wird. James Bond lässt grüssen.

9. Juni 2008 - Evelyn C. Frisch
Die Aufstockung ist von der Strasse her kaum wahrnehmbar und erfüllt wider Erwarten die strengen Bauvorschriften für Flachdachaufbauten der Stadt. Ein Bürogebäude aus den 60er Jahren hat damit einen dynamischen Abschluss erhalten, eine Art extravaganten Hut, der die Begegnung zwischen alt und neu, zwischen statischem Körper und dynamischer Form zelebriert. Der Neubau führt die Giebellinie zwischen den beiden angrenzenden Häusern fort und schliesst gewissermassen eine Baulücke. Dabei schafft er durch seine Faltung und Raumstaffelung eine durchlässige Grenze zwischen dem strengen Altbau und dem bewegten Wiener Stadthimmel. Obwohl der Entwurf baurechtlich als Flachdachaufbau gilt, konnte in Abstimmung mit der Baubehörde eine neue Interpretation gefunden werden. Die strassenseitige Auskragung des Gebäudes ist zum Beispiel aus baurechtlicher Sicht eine Gaube.

Die Grundfigur von Ray1 basiert auf der längsrechteckigen Form des Sockelbauwerks. Daraus entwickelt sich ein Baukörper von skulpturalem Charakter. Der Zugang erfolgt über den knapp sechs Meter aus der hofseitigen Gebäudefront auskragenden Kubus, der achsversetzt auf dem Treppenhaus-Risalit sitzt. Ein lang gestreckter, mit flachen Treppen langsam ansteigender Gang führt in den loftartigen Wohnbereich, der sich als Raumkontinuum fliessend nach oben entwickelt. Die plastische Gestaltung der Aussenhaut schafft auch im Innenraum Zonen mit verschiedener Wertigkeit. Nischen und Möbel entwickeln sich direkt aus dem Formenverlauf der Architektur heraus und schaffen einen fliessenden Übergang von äusserer Hülle zu innerer Wohn-Landschaft. Der weiträumige Wohnbereich mit der zentralen Küche liegt etwa einen Meter höher als die separierten Schlafzonen. Eine grosse, lederbezogene Liegelandschaft öffnet sich in einer über die Grundstücksgrenzen expandierenden Gebäudefaltung. Sie liegt über die ganze Breite vollständig auf tragendem Glas auf und scheint so vom Boden losgelöst zu schweben.

Eine Eckverglasung lässt sich vollständig zur Terrasse hin öffnen und erweitert damit den Wohnbereich um einen spektakulären Aussenraum. Der Terrasse ist ein schmales, mit Sitzstufen versehenes Bassin vorgelagert, so dass auf ein Geländer verzichtet werden konnte. So entsteht eine harmonische Verbindung von ruhendem Ort und räumlicher Bewegung.

Um auf das Tragwerk des Altbaus reagieren zu können, wurde die Aufstockung als Stahlskelettbau realisiert. Durch ein homogen verdichtetes Stahlrohrsystem werden die Lasten über die gesamte Fläche gleichmässig verteilt und vor allem über die Giebelwände in den Altbestand eingeleitet. Die entwurfsimmanenten Faltungen der Dachlandschaft führen zu einem weitgehend stützenfreien Raumfluss.

Für Haus Ray 1, das seinen Namen der Bauherrentochter verdankt, gab es weder ökonomische Restriktionen noch ideelle Einschränkungen, da die Architekten ihre eigenen Bauherrn waren. Ein umfassendes Ineinanderwirken von Tragwerksplanung und Entwurfskonzept führte zu dieser Architektur als Stadt-Landschaft.

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Für den Beitrag verantwortlich: Steeldoc

Ansprechpartner:in für diese Seite: Evelyn C. Frischinfo[at]szs.ch

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Elke Delugan-Meissl
Roman Delugan

Tragwerksplanung

Fotografie