Bauwerk

Ray 1
DMAA - Wien (A) - 2003
Ray 1, Foto: Rupert Steiner
Ray 1, Foto: Rupert Steiner

Auf und davon!

Vis-à-vis ihrem Büro am Wiener Mittersteig haben Elke und Roman Delugan ihre Architekturauffassung so pur wie sonst nirgends umgesetzt: in ihrem eigenen Haus - mit dem sie die Grenzen des Machbaren wieder ein bisschen hinausgeschoben haben.

27. Dezember 2003 - Liesbeth Waechter-Böhm
Das Haus auf dem Haus war immer schon eine spannende Bauaufgabe. Früher sagte man Penthouse dazu, und ein Hauch von Luxus schwang dabei mit. Elke und Roman Delugan lassen diesen Amerikanismus weg und sprechen ganz schlicht von ihrem Haus, dabei schauen sie aus den Räumen des Architekturbüros Delugan- Meissl am Wiener Mittersteig Richtung Dachaufbau auf einem Bürohaus gegenüber, und weil es schon dunkel wird, sehen wir im erleuchteten Innenraum, allerdings abgeschirmt durch einen mächtigen Balken, zwei zarte Beinchen, die sich mit Schwung abwärts bewegen. „Das ist unsere Tochter“, lächelt Roman Delugan: „Sie rutscht auf der Schräge.“

Was es mit dieser Schräge auf sich hat, das sehe ich dann später. Zunächst bewundere ich die Rasanz, die Schnittigkeit der großen Linien, die den Auftritt dieses Hauses auf dem Haus nach außen charakterisieren.

Man muss hier wirklich vor allem von Linien, von räumlichen Linien reden, denn das eigentliche Bauvolumen ist durch den minutiös kalkulierten, großzügigen Einsatz von Glas so zergliedert, dass die „festen“ Bestandteile ganz in den Hintergrund
treten. Wenn man so auf dem Balkon des Büros steht und hinüber schaut, dann schießt der erwähnte mächtige Balken über die Breitseite des Bürohauses hinweg - wirklich überrascht wäre ich nicht gewesen, wenn das ganze Ding, das irgendwie so „dachverbunden“ aufsitzt, plötzlich doch abgehoben hätte.

Tatsächlich haben die Delugans in diesem Haus ihre persönliche Architekturauffassung so pur wie sonst nirgends
umgesetzt. Außen waren sie durch die engen Wiener Bauvorschriften limitiert, aber solche Regeln tun architektonischen Lösungen im Allgemeinen gut. Innen konnten sie alles auf die privatesten Ansprüche maßschneidern.

Konstruktiv war das Unternehmen natürlich happig: Es ging darum, mit dem auszukommen, was der Bestand statisch anzubieten hatte. Das allerdings wurde optimal ausgenutzt, und so sind jetzt ungefähr 52 Tonnen Stahl auf dem Flachdach verbaut. Es gibt eine Sechs-Meter-Auskragung Richtung Hof, und es gibt im Innenraum tatsächlich nur eine einzige
tragende Stütze: Es waren also gewaltige Spannweiten zu bewältigen. Es gibt andererseits im Wohnbereich eine scheinbar schwebende Liegelandschaft, da ist das Glas an der Fassade tragend.

Ich beschreibe am besten den Weg durch das Haus: Man verlässt den Aufzug, geht ein paar Stufen hinauf zur
eigentlichen Wohnungstür und steht dann vor einem langen, schräg ansteigenden Vorraum, links raumhoch verglast, rechts eine lange Schrankwand. Die Delugans haben fast das ganze Mobiliar selbst entworfen, also auch diese Schrankwand. Und die schuppt sich höchst attraktiv hinauf zum Wohnraum, weil die schmalen Schranktüren keine Griffe haben, sondern die ganze Tür ist jeweils durch eine Außenwölbung verformt, so dass man sie öffnen kann. Alles weiß. Und auf dem Boden afrikanische Kirsche in einem tiefen, saftigen, warmen Braunton. Das zieht sich übrigens durch das gesamte Haus.

Man könnte das Ganze als Loftkonzept beschreiben, umgeben von Terrassen, die sich aus dem vorgeschriebenen 45-Grad-Rücksprung für Dachaufbauten ergeben (nebenbei angemerkt: Eine dieser Terrassen ist ausgesprochen bemerkenswert abgesichert: nicht durch eine Brüstung, sondern durch ein Wasserbecken).

Der Loftraum selbst ist höhenmäßig differenziert: Man kommt hinein, und links geht es zum Privatbereich der
Tochter, rechts sitzt etwas höher die Schaltstelle der offenen Küche. Da gibt es ein paar Stufen, dann steht man
wirklich mitten drin in der Küche, also zwischen Wandverbau und offenem Tresen, der aber als eine Art Raumskulptur
formuliert ist: Er wächst schräg aus dem Boden - in dieser Schräge ist auch die Schaltstation für die ausgeklügelte Beleuchtung et cetera -, dann geht er gerade weiter, und schließlich macht er sich schräg nach oben gewissermaßen
auf und davon. Diesem Niveausprung ist auch jene Schräge (oder Rampe) zugeordnet, auf der ich von vis-à-vis das Töchterlein habe rutschen sehen. Da oben ist dann die große, gepolsterte und mit Leder bespannte Liegewiese.

Eine völlig transparente Regalwand trennt diese Liegewiese von einem ganz besonderen, höher gelegenen Sitzplatz -in der sogenannten Gaube -, zu dem man stufenlos einen etwa 50 Zentimeter messenden Höhensprung überwinden muss. Der Esstisch, im rechten Winkel um die hofseitige Terrasse gelegen, ist wieder völlig im Raum- und Niveaufluss
des Lofts angeordnet.

Es gibt hier natürlich auch alles, was man alltäglich braucht: Das fängt beim Wirtschaftsraum an und hört beim Gästeklosett auf. Und das Schlafzimmer samt Badezimmer ist selbstverständlich separiert - freilich durch ein unheimlich zügiges Einbaumöbel charakterisiert, das vom Bett über das Bad et cetera alles in eins fasst. Und das Bett ist „städtebaulich“ ausgerichtet: Es steht schräg vor einer Glaswand mit dem Ausblick auf das schönste Panorama von Wien.

Man müsste bei diesem Haus jede Firma, die dazu beigetragen hat, extra erwähnen. Denn jede hat Außergewöhnliches geleistet. Für alle war es nicht nur eine Herausforderung auf dem Papier, sondern etwas, was die Grenzen des Machbaren wieder ein bisschen hinausgeschoben hat.

Aber bei aller Bewunderung für die Fugenlosigkeit des Zusammentreffens unterschiedlicher Materialien, für die unheimlich differenzierte Behandlung der verschiedenen Oberflächen, für die absolut detailgenaue Arbeit aller Beteiligten - der große Wurf liegt im Entwurf. Die Logik, mit der die Delugans die „Kraftlinien“ ihres Hauses von außen nach innen und wieder nach außen entwickeln, das ist die eigentliche Sensation.

Abgesehen von Glas besteht die Hülle des Hauses aus Alucobond. Das Dach ist in diesem Material ausgeführt, aber zum Beispiel auch der Balken, der den Innenraum abschirmt zum gegenüber liegenden Büro. Dieser Balken berührt aber auch den Innenraum. Und da hat er dann auch innen eine Alucobond-Oberfläche. Das ist äußerst konsequent und eindrucksvoll. Und das gibt dem Haus bei aller Materialeinheitlichkeit und Detailarmut auch eine unübertreffliche Komplexität.

Es ist ein Haus für Lifestyle-Magazine im besten Wortsinn. Es ist auf einen bestimmten Lebensstil zugeschnitten (der ganz und gar nichts mit irgendeiner Art von schicker Lebensführung zu tun hat - das ist zu unterstreichen): auf den Lebensstil von Leuten, denen der Beruf auch Berufung ist und die sich eine private Insel gebaut haben; für sich selbst, für die Tochter, für Freunde. Eine ideale Lösung, dass die wirkliche Arbeitsstätte gleich gegenüber liegt. Und eine tägliche Bestätigung der eigenen Haltung beim Blick hinüber.

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Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

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Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Elke Delugan-Meissl
Roman Delugan

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