Bauwerk

Kahlenberg Restaurant
Erich Boltenstern, Leopold Ponzen - Wien (A) - 1935
Kahlenberg Restaurant, Foto: Margherita Spiluttini

Kein Licht am Ende der Höhenstraße

Das Kahlenberg-Restaurant soll durch einen Neubau ersetzt werden

20. März 2004 - Oliver Elser
Straßen, die nicht nur dazu dienen, von A nach B zu gelangen, sind ein Anachronismus, aber es gibt sie noch. Eines der wenigen noch im ursprünglichen Zustand befahrbaren Beispiele ist die Wiener Höhenstraße. Ihr touristischer Wert mag in Zeiten, in denen die jährliche Flugreise zu den Glücksdrogen breiter Bevölkerungsschichten zählt, ein wenig gesunken sein. Aber die zahllosen grünen Hinweisschilder, die den Autofahrer aus dem Stadtgebiet zur Höhenstraße leiten, gibt es noch und damit ein vages Bewusstsein, das auch eine „Straße an sich“ das Ziel eines Ausflugs sein kann. Die meisten Höhenstraßenbenutzer dürfte jedoch weniger das Knattern des Kleinsteinpflasters, die Haarnadelkurven oder die Landschaftsausblicke interessieren. Ihr Ausflugsverhalten wurde von der Generation der heute Siebzig- bis Neunzigjährigen geprägt, die mit dem ersten eigenen VW-Käfer aus der Stadt flüchteten, in einem Naherholungsgebiet ein bisschen herumspazierten, um dann in einem Gasthaus eine Jause zu sich zu nehmen.

Als die Höhenstraße und ihr touristischer Ziel- und Höhepunkt, das Kahlenbergrestaurant, entstanden, in den Jahren 1935 bis 1938, war die individuelle Massenmobilität noch ein visionäres Programm. Straße und Bauwerk scheinen eher zur Nachkriegszeit zu passen, wären da nicht die ideologische Nähe zur „Autowanderbewegung“ des NS-Regimes und die Vermutung, die Höhenstraße sei ein Arbeitsbeschaffungsprojekt gewesen, was von dem Historiker Georg Rigele (Die Wiener Höhenstraße, Wien 1993) aber bestritten wird.

Während die Straße noch weitgehend intakt ist und sofort in den Status des Weltkulturerbes erhoben werden könnte, bekam das von Erich Boltenstern 1936 fertig gestellte Restaurant die ganze Wucht der gastronomischen Moden zu spüren. Die verschiedenen Speisesäle und Gastgartenbereiche für jede Einkommensschicht wurden in den vergangenen Jahrzehnten in zwei kulinarische Gruselkabinette verwandelt, gegen die jede Rosenberger-Raststätte als Architekturperle durchgehen kann. Die Karikatur eines Heurigen auf der einen und ein schauriges Schlachtfeld in Pastellfarben, Chromleisten und Granitplatten auf der anderen Seite sind aber selbst an Werktagen für die zahlreichen Besucher kein Hinderungsgrund, auf den Kahlenberg zu kommen und den Blick auf Wien zu genießen. Immerhin bekommen die meisten einen Platz in der ersten Reihe.

Das soll sich nun ändern. Wie bereits vor einigen Wochen im STANDARD berichtet wurde, hat der Wiener Großbäcker Leopold Wieninger („Der Mann, der verwöhnt.“) das Gelände gekauft und will die bestehenden Gebäude abreißen lassen. Für etwa 20 Millionen Euro sollen dort eine Hotelfachschule, ein so genanntes Boardinghaus und wieder ein Restaurant mit großer Terrasse entstehen. Die Architekten sind Eric Steiner und Heinz Neumann, die in Wien mehrere Hochhäuser (Uniqa am Schwedenplatz, Justizzentrum im City Tower am Bahnhof Wien Mitte u.a.) errichtet haben und derzeit eine Umbauung des denkmalgeschützten Westbahnhofs planen.

Der Abriss des Restaurants und eines 1964 durch den Architekten Hermann Kutschera hinzugefügten Hotels sei unumgänglich, sagt Eric Steiner, der selbst noch bei Erich Boltenstern an der Technischen Universität studiert hat. Der vom Bauherren gewünschte Funktionsmix wäre die einzige Chance zur Wiederbelebung des Kahlenbergs, könne aber nicht im Bestand untergebracht werden, dafür seien die Anforderungen zu speziell.

Dagegen ist schwer zu argumentieren, liegen doch keinerlei Machbarkeitsstudien vor, denn der private Bauherr ist dazu nicht verpflichtet. Auf Seiten der Stadt Wien scheint das Interesse am Kahlenberg nicht sehr groß zu sein, denn Wieninger konnte mit dem Grundstück auch eine bereits genehmigte Planung (Architekten: Neumann und Steiner) erwerben, die eine viel höhere Bebauungsdichte vorsah, als jetzt realisiert wird. Doch auch diese moderate, die bisherige Silhouette nur geringfügig verändernde Variante birgt - vom Verlust des Boltenstern-Baus einmal abgesehen - einige Überraschungen, die nur im direkten Vergleich mit dem Bestand und auf den Plänen sichtbar werden. Da ist zum einen der Verlust der Aussichtsplattform am Ende des lang gestreckten Ensembles. Den Rundumblick über Wien und die Donaustadt haben zukünftig nur noch die Gäste des Boardinghauses, die in die eiförmigen Frühstückskanzel auf dem Dach des Hauses gelangen. Das Privileg, die Neubausiedlungen der sechziger Jahre auf der nördlichen Donauseite ausgeblendet zu bekommen, haben nur die Besucher der Sonnenterrasse vor der freigestellten Kirche. Vor ihnen öffnet sich ein für touristische Primärinteressen bereinigter Blickkorridor. Nur werden dort nicht mehr so viele wie bisher die Aussicht genießen können. Die „demokratische“ Sitzordnung Boltensterns, der die Tische in langen Reihe entlang der Hangkante auffädelte, um die besten Plätze zu maximieren, wird sich auf den Quadratflächen von neuem Restaurant und Gastgarten nicht realisieren lassen.

Mit Boltensterns Restaurant und dem immerhin recht kühn auf die Kante gesetzten Hotel von Kutschera droht nicht nur ein unter vielen Renovierungsschichten verborgenes Gebäude verloren zu gehen, dessen Wert für die Wiener Moderne die Architekturhistorikerin Iris Meder im folgenden Interview erläutert. Abriss und Neubau würden auch das ideelle Gegengewicht der Höhenstraße zerstören. Die Zeiten, in denen bis zu 4000 Gäste am Kahlenberg bewirtschaftet werden konnten, mögen zwar vorbei sein. Aber das Prinzip, den Wienern an einer einzigartigen Stelle ein einzigartiges Speisezimmer zu bieten, das auf historischen Fotografien so aussieht, als hätte man auf's Deck eines Flugzeugträgers eine endlose Reihe von Tischen gestellt, dieses Prinzip dürfte doch auch im Zeitalter der Privatisierung von Aussichtspunkten nicht ohne Reiz sein.

DER STANDARD: Frau Meder, Sie arbeiten zur Zeit an einer Ausstellung über Erich Boltenstern (1896-1991), die im Herbst 2005 im Wienmuseum gezeigt wird. Welchen Stellenwert hat die Kahlenberg-Anlage im Werk des Architekten?

Iris Meder: Sie ist zusammen mit dem Krematorium in Graz einer der wenigen Zwischenkriegsbauten Boltensterns. Die halte ich für bedeutender als seine zahlreichen, nach 1945 entstandenen Werke wie den Ringturm, den Wiederaufbau von Börse und Oper sowie die Gebäude für die Nationalbank. Das alles ist gute Nachkriegsarchitektur, aber nichts, was international wegweisend wäre. In der Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit Judith Eibl- mayr entsteht, soll es nicht darum gehen, Boltenstern als genialen Architekten zu präsentieren. Er ist eine historisch interessante Figur: Ein Moderner, der nicht emigriert ist, aber seine Professur verloren hat. Nach 1945 wurde er einer der einflussreichsten Architekten Wiens.

Was macht dann das Kahlenberg-Restaurant so bedeutsam?

Meder: Ich würde es „reflexive Moderne“ nennen. Erich Boltenstern stand in der Tradition von Adolf Loos, Josef Frank und Oskar Strnad, die aber jeweils fast nur Einfamilienhäuser gebaut haben, in denen Moderne und Tradition zu etwas Neuem, sehr Einzigartigem verbunden werden. Das wurde seinerzeit auch international wahrgenommen. Das Kahlenberg-Restaurant ist einer der wenigen größeren Bauten dieser „Wiener Schule“.

Wäre das ein Argument, den Bau zu erhalten?

Meder: Ja, auf jeden Fall. Am Kahlenberg fehlt nur ein gastronomisches Konzept. Die Leute werden weder wegen Boltenstern, noch wegen Neumann und Steiner auf den Kahlenberg kommen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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