Bauwerk

Chiesa del Giubileo
Richard Meier - Rom (I) - 2003
Chiesa del Giubileo, Foto: Klaus Frahm / ARTUR IMAGES
Chiesa del Giubileo, Foto: Klaus Frahm / ARTUR IMAGES

Der kurze Weg zum Licht

Die Chiesa del Giubileo von Richard Meier in Rom

Die mit einiger Verspätung auf das Heilige Jahr 2000 eingeweihte Chiesa del Giubileo im römischen Aussenquartier Tor Tre Teste vermag viele Assoziationen zu wecken. Ihr Architekt, Richard Meier, hat es zudem verstanden, mit der für ihn ungewöhnlichen Staffelung gewölbter Schalen die Tradition des Kuppelbaus neu zu interpretieren.

18. Mai 2004 - Jürgen Tietz
Wer in Rom eine Kirche bauen darf, der befindet sich in der Gesellschaft berühmter Architekten. Dabei erweist sich das reiche Erbe an Sakralbauten als Chance und Verpflichtung zugleich. Der New Yorker Architekt Richard Meier, der sich mit seiner Chiesa del Giubileo nun in die illustre Reihe römischer Kirchenarchitekten einfügt, macht dabei kein Hehl aus seiner Bewunderung für die beiden Meister des Barocks Gianlorenzo Bernini und Francesco Borromini. Die Messlatte, die Meier damit für seinen Kirchenbau selbst gelegt hat, liegt hoch. Doch es scheint letztlich müssig, über den Einfluss der beiden Grossmeister des römischen Barocks auf Meier zu reflektieren, diesen Vertreter einer ewig weissen Moderne. Denn während Bernini und Borromini im Herzen Roms, ja im Fall Berninis gar am Allerheiligsten der Stadt, Sankt Peter, arbeiten konnten, wird auf Meiers Jubiläums-Kirche nur derjenige stossen, der weiss, wo sie steht. Zwar grüsst der skulpturale Baukörper den Reisenden bereits von ferne - zumindest wenn er sich im Anflug auf den kleinen römischen Flughafen Ciampino befindet. Doch nach Tor Tre Teste selbst kommt niemand ohne Grund. Bedeutet es doch eine annähernd einstündige Fahrt von der Stazione Termini, ehe man den Vorort im Südosten Roms erreicht. Es ist eine Fahrt, auf der die Stadt keine Gelegenheit auslässt, ihre unterschiedlichen Gesichter zu zeigen, die krass zwischen malerischer Antike und verlotternder Moderne schwanken.

Inmitten verstreuter Mittelklasse-Wohnblocks aus den siebziger Jahren erscheint die Chiesa del Giubileo wie eine Lichtgestalt. Meier hatte sich mit seinem Entwurf für den ambitionierten Sakralbau im Rahmen eines 1996 vom Römischen Vikariat eingeladenen Wettbewerbs gegen prominente Konkurrenten wie Tadao Ando, Günter Behnisch, Santiago Calatrava, Peter Eisenman und Frank Gehry durchgesetzt. Der Kirchenneubau ist Teil eines Programms, das im Hinblick auf das Heilige Jahr 2000 vorsah, auch in den Aussenbezirken Roms für angemessene Sakralbauten zu sorgen. Doch die Errichtung der aufwendigen Betonkonstruktion, die 1998 begann, dauerte länger als geplant. So konnte die Kirche erst im vergangenen Herbst geweiht werden.


Eine Vielzahl von Assoziationen

Mit ihrer betont skulpturalen Formensprache schafft die Kirche einen Gegenpol zum normierten Raster der Wohnungsbauten und will dem Quartier damit ein neues, fast unwirklich anmutendes Zentrum verleihen. Es ist eine Kirche wie eine weisse Blume, deren Blütenblätter gerade im Begriff stehen, sich zu öffnen, wie eine Muschel, deren Schalen sich heben, wie ein Schiff, dessen drei grosse Segel prall mit Wind gefüllt sind. Ohne Frage: Mit ihren Anleihen an organischen Formen ist die Jubiläums-Kirche ein Gotteshaus, das fast spielerisch eine Vielzahl von Assoziationen weckt - aus Natur und Architektur gleichermassen. Denn die drei geschwungenen Betonscheiben, die den Kirchenraum umfassen, rufen unwillkürlich auch die Erinnerung an Jørn Utzons Opernhaus in Sydney wach.

Eine weite Plattform hebt die Kirche heraus aus dem Alltagsgeschehen in Tor Tre Teste und macht sie gleichermassen zum Schauobjekt für Anwohner wie für Architekturliebhaber. Vor allem aber ist sie ein sakraler Ort. So sehr sich die Chiesa del Giubileo mit ihren freistehenden Betonwänden und der grosszügigen Verglasung zur Umgebung zu öffnen scheint, so sehr grenzt sie sich auch gegen sie ab, schützt die Gemeinde im Inneren. Es sind immer nur einzelne Blicke, die man von aussen ins Innere werfen kann. So verhindert etwa die Rückseite der Orgelempore, dass Besucher direkt vom Eingang auf den Altar sehen können. Trotz den grosszügigen Glasflächen bewahrt die Kirche ihr Geheimnis - bis die Empore umschritten ist. Dabei erweist sich auch diese Wand als eine der typischen abstrakten Skulpturen aus stereometrischen Grundformen, die Meiers weisse Handschrift trägt.


Ein Ort des reinen Lichts

Erst hinter ihr öffnet sich der eigentliche Kirchenraum. Statt mystischer Dunkelheit ist hier entsprechend Meiers Intentionen ein Ort des reinen Lichts entstanden, der selbst im grauen römischen Frühlingswetter noch von innen heraus zu erstrahlen scheint. Es wirkt, als würden die weissen Betonwände jeden noch so schwachen Lichtschein, der durch Glasfassade oder Glasdach in das Gebäude dringt, potenzieren und auf die Gemeinde zurückwerfen. Die Lichtführung gehört seit je zu den wichtigsten Elementen der Sakralarchitektur. Gerade darin ist Meier seinen barocken Vorläufern Bernini und Borromini verpflichtet. Gleichwohl gewinnt man selten den Eindruck, sich in einem Raum zu bewegen, der wie eine gebaute Übersetzung des 36. Psalms erscheint: «Denn bei dir ist die Quell des Lebens, und in deinem Licht sehen wir das Licht.»

Der rückwärtigen Orgelempore als Sichtschutz entspricht die - weisse - Wand, die den Altar hinterfängt und zu der die Blicke immer wieder emporwandern. Vor allem zu jener kleinen Öffnung, die neben dem Kruzifix aus dem 19. Jahrhundert einen Ausblick in den Himmel gewährt. Im Inneren der Kirche wird auch die Idee der sanft konkav gewölbten, hintereinander gestaffelten Betonschalen deutlich - jenseits aller vordergründigen Metaphern einer sprechenden Kirchenarchitektur: Während die eine Schale die Taufkapelle abgrenzt, ist die zweite der Sakramentskapelle zugeordnet. Die dritte legt sich wie eine schützende Hand um die Gemeinde im Kircheninnern und ruft dabei - wie ein Fragment - zugleich die ferne Erinnerung an die alte christliche Würdeformel der Kuppeln wach, denen ja gerade in Rom seit dem Pantheon eine ganz besondere Bedeutung zukommt.

Den geschwungenen Betonschalen antwortet auf der gegenüberliegenden Seite ein lang gestreckter Riegel, der zum Kirchenraum hin mit einer Holzlamellenwand abgeschlossen ist und der die Räume für das Gemeindezentrum beherbergt. Und auch damit erweist sich die Chiesa del Giubileo als Bau, der trotz seiner herausgehobenen Architektursprache den Anforderungen des Ortes und der Bewohner antwortet - auch in seiner städtebaulichen Positionierung. Denn Meier hat darauf verzichtet, den Altar zu osten. Das nämlich hätte bedeutet, den Eingang an die Rückseite der Kirche zu legen. Wer aus den Wohnblocks in Tor Tre Teste kommt, hätte dann erst einmal um die Kirche herumgehen müssen, um sie zu betreten. So entspricht Meiers Entwurf zwar nicht dem Idealfall des Sakralbaus. Gleichwohl ist es die bessere Lösung: steht sie doch für den kürzeren Weg der Gemeinde zu Gott.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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