Bauwerk

hill Weingut Hillinger
GERNER GERNER PLUS. - Jois (A) - 2004

Fertigteilkeller mit Blickkanone

Das Weingut Leo Hillinger im burgenländischen Jois von gerner°gerner plus

22. Mai 2004 - Oliver Elser
Scheitern als Chance. Die burgenländische Gemeinde Jois am Nordende des Neusiedler Sees rutschte Anfang der achtziger Jahre in ein tiefes Schuldenloch. Die Errichtung eines Yachthafens und der Kanalbau brachten Jois erst an den Rande des Ruins und dann in die Schlagzeilen. Der schlechte Ruf klebte zäh an der Gemeinde. Auch als man gegen Ende der Neunziger aus dem Gröbsten raus war, wurde die Erinnerung an den Fast-Bankrott mit jedem Schlagloch auf der Joiser Hauptstraße wieder wachgerüttelt.

In dieser Zeit kam das Architektenpaar Gerda und Andreas Gerner zusammen mit einer bauwilligen Familie das erste Mal nach Jois. Für eine Umgebung, die aussieht, wie die 1:1-Version einer Modellbahnanlage, auf der jemand wahllos ein paar putzige Häuschen verstreut hat, entwickelten gerner°gerner plus einen Mini-Wolkenbügel. Das schlauchförmige Haus stemmt sich in den Himmel und reckt die Fenster, um Seeblick zu bekommen. Das verstieß gegen sämtliche Baubestimmungen, aber der Bürgermeister sah darin ein Chance, Jois positive Presse zu bringen, und peitschte das Vorhaben durch alle Instanzen.

Der Erfolg gab ihm Recht. Für das Wohnhaus „suedsee“ bekamen die Architekten 2002 einen Metallbaupreis und ernteten viel Lob.

Für Leo Hillinger, Joiser Winzerssohn mit Dressman-Allüren und angeborenem Sinn für Marketing, war das ein Coup ganz nach seinem Geschmack. Die Aufteilung seines Betriebs in vier Produktionsstandorte störte ihn seit längerem, und da keiner davon die nötigen Erweiterungsflächen bot, beauftragte er gerner°gerner plus mit dem Entwurf für ein neues, großes Weingut am nördlichen Ortsrand von Jois, mitten in den Weingärten.

Selbst ein Betriebsgebäude war in dem geschützen Landschaftraum schwer zu rechtfertigen. Aber zumindest in der Anfangsphase packte der architekturbegeisterte Bürgermeister noch einmal mit an. Für die Architekten begann der Weg durch die Instanzen.

Mittlerweile, so ist zu hören, bereuen die burgenländischen Landesbehörden die zahlreichen Ausnahmegenehmigungen. Nicht weil der Bau die Erwartungen verfehlt hat, sondern wegen der Schlangen von ebenfalls Bauwilligen, die einen Präzedenzfall wittern.

Ein großer Teil, etwa zwei Drittel, sind in den Weinhügel vergraben. Die Produktions- und Lagerhalle wurde im „Tagebau“ unter die Oberfläche versenkt und bildet den langen Schenkel eines „L“. Am einen Ende der lang gestreckten Halle führt eine Rampe in den Weinberg hinauf, über die die Anlieferung der Trauben erfolgt. An der gegenüberliegenden Seite fügten die Architekten eine Box an, die sich als Sichtkanone über den Weingarten erhebt. Die Landschaft des sanften, zum See hin auslaufenden Tals erscheint hier, im Verkaufs-, Verkostungs- und Seminarbereich, wie eine fast unwirklich liebliche Fototapete. In den Blick zum Seeufer hingegen, gerahmt durch eine weiteres Fenster, schiebt sich im Vordergrund der Joiser Einfamilienhaushügel. Der See schimmert am Horizont wie die Luftspiegelung auf einer heißen Asphaltstraße.

Der monitorhafte Verkaufsraum ist teilweise in den Hang gegraben. Vorne ragt er einige Meter über den kleinen Parkplatz, gehalten von zwei schrägen Stützen. Dass die konstruktive Herausforderung dieser Geste plausibel abgearbeitet und auch dargestellt wird - sonst ein Markenzeichen von gerner°gerner plus - lässt sich hier nicht sagen. Ganz im Gegensatz zur Produktionshalle, wo Fertigteile den Rhythmus vorgeben, sollte die Empfangsbox clean und cool sein, mit makellosen Wänden, ohne störende Stützen. Aber so sehr dieser Baukörper zur dramatischen Geste ansetzt, so wenig „Fleisch“ hat die Architektur an dieser Stelle.

Nichts gegen coole Kisten und cleane Innenräume, die hier sehr schlüssig gelöst sind, mit lederbespannten Paravents, in denen alle den Blick störenden Einbauten verschwinden. Das Unbehagen entsteht auf der haptischen und strukturellen Ebene. Eine Außenhaut aus Thermoputz, die beim Dagegenklopfen ihren tragenden Betonkern verleugnet, zählt zu den unangenehmsten aller Baumaterialien und war ursprünglich auch nicht vorgesehen. Der Bau(herr) muss sich die Frage gefallen lassen, wieso sein Weingut sich so anfühlt wie die Einfamilienhäuser in der Umgebung.

Die strukturellen Einwände gehen in einen Bereich, der möglicherweise nur für Architekten plausibel ist. Aber dennoch: Warum kann ein Bau, der in seinen „technischen“ Bereichen wie ein Baukasten aus Fertigteilen zusammengesteckt ist, diese Sprache nicht auch dort verwenden, wo er ans Tageslicht tritt? Noch dazu, weil die Ausnahmesituation, dass es ein Gebäude an dieser Stelle gar nicht geben dürfte, die Latte sehr hoch legt. Ein technischerer Zugang, für den gerner°gerner plus als Architekten sogar prädestiniert gewesen wären, hätte den Bau plausibler und „organischer“ erscheinen lassen und das Eingangsgebäude davor bewahrt, seine starken Seiten nur im Innenraum auszuspielen. Bei aller Kritik: Dort ist die Verbindung zweier grundverschiedener Bauweisen sehr geglückt.

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