Bauwerk

Landesmusikschule Kufstein
riccione architekten - Kufstein (A) - 2004

Nichts im Lot, alles stimmt

Zum Wettbewerb nicht geladen _ und ihn gewonnen. Einen Saal um ein halbes Geschoß versenkt. Ganz zu schweigen von der Akustik. Das alles: rundum geglückt. Die Landesmusikschule in Kufstein.

Es zählt zu den ungewöhnlichen Vorkommnissen, wenn es von einem öffentlichen Bauauftrag heißt, er sei zügig und in durchwegs positiver Stimmung umgesetzt worden. Und alle Beteiligten - Bauherr, Nutzer, beteiligte Firmen und Fachleute, sogar die Architekten - seien mit dem Ergebnis zufrieden. Ein solches Resümee bekommt man so selten zu hören, dass man gleich einmal denkt: Stimmt da was nicht?

Bei der Landesmusikschule in Kufstein scheint aber alles zu stimmen. Riccione Architekten, das sind Mario Ramoni, Clemens Bortolotti und Tilwin Cede, eine Architektengruppe aus Innsbruck, die schon früher - vor allem durch einen Schulbau - aufgefallen ist, haben ihr Wettbewerbsprojekt praktisch 1 : 1 umsetzen können. Das Kuriose daran: Zum Wettbewerb (sechs Teilnehmer) waren sie gar nicht geladen. Sie haben sich nur beworben. Erst als eines der geladenen Büros - nämlich Henke/Schreieck, deren nahe gelegener Schulbau in Kufstein erweitert wird - von der Wettbewerbsteilnahme zurücktrat, rückten Riccione Architekten nach. Und sie legten ein Projekt vor, das in zweifacher Hinsicht alle anderen Vorschläge in den Schatten stellte.

Zunächst hinsichtlich der städtebaulichen Problematik. Denn einfach ist es nicht, im verbauten Stadtgebiet ein Eckhaus zu planen, das links und rechts an zwei Baulücken grenzt, die aber von der Widmung her geschlossen werden sollen. Das kann zwar noch zehn oder noch mehr Jahre dauern. Aber jetzt muss das Haus beides leisten: als Solitär Wirkung entfalten und langfristig Anbauten erlauben. Durch Auskragungen an den beiden Schmalseiten des Baukörpers - unter der einen liegt die Einfahrt in die Tiefgarage - ist das möglich. Diese Lösung macht den Baukörper auch noch in anderer Hinsicht interessant: Sie drückt die Binnenstruktur des Hauses aus - Schule im engen Sinn, mit Klassen und Verwaltung, findet in den drei Obergeschoßen statt, die als ganz schlichter Baukörper über Eck auf einer Art „Sockelgeschoß“ aufgesetzt sind.

Und darin liegt auch die zweite Qualität des Projektes: die Organisation des ziemlich komplexen Programms. Gefordert waren einerseits 27 Schulklassen und Räume für die Verwaltung, andererseits ein großer Saal, der zwar hauptsächlich schulischen Zwecken (Proben, Prüfungen) dient, aber auch für Konzerte und andere, externe Veranstaltungen mit Publikum geeignet sein sollte; gefordert waren andererseits Räume für zwei nicht schulische Institutionen - die öffentlich zugängliche Stadtbibliothek von Kufstein und das (nicht öffentliche, dafür einbruchsichere) Stadtarchiv.

Das Bestechende am räumlichen Konzept von Riccione Architekten liegt in der scheinbaren Einfachheit der Organisation des Erdgeschoßes. Dieses „räumliche Kontinuum“ hat die Jury schon im Wettbewerb hervorgehoben. Die Lösung ist wirklich komplex. Man kommt ins ebenerdige Foyer hinein, geht entweder in den halbgeschoßig in die Tiefe versetzten Saal hinunter oder in die halbgeschoßig nach oben versetzte Stadtbibliothek, das nicht öffentliche Archiv liegt darunter.

Die sensibelste Frage betraf die Absenkung des Saales um ein halbes Geschoß. Denn zur Straße hin ist er voll verglast, man sieht also hinunter. Und das muss man wollen. Die Nutzervertreter in der Jury wollten es, sie stehen noch heute dazu (was übrigens nicht selbstverständlich ist!). Die Offenheit, die Transparenz des Hauses macht überhaupt seine Besonderheit aus. Riccione Architekten haben einen formalen Ausdruck gewählt, der städtische Eleganz vermittelt. Und der demonstriert, dass es sich hier um ein besonderes, ein öffentliches Gebäude handelt, auf das die Stadt wohl auch stolz ist.

Das vermittelt der großzügige Umgang mit Glas. Aber auch die ziemlich edle, pulverbeschichtete Fassade aus Aluminiumpaneelen in einem sehr dunklen Braun, das in manchen Lichtsituationen fast schwarz wirkt. Alle Hauptfassaden Richtung Straße haben große vorspringende Rahmen, sind voll verglast und strukturiert durch die schmalen, hohen Lochbleche der „Ersatzbrüstungen“. Die „Feuermauern“ an den Schmalseiten, also dort, wo einmal angebaut werden könnte, sind schlicht und geschlossen, nur verkleidet mit Metallpaneelen. Die hofseitige Fassade, vor den Erschließungsgängen, ist ebenfalls verglast, mit einer Schicht Putzbalkonen davor und einer weiteren Schicht aus lotrechten Lamellen zur Beschattung. Daraus ergibt sich ebenfalls ein reizvoller Effekt: Wenn man weiter weg oder schräg vom Gebäude steht, wirkt es an dieser Seite sehr geschlossen. Steht man frontal davor, ergibt sich ein offenes Bild, die Lamellen scheinen fast zu verschwinden.

Ein besonderes Kapitel ist die Akustik. Denn Musikschulen sind üblicherweise in Altbauten untergebracht, also zwischen dicken Wänden. Riccione Architekten gingen kein Risiko ein, sie haben mit einem der besten Fachleute zusammengearbeitet, mit Karl-Bernd Quirin, der schon die vier neuen Säle im Wiener Musikverein (Wilhelm Holzbauer) akustisch zu verantworten hat.

Man muss zwischen Bau- und Raumakustik unterscheiden. Die Bauakustik wurde in Kufstein in einer Form umgesetzt, die nach außen ungemein freundlich in Erscheinung tritt. Das Haus hat an der Hauptfassade diese gewissen „Blumenfenster“, plastische Elemente, in großen, raumhohen Rahmen, die verglast und jeweils nur durch schmale Lochblech-Elemente strukturiert sind. In dieser Fassadenlösung wird sichtbar, dass die einzelnen Klasseneinheiten horizontal und vertikal getrennt sind. Sonst würde es Schallbrücken geben. Überhaupt wurden in Bezug auf die Schallproblematik weit reichende Maßnahmen gesetzt: keine planparallelen Flächen in den Innenräumen, kaum wahrnehmbar schräge Decken, in die Schallmatten einbetoniert sind, kein rechter Winkel.

Etwas Besonderes ist den Architekten im Erdgeschoss, an der Ecke des Saales gelungen. Sie haben sie gerundet entworfen, was bei der Materialisierung meistens zum wunden Punkt wird. Denn solche Gläser müssen maßgefertigt werden und sind, speziell wenn sie großformatig sein sollen, in der Regel unbezahlbar. In Kufstein hat man sich diesen Luxus glücklicherweise geleistet - und blieb trotzdem im Kostenrahmen.

Das hat wohl auch damit zu tun, dass Riccione Architekten einen Generalplaner-Auftrag bekamen, also selbst entscheiden konnten, an wen die verschiedenen Subaufträge gehen. Das Aufsplitten der Verantwortung für die Umsetzung eines Entwurfs bedeutet in der Regel nur seine Verwässerung und Schwächung.

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