Bauwerk

Café Prückl
Oswald Haerdtl - Wien (A)
Café Prückl, Foto: Margherita Spiluttini
Café Prückl, Foto: Margherita Spiluttini
Café Prückl, Foto: Margherita Spiluttini
Café Prückl, Foto: Margherita Spiluttini

Hundert Jahre Lässigkeit

Das Wiener Kaffeehaus Prückel ist zeitlos und trotzdem schon so alt

27. November 2004 - Ute Woltron
Der Faktor Zeit spielt in einem ordentlichen Kaffeehaus gleich mehrere elementare Rollen, und an keinem anderen Lokal lässt sich das besser ablesen als am Café Prückel in Wien.

Dass diese Großstadtoase der Mehlspeisen und Kaffeespezialitäten, der Zeitungsberge und Aschenbecher an der Ecke Stubenring/ Wollzeile dieser Tage den hundertsten Geburtstag feiert, muss von all seinen Gästen demütig und dankbar angenommen und gewürdigt werden. Hundert Jahre Kaffee sieden, Kuchen backen, den Gästen ein atmosphärisch wie architektonisch fantastisches Interimszuhause bieten - eine Meisterleistung, die manch anderem Kaffeehausbetreiber Wiens leider nicht geglückt ist.

Der Sermon der passionierten Kaffeehaushocker der Bundeshauptstadt ist bekannt: Zu viele dieser freundlichen Traditionszufluchtsstätten verschwanden in den vergangenen Jahren. Zuletzt ging das Café Museum leidvoll von uns. Es wurde niederpoliert, filetiert und nunmehr den Touristen zum Fraß vorgeworfen. Wo Messing unter Lack versiegelt blinkt, lässt sich kein anständiger Kaffeehausmensch auf Dauer blicken. Wo Kaffeehäferln mit grünem Pseudo-Kaffeehaus-Ketten-Logo verschenkt und die Nichtraucherwelt zur Tugend erklärt wird, auch nicht. Und die zeitgenössischen Lokale, in denen man Cappuccino und Caffè latte anstelle der Melangen bestellt, mögen so schön und flippig sein, wie sie wollen - sie spielen in einer anderen Liga und müssen erst beweisen, ob sie in ihrer Zeitgeistigkeit in ein paar Jahrzehnten auch noch funktionieren.

Das Prückel hingegen hat seine Kaffeehauswürde über lange Zeitspannen hinweg bewahrt, gepflegt und immer wieder sorgfältig erneuert. Christl Sedlar führt das Lokal in dritter Generation und seit nunmehr 44 Jahren. Die Republik bewies Kaffeehausbewusstsein und honorierte das soeben mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Republik.

Selbstverständlich spielt die Architektur des Lokals eine wichtige Rolle in seiner Erfolgsgeschichte - und auch die behutsame Art, wie mit dieser Architektur in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt umgegangen wurde.

Als Christl Sedlar noch nicht die fein gezeichnete Dame war, die sie jetzt ist, sondern ein bezopfter Teenager, saß an einem ganz bestimmten Tisch und so gut wie täglich ein kräftiger, nicht besonders großer Mann zu Gast, las die Zeitungen, trank Kaffee, betrachtete mit zunehmendem Missvergnügen die etwas angealterte und reich verzierte Jahrhundertwende-Ausstattung des Lokals, die irgendwie nicht mehr in die 50er-Jahre passte.

„Sie sollten jetzt irgendwann einmal restaurieren“, sprach er sodann zu Sedlars Vater, und so kam es, dass der Stammgast und Architekt Oswald Haerdtl sein Stammlokal Prückel zu dem umbaute, was es heute noch ist: ein fast zeitlos schönes, weites Lokal, in dem jedes Detail, jeder Schirm- und Mantelständer passt, mit Stühlen und Bänken, in die man, ausge- stattet mit Zeitungen aus aller Welt, stundenlang versinken kann, ohne einen Moment der sitzfleischhaften Unbequemlichkeit zu verspüren.

Das Prückel lebt von hohen, lichtdurchfluteten Räumen, von einer großzügigen, unbeengten Anordnung der Tische und Stühle, von unkonventionellen und zugleich unaufdringlichen Farb- und Materialkombinationen - und von einer gewissen Lässigkeit, die all das nicht zu einem im Zeitloch der 50er-Jahre festgefrorenen Designtempel hochstilisieren. Geschleckt wirkt hier gar nichts, es gibt Vorhänge und wuchernde Philodendren, in den Raum ragende Mehlspeisvitrinen, Zigarettenautomaten unterschiedlichsten Alters, schöne und hässliche Uhren und wechselnde Kunstwerke im kleinen Eckzimmer im Zwickel des L-förmigen Lokals. Gelebte Wiener Kaffeehauskultur eben.

Über all dem, und in stattlicher Höhe, prangt eine rosa-weiß-gestreifte Decke. Sedlar erinnert sich noch daran, wie Haerdtl die ursprünglichen reichen Stuckaturen abschlagen und den nackten Plafond im typischen Prückel-Rosa streifig pinseln ließ. Große Heizgeräte beschleunigten den Trocknungsprozess - denn auch in den 50ern war schließlich Zeit schon Geld. Die Gäste akzeptierten den Umbau sofort, das Kaffeehaus florierte, Sitze, Wände, Boden bekamen denn bald auch wieder jene Patina, die ein Café braucht - die allerdings auch irgendwann einmal wieder zu dick aufgetragen ist.

Über drei Jahrzehnte später saß denn auch - wieder an einem bestimmten Tisch, und wieder so gut wie täglich - ein anderer Mann auf seinem Stammplatz, trank Kaffee, las die Zeitungen und blickte abermals mit zunehmendem Missvergnügen auf die mittlerweile mit Tapeten überkleisterte Decke des schon etwas abgeblättert wirkenden Etablissements. „Sie sollten jetzt irgendwann einmal restaurieren“, sagte der Architekt Johannes Spalt Ende der 80er-Jahre zu Christl Sedlar, und es war eine glückliche Fügung, dass er und nicht ein anderer sich dem Denkmalschutz verpflichtet Fühlender die Wiederherstellung des Kaffeehauses in Angriff nahm.

Spalt leistete die uneitelste Arbeit, die ein Architekt leisten kann: Er nahm seine persönlichen gestalterischen Talente völlig zurück, um die des ursprünglichen Lokaldesigners wieder zur Geltung zu bringen. Er schlüpfte gewissermaßen in eine Art Zeitloch und transportierte den Geist Haerdtls und der 50er-Jahre hinüber ins Heute.

Das gesamte Mobiliar wurde restauriert, die Polsterstühle neu bezogen, der Boden ersetzt, die Decke originalgetreu gefärbelt. Die Restaurierung erfolgte in Etappen, der Kaffeehausbetrieb blieb aufrecht, die Gerüste wanderten langsam wie schon zu Zeiten Haerdtls durch das gesamte Lokal. „Der Mann, der die Decke strich, war schließlich ganz steif von seiner Arbeit“, sagt Sedlar.

Sie weiß, was sie an dieser Architektur hat, und sie weiß auch, dass ihre Gäste „diese gewisse Atmosphäre, das fast Glatte, Zeitlose“ zu schätzen wissen. „Die Wellen der Architektur kommen und gehen“, sagt sie, „aber das Prückel hat sich noch immer gehalten.“

Tatsächlich ist das Lokal besser besucht denn je. Der Faktor Zeit wird von jenen genossen, die hier ein bisschen ausspannen, tratschen, den Prückel-Kleinen-Braunen im Glas trinken, und der Faktor Zeit wird auch von den Kellnern beachtet, die keinen Gast länger als ein paar Minuten auf die Bestellung warten lassen.

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