Bauwerk

Hallenstadion Zürich - Erweiterung, Umbau und Renovation
Pfister Schiess Tropeano & Partner Architekten AG, Meier + Steinauer - Zürich (CH) - 2005

Der Radtempel wird zur Arena

Das bald siebzigjährige Hallenstadion in Zürich-Oerlikon hat eine Verjüngungskur hinter sich, die aus dem einstigen Radtempel eine zeitgemässe Veranstaltungshalle machte. Das denkmalgeschützte Haus blieb erhalten, Zusatznutzungen haben in einem Vorbau Platz gefunden. Eine Würdigung des neuen Hallenstadions als Match in drei Dritteln samt Schlusspfiff.

16. September 2005 - Werner Huber
1. Drittel: Der Altbau

Die 1912 errichtete offene Radrennbahn in Oerlikon war der Stolz der damals noch selbstständigen, reichen Industriegemeinde vor den Toren Zürichs. Doch häufig vergällte der Regen das sonntägliche Vergnügen, und so tat sich 1932 ein Initiativkomitee zusammen, um eine gedeckte Rennbahn zu erstellen. 1938 – Oerlikon gehörte nun zur Stadt Zürich – war aus dem Initiativkomitee die Aktiengesellschaft Hallenstadion geworden, die dank Beiträgen von Bund, Stadt und Kanton Zürich im Frühling 1938 mit dem Bau des Hallenstadions beginnen konnte. Am 4. November 1939 eröffnete ein Fest ‹unter dem Protektorat des Stadtzürcherischen Verbandes für Leibesübungen› den von Architekt Karl Egender, den Ingenieuren Ernst Rathgeb und R. A. Naef erstellten Bau.

Dieser besteht aus zwei Teilen: der massiven ‹Schüssel› mit Rennbahn, Tribünen und Garderoben und dem stählernen ‹Deckel›. Die Schüssel ist als Betonrahmenstruktur konstruiert, an der die nur gerade acht Zentimeter dicken Betonplatten von einer Zeit zeugen, in der die Arbeit billig und das Material kostbar war. Unabhängig von der Schüssel steht, als Meisterleistung der Ingenieure, die Stahlkonstruktion des Daches auf vier Stützen an den äusseren Ecken der Tribüne. Zwei mal zwei Hauptbinder, je zehn Meter hoch, spannen ein Rechteck auf, in das vier weitere Binder eingehängt sind. Darauf liegt die 10 000 Quadratmeter grosse Dachfläche aus Holzsparren, Schalung und Kiesklebedach. Um das zu beheizende Volumen zu reduzieren, hängte man auf halber Höhe der Hauptträger eine Decke aus Eternitplatten an ein Holzgebälk. Die darin ‹versinkenden› Fachwerkträger der Haupttragebene haben den Raumeindruck geprägt.

Durch die zwischen die Schüssel und den Deckel gespannte Glashaut strömte viel Licht in die Halle, doch war diese lichte Atmosphäre nur noch auf alten Fotos zu bewundern. Längst waren die Glasflächen hinter grossen Vorhängen verschwunden, die das Tageslicht aussperrten. Denn obschon die Radrennen zunächst den Kalender dominierten, war das Hallenstadion von Beginn weg als Mehrzweckhalle geplant. So gab es Boxkämpfe, Reitwettbewerbe, Opernaufführungen oder Zirkusvorstellungen, und schliesslich erlebte das Hallenstadion am 18. November 1950 seinen ersten Eishockeymatch: ZSC gegen Arosa.

Zwischenresultat des 1. Drittels: Bei seiner Eröffnung war das Hallenstadion eine der grössten Veranstaltungshallen Europas. Die ‹Schildkröte›, wie das sechseckige Gebäude mit seinem nur minimal geneigten Dach genannt wurde, ist zu einem Wahrzeichen Oerlikons geworden. Seit der Eröffnung hat man es stets in Schuss gehalten, repariert, was nötig war, und hier und dort kleinere Umbauten durchgeführt. Doch mit den Jahren machten sich die Altersbeschwerden bemerkbar; das alte Haus genügte den Ansprüchen nicht mehr. So musste die Beleuchtung für jeden Anlass separat an der Decke befestigt werden, und in einer Zeit, wo die grossen Stars ihr Equipment in 40-Tönnern antransportieren, konnte bloss ein Gabelstapler von aussen ins Hallenstadion fahren. Zudem büsste der Radrennsport seine Bedeutung ein und die Rennbahn stand den meisten Veranstaltungen im Weg. Nach Aufgabe des Sechstagerennens war der Weg frei für eine zeitgemässe Mehrzweckhalle.

2. Drittel: Die Sanierung

In einer Bauzeit von nur einem guten Jahr haben Pfister Schiess Tropeano Architekten, Meier + Steinauer Partner und der Totalunternehmer Karl Steiner den Bau gründlich saniert und aufgerüstet. Die innere Betonstruktur, die Fassaden samt Fenster und Türen waren beim Umbau tabu, denn das Hallenstadion steht unter Denkmalschutz. Hingegen hat man die nicht mehr benötigte Radrennbahn ent-fernt und den Hallenboden mit dem Eisfeld um 1,50 Meter abgesenkt. Das erlaubte, eine Zu- und Wegfahrt für grosse Lastwagen durch die beiden seitlichen Tribünen in die Halle zu führen und an Stelle der einstigen Radrennbahn eine ansteigende Bestuhlung mit guten Sichtverhältnissen einzubauen.

Rund 13 000 Plätze zählt das Hallenstadion auf – je nach Rang – mehr oder weniger gepolsterten, blauen Sesseln; 19 verschiedene Varianten für die Bespielung des Raumes sind ausgearbeitet und feuerpolizeilich abgeklärt. Der markanteste Eingriff in der Halle ist der dreigeschossige Bau in der Südkudve, der zwanzig Logen und die Kabinen für Regie, Dolmetscher und Sprecher aufnimmt. Von hier aus können Gäste der Logenmieter (250 000 Franken pro Jahr) das Geschehen aus bester Perspektive verfolgen.

An der imposanten Stahlkonstruktion des Daches mussten die Ingenieure Walt + Galmarini sorgfältig rechnen, um den heutigen Vorschriften zu genügen. So brachte die Entfernung der abgehängten Decke die nötige Gewichtsersparnis, um die Dachfläche zu isolieren und neu einzudecken und um Videowände, Sprinkler und Beleuchtungseinrichtungen an die Stahlkonstruktion zu montieren. Den Veranstaltern steht eine Tragkraftreserve von 20 Tonnen zur Verfügung, die sie für eigene Installationen nutzen können. Die Dachkonstruktion, die 65 Jahre lang zur Hälfte verborgen war, ist nun sichtbar. Da fast alle Veranstalter eine dunkle Umgebung verlangen, ist die Decke dunkelblau und selbstverständlich sind Verdunkelungsvorhänge eingebaut. Immerhin lassen sich diese nun automatisch zuziehen.

Dunkelblau ist auch ein breites Betonband, das sich über den grossen Glasflächen der Deckenkante entlangzieht. Was auf den ersten Blick wie ein unverständliches Tragelement aussieht, ist der seinerzeit in fünf Zentimeter dickem Ortbeton erstellte Zuluftkanal. Diesen haben die Haustechniker zum Abluftkanal umgepolt und die Zuluft unter die Sitze verlegt. Die umfangreichen Lüftungsaggregate, welche die Halle im Normalbetrieb stündlich mit 200 000 Kubikmeter Luft versorgen, sind in Türmen untergebracht, die an den Längsseiten ausserhalb des Hallenstadions stehen und mit den neuen Fluchttreppen kombiniert sind. Die zunächst geplante Versenkung der Lüftung unter den Hallenboden scheiterte bald an Kosten und Terminen.

Zwischenresultat des 2. Drittels: Nach dem Umbau spielt das Hallenstadion wieder in der ersten Liga mit. Die geschwungene, weiss gestrichene Betonwand inmitten der Sitzreihen erinnert an die einstige Rennbahn und das Logenbauwerk setzt sich als eigenständiges Element vom Alten ab. Ein Wermutstropfen bleibt: die Decke. Nach Entfernung der Zwischendecke ist zwar die Stahlkonstruktion in ihrer ganzen Pracht zu sehen. Doch gerade die eigentümliche Zwischendecke war charakteristisch für den Raumeindruck. Als Ersatz hat man einen Gitterrost geprüft, musste die Idee aber wegen des Gewichts und der Kosten fallen lassen.

Nun fehlt im Mittelteil dieses Element völlig – und in den Randbereichen ist bloss der Holzrost übrig geblieben. So interessant die Konstruktion ist, die einheitliche dunkelblaue Farbe verunklärt deren Lesbarkeit. Zwar untersuchten die Architekten zusammen mit der Denkmalpflege verschiedene Farbvarianten, doch setzte sich der von der Bauherrschaft verlangte einheitliche dunkle Farbton durch. Der dunkelblaue Anstrich der Dachkonstruktion verwischt aber auch den ansonsten deutlichen Kontrast zwischen Alt und Neu: Mit ihrer Farbe verbindet sich die alte Stahlkonstruktion optisch mit der neuen Bestuhlung und setzt sich von der alten Betonstruktur ab.

3. Drittel: Der Vorbau

Bereits in ihrem Projekt von 1937 hatten die Architekten Egender und Müller vor dem Hallenbau ein viergeschossiges, konkav geschwungenes Gebäude mit Eingangshalle und Restaurant vorgeschlagen. Weil damals die Mittel für die Realisierung nicht vorhanden waren, fehlten dem Hallenstadion seither ein Foyer und ein richtiges Restaurant. Jetzt stand dieser Platz zur Verfügung, um Kassen, Restaurants, Konferenzräume und Büros zu erstellen. Die Architekten entwarfen einen viergeschossigen Riegel, der an die beiden seitlichen, weit vorstehenden Treppenhäuser des Altbaus andockt. Ein Knick in der Fassade markiert die Längsachse des Stadions und lässt den Bau gegenüber dem Portikus der benachbarten Messe etwas zurückweichen.

Gegen aussen verschliesst sich der Vorbau weitgehend. Nur die Kassen und Imbissstände im Erdgeschoss und einzelne Räume in den Obergeschossen öffnen sich zur Strasse hin. Weil das verbleibende Trottoir für grosse Menschenmassen zu schmal ist, führt der Hauptzugang nicht mehr frontal auf den Bau zu, sondern die beiden Haupteingänge liegen an den Stirnseiten des Vorbaus. Aus einer offenen Vorzone gelangt man über einen niedrigen Bereich, dessen Raumhöhe von der Kote des ersten Ranges im Altbau bestimmt ist, ins hohe, von Oberlichtkuppeln erhellte Foyer. Dieses ist die Überraschung des Umbaus und die Drehscheibe, die dem Stadion bis anhin fehlte. Vom Foyer aus führen die Treppen auf die Ränge oder in das grosse Restaurant im 1. Stock, das sich mit breiten Schiebetüren zum Foyer hin öffnen lässt. Die Besucher der VIP-Lounges gelangen via separaten Eingang direkt ins 2. Obergeschoss. Dort steht ihnen ein eigenes Restaurant zur Verfügung.

Damit der ehrgeizige Terminplan überhaupt einzuhalten war, wurde die gesamte Betonkonstruktion vorfabriziert und auf der Baustelle montiert. Ausgefacht ist die Tragstruktur aber nicht mit Backstein wie am Altbau, sondern mit Tafeln aus verzinktem Blech, die einen ähnlichen industriellen Touch vermitteln. Dazu gesellt sich der homogene Boden aus schwarzem Gummigranulat mit eingestreuten Aluminiumspänen, der sich durch das Foyer, über die Treppen und durch die Räume zieht.

Zwischenresultat des 3. Drittels: Ein Foyer, ein anständiges Restaurant, Konferenzsäle, ein VIP-Bereich sowie angemessene Räume für die Verwaltung – das ist für das Hallenstadion kein Luxus. Diese Räume haben bis anhin gefehlt und es ist nahe liegend, sie dort unterzubringen, wo die Architekten bereits vor fast siebzig Jahren ein Gebäude vorgesehen hatten. Mit ihrer Materialwahl haben die Architekten den Charakter des alten Hallenstadions aufgenommen, ohne sich mit einer simplen Übernahme der Materialpalette anzubiedern oder gar den Eindruck zu erwecken, der Vorbau habe schon immer hier gestanden. Als Folge des neuen Vorbaus ist aber das Hallenstadion als ‹Landmark› – das Rund der Südspitze über dem von den Treppenhäusern gefassten Platz – aus dem Stadtbild verschwunden. Ein Wiedersehen mit dem vertrauten Bau gibt es erst im Foyer. Doch da die Architekten aus Kostengründen kein Glasdach einbauen konnten, zerschneidet eine Betondecke den Blick auf die Fassade. Nur deren unterer Teil ist zu sehen – das Aha-Erlebnis bleibt in der Hälfte stecken.

Obschon der Neubau im grossen Ganzen das bereits von Egender vorgesehene Volumen umfasst, wirkt er zu klein. Denn die Umgebung des Hallenstadions hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert – insbesondere mit der benachbarten Messe und ihrem kolossalen Vordach. Haben sich vor dem Umbau des Hallenstadions die beiden Bauten zu einem grossmassstäblichen Ensemble verbunden, bringt nun der Vorbau einen kleineren Massstab ins Spiel. Dieser wird den beiden Hallenbauten, aber auch dem Hallenstadion allein und seiner Bedeutung nicht gerecht. Die Architekten hatten dieses Problem erkannt und gegenüber dem Amt für Hochbauten der Stadt Zürich die Ansicht vertreten, ein zusätzliches Geschoss wäre eine adäquate Antwort gewesen. Zu Recht, wie der fertige Bau zeigt.

Schlusspfiff

Den Schönheitsfehlern zum Trotz: der Umbau des Hallenstadions ist gelungen. Man mag es bedauern, dass der spröde Charme von einst dem zeitgemässen Komfort und der Effizienz hat Platz machen müssen. Doch muss man bedenken, dass das Hallenstadion, wie es war, keine Zukunft gehabt hätte. 2005 ist nicht 1939 und zeitweise stand sogar der Abbruch des Egender-Baus zur Debatte. Jetzt hat Zürich wieder eine Veranstaltungshalle, die auf der Höhe der Zeit ist und dennoch die Vergangenheit spüren lässt. Denn die Architektur des Altbaus hat unter dem Umbau kaum gelitten; das Gebäude mit seinen grossen Glasflächen blieb erhalten und die neuen Zutaten zerstörten vom Alten nur wenig. Nichts hindert künftige Generationen daran, die Stahlkonstruktion dereinst anders zu streichen, wieder eine Zwischendecke einzubauen, den Vorbau abzureissen – oder ihn aufzustocken, damit er das Gewicht erhält, das er an dieser Stelle braucht.

[ Zur Eröffnung ist ‹Das Hallenstadion – Arena der Emotionen›, herausgegeben von Heiner Spiess erschienen. Das Buch erzählt auf 282 Seiten und in 300 Bildern 65 Jahre Hallenstadion-Geschichte und schildert ausführlich den Umbau. CHF 78.– ]

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

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