Bauwerk

Stade de Suisse
Rodolphe Luscher, Schwaar & Partner, Felix Rebmann - Bern (CH) - 2005
Stade de Suisse, Foto: Philipp Zinniker
Stade de Suisse, Foto: Philipp Zinniker

Aalglatter Flugzeugflügel

Auf dem Areal des ehemaligen Fussballstadions Wankdorf ist ein multifunktionales Gebäude errichtet worden, das unter anderem dem Schweizer Fussballverband als Nationalstadion dient. Das Spielfeld ist mit einer leichten Stahlkonstruktion überdacht, die an einen schwebenden Flugzeugflügel erinnert. Umhüllt wird die Fassade mit einem halbtransparenten Stahlgewebe.

28. Januar 2006 - Evelyn C. Frisch
Bekannt wurde das ehemalige Wankdorfstadion aus dem Jahre 1954 durch das „Wunder von Bern“ - das denkwürdige Weltmeisterschafts-Final Ungarn gegen Deutschland. Doch der Zustand des Stadions genügte den Sicherheits- und Komfortanforderungen von heute nicht mehr. Treibende Kraft für einen Neubau war der Bauunternehmer Bruno Marazzi, der schon seit Ende der achtziger Jahre ein Konzept für ein neues Wankdorf Stadion entwickelte. Klar war, dass ein reiner Sportbau sich nicht finanzieren las-sen würde. Um Rendite zu erzielen, musste das Volumen des Stadions mit anderen Nutzungen aufgeladen werden - man entschied sich für ein Multiplexkino mit zehn Sälen, ein Hotel, 500 Büroarbeitsplätze und schliesslich das obligatorische Einkaufszentrum, um das alltägliche Besucheraufkommen zu garantieren.

Im Jahre 1998 wurde unter zwölf Architekturbüros ein Wettbewerb durchgeführt: der Entwurf des Zürcher Teams Rebmann, Rebmann, Meier landete auf dem ersten Rang. Die Stadt Bern verlangte jedoch 1999 einen neuerlichen Wettbewerb der fünf Preisträger auf Basis des Rebmann Entwurfs. Nunmehr erhielt die im Vorjahr zweitplacierte Arbeitsgemeinschaft von Rodolphe Luscher aus Lausanne und dem Berner Partnerbüro Schwaar & Partner den Zuschlag, das Büro Rebmann wurde ins Team integriert. Im Jahr 2000 lag ein baureifes Projekt vor - doch das Multiplexkino führte zu Einsprachen, so dass eine Umplanung mit mehr Bürofläche anstelle von Hotel und Kinos nötig wurde. Die Gesamtanlage wurde Mitte 2005 eröffnet und vom Schweizerischen Fussballverband zum „Nationalstadion“ – dem „Stade de Suisse“ erklärt.

Zeigten die Entwurfspläne zu Beginn noch ein spannungsreiches Arrangement von Stadionoval und Baukörpern für die Nebennutzungen, das von einem schwebenden Dach überfangen wurde, ist das ausgeführte Projekt deutlich kompakter. Stahlbetonstützen im regelmässigen Rhythmus tragen den viereckigen Dachkranz, der konstruktiv aus weit in Richtung Spielfeld vorkragenden Fachwerkträgern von 30 Metern Länge besteht und ursprünglich von innen verschiedenfarbig beleuchtet werden sollte. Ein auf der Südseite in die Arena hineingedrücktes Volumen enthält im vierten Obergeschoss an Firmen vermieteten Logen. Zwei Tribünen, die den strengen FFIFA und UEFA Richtlinien genügen müssen, fassen rund 32'000 Sitzplätze - wie heute üblich, wurde dabei auf grösstmögliche Nähe zum Spielfeld
Wert gelegt. Für Festanlässe wie Konzerte und Events sind bis zu 40'000 Besucher zugelassen.

Schwebendes Stahldach

Das Stadiondach dient in erster Linie dem Zuschauerkomfort. Sämtliche Sitz- und Stehplatztribünen sind überdacht. Daneben bietet das Dach die Möglichkeit für verschiedene Zusatznutzungen. So wird
auf einer Fläche von 5'300 m² das grösste schweizerische Sonnenkraftwerk errichtet. Interessierte Besucher werden die Anlage von einer erlebnisorientiert ausgestalteten Plattform über dem Dach besichtigen können. Ausserdem dient das Stadiondach zur Aufnahme einer Vielzahl von Betriebseinrichtungen wie Anzeigetafeln mit LED-Technik, Beleuchtung und Flutlichter, Lautsprecher und Mikrofone sowie Videokameras. Im Innern des Dachs befinden sich weitere technische Installationen wie Kabelkanäle und Dachwasserleitungen sowie ein Servicesteg.

Neben den statisch-technischen Anforderungen hat das Dach auch die gestalterische Idee der Architekten zu tragen. Es soll wie ein Flugzeugflügel über dem Stadion schweben. Daraus entstand die Konzeption der Dachhaut, welche die Konstruktion einfasst, wie auch das Tragkonzept mit der 29 m grossen stützenfreien Auskragung. Die Unterseite des Daches wird mit Metallkassetten verkleidet. Der Dachrand auf der Innenseite wird auf einer Breite von rund 8 m mit Mehrstegplatten aus Polycarbonat transparent gehalten, um harten Schattenwurf auf dem Spielfeld zu vermeiden.

Tragkonzept

Die Tragkonstruktion des Daches besteht aus 40 Stahlfachwerk-Hauptträgern im Abstand von 16.0 m bzw. 17.16 m. Diese 40 m langen, 29 m auskragenden Fachwerke mit 5.10 m Scheitelhöhe sind innen auf Stahlrohrstützen Æ 813 mm abgestellt und aussen mit Stahlrohren (Durchmesser 457 mm) zugverankert. Um die Spannweite zwischen zwei Hauptträgern zu halbieren, wurden diese mit Fachwerk-Querträgern verbunden, welche als Auflager für die Sekundärträger dienen. Dadurch konnte die Spannweite für die Pfetten auf 8 m bzw. 8.58 m reduziert werden. Die für die Dimensionierung massgebenden Einwirkungen ergeben sich aus Schnee und Wind.

Zur Aussteifung der Dachkonstruktion werden sowohl in der oberen wie auch in der unteren Dachebene Verbände angeordnet. Die Horizontalstabilisierung des Daches gegen Wind- und Erdbebenkräfte erfolgt über die inneren Stahlstützen, die in 11 m Höhe - bei einer Gesamtlänge von 15 m - durch die vorfabrizierten Beton-Tribünenträger horizontal gehalten sind. Dabei ist zu beachten, dass die Steifigkeit der Tribünenträger in Querrichtung zehnmal grösser ist als in Längsrichtung.

Montage

Trotz der weitgespannten Tragkonstruktion beträgt der Stahlverbrauch nur etwa 75 kg/m2 (ohne Stützen). Bei einer Dachfläche von rund 24'000 m² ergibt dies dennoch ein Gesamtgewicht von 1'800 t sowie zusätzlich 500 t für die Stahlstützen und weitere 500 t für eine Stahlverbunddecke. Das Montagekonzept wurde bestimmt durch die Transportmöglichkeiten vom Werk auf die Baustelle, den Platzverhältnissen für die Lagerung vor Ort und den zur Verfügung stehenden Hebezeugen. In einem ersten Umgang wurde zuerst der äussere Kranz - der so genannte „Rucksack“ - montiert und in einem zweiten Umlauf folgte dann der nach innen auskragende Teil. Die Konstruktion wurde jeweils auf dem Spielfeld vormontiert und dann in Elementen mit einer Länge von zwei Stützenfeldern auf die vorgängig gestellten Stützen gesetzt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Steeldoc

Ansprechpartner:in für diese Seite: Evelyn C. Frischinfo[at]szs.ch

Archfoto

Hans Ege