Bauwerk

Airside Center
Grimshaw Architects, Itten+Brechbühl AG - Zürich (CH) - 2004
Airside Center, Foto: Ralph Bensberg
Airside Center, Foto: Ralph Bensberg

Flügelschlag zwischen zwei Welten

Ein lichterfüllter, betörend grosszügiger Raum empfängt die Fluggäste im neuen Zürcher Flughafen. Erbaut zwischen die bestehenden Terminals A und B, signalisiert das Airside Center deutlich das städtebauliche Anliegen nach einem neuen Zentrum. Es zentriert, ordnet und lenkt die Menschenströme und bietet Raum zum Verweilen. Es ist eine Transitzone zwischen der Welt des Abreisens und des Ankommens.

20. April 2005 - Evelyn C. Frisch
Kaum ein Flughafen bietet seinen Gästen eine grossartigere Willkommens- und Abschiedsgeste. Das Airside Center ist von einer gelassenen Heiterkeit erfüllt, die sich auf den Besucher überträgt. Eine gedämpfte Geräuschkulisse tut sich auf, fast meint man, flüstern zu müssen. Keine Hektik, kein Gedränge – man flaniert an edlen Boutiquen vorbei und betritt eine lichte Wartehalle mit gotischen Dimensionen. Der Blick geht nach oben, folgt dem grossen Schwung der Linien, misst die Höhe und die Tragkraft der Stützen. Man wünschte sich, noch etwas Wartezeit zu haben, um sich hier dem offenen Blick in die Landschaft und der Wirkung des Raumes hingeben zu können.

Warten, verweilen, ausschauen

Das Airside Center ist das Herzstück der 5. Ausbauetappe des Flughafens Zürich. Den Wettbewerb gewann 1996 die Planergemeinschaft Itten +Brechbühl, Nicholas Grimshaw & Partners, Ernst Basler +Partner sowie Ove Arup & Partners. Das Gebäude ordnet die luftseitige Abwicklung des Flugverkehrs, ist also eine Transitzone, die alle Zu- und Weggangswege koordiniert und lenkt. In ihm kommen sämtliche ankommenden und abfliegenden Passagiere zusammen, und von hier gelangen sie weiter zu den Gates A, B und via Skymetro zum Gate E (Dock Midfield). Das Airside Center ist Wartehalle, Shoppingmall und Aussichtsterrasse auf das Flugfeld zugleich. Dem Galeriegeschoss angelagert sind zwei, im Wesentlichen identische, mit Holz verkleidete Körper. Diese Binnenräume beinhalten Retaileinheiten und verschiedene andere Nutzungen auf zwei Ebenen. Sie folgen dem Schwung des Raums, gliedern und zonieren das Gesamtvolumen. Rund 60 Geschäfte des oberen Segments sind im Airside Center untergebracht. Trotz der kommerziellen Nutzung überwiegt der Eindruck einer angenehmen Umverteilungs- und Wartezone.

Komplexe Dachform Das weitgespannte Dach schwebt über einem an den Enden zusammenlaufenden Raum von 250 Metern Länge. Für die architektonische Idee des Dachflügels mussten eine mathematisch beschreibbare Form und ein Tragwerk entwickelt werden. Die Dachgeometrie ist ein Ausschnitt aus einer Translationsfläche, wobei das Dach in der Mitte zum Flugfeld am höchsten ist, sein niedrigster Punkt liegt landseitig auf der Symmetrieachse. Die Stahlkonstruktion sollte innen sichtbar bleiben. Entstanden ist ein doppelt gekrümmtes Flächentragwerk aus sich diagonal überschneidenden Fachwerken. Damit es gegen die Flügelspitzen hin zu keiner unschönen Verdichtung der Träger kommt, verkleinert sich der Abstand der Knotenpunkte stetig, so dass sich die Linien zur Spitze des Flügels hin verjüngen. Die Knotenpunkte liegen auf einem konstanten Achsmass von 7,75 Metern. Der Abstand zwischen Ober- und Untergurt der Fachwerkträger beträgt ebenfalls konstant 2,25 Meter. Das Dach ist ein doppelt gekrümmtes Flächentragwerk aus sich diagonal überschneidenden Fachwerken.

Getragen wird der fassadenseitige Randträger des Raumfachwerkes an sechs Stellen durch bis zu 17 Meter hohe V-förmig aufgehende Stützenpaare. Auf der Rückseite trägt eine regelmässige Stützenreihe. Das Dach ist in Querrichtung statisch bestimmt gelagert, wobei die V-Stützen die Wind- und Erdbebenkräfte aufnehmen. Die V-Stützen stehen auf eindrücklichen Vollstahlfüssen. Die Decke hat darüber hinaus ein Gefälle von rund 0,4 Prozent und gleicht damit die Höhendifferenz von 1,2 Metern zwischen den Terminals A und B aus. Darum hat jeder Stützenfuss und jedes Stützenpaar andere Abmessungen. Diese Stützenfüsse gehören zu den anspruchsvollsten Stahlarbeiten des Bauwerks. Sie sind aus 13 verschiedenen Teilen zusammengeschweisst.

Die komplexe Geometrie des Tragwerks führte zu stets unterschiedlichen Anschlusswinkeln der Stahlrohre. Im Obergurtknoten treffen sich bis zu sieben, im Untergurtknoten bis zu neun Stäbe. Jeder Knoten kommt aus Symmetriegründen höchsten zweimal vor. Die räumliche Durchdringung im Knoten hätte für die Bemessung und Fertigung einen enormen Aufwand erfordert. Darum werden die Kräfte durch Stahlplatten, die in Schlitzen in die Rohre eingeschweisst sind, in die Knoten eingeleitet. Die Kraftübertragung erfolgt durch gerade Schweissnähte.

Das Schaufenster zur Flugbahn

Ebenso anspruchsvoll wie die Tragstruktur erweist sich die Geometrie der grossen Glasfassade. An den Flügelspitzen muss sie eine Verformung durch Temperaturschwankungen von 3,5 Zentimeter aufnehmen können. Die Geometrie der Pfosten-Riegelkonstruktion basiert auf einem Kegel. Daraus ergeben sich trapezförmige Felder. Sie weichen allerdings nur fünf Millimeter vom Rechteck ab. Es konnten also rechtwinklige Standardscheiben gleicher Grösse verwendet werden, was die Kosten senkte. Die Pfosten sind am Dach unverschiebbar aufgehängt, das Fussdetail erlaubt die nötige Bewegungstoleranz. Das Zusammenwirken der Pfosten, der Riegel, der gebogenen Unterspannung und der geraden Verbindungen zwischen Pfosten und Unterspannung ergibt in der Fassadenebene einen senkrechten Vierendeelträger. Die Fassadenelemente wurden komplett im Werk hergestellt und ohne Schweissen auf der Baustelle montiert.

Nachts wirkt die Glasfront wie die Haut eines riesigen Leuchtkörpers. Weithin sichtbar, ist das Airside Center das neue Gesicht des Flughafens, der dadurch an internationaler Bedeutung gewinnt. Zwölf Monate Vorlauf- und zehn Monate Montagezeit waren nötig, um dieses Bravourstück der Ingenieurskunst in Stahl zu vollenden.

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Für den Beitrag verantwortlich: Steeldoc

Ansprechpartner:in für diese Seite: Evelyn C. Frischinfo[at]szs.ch

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Hans Ege