Bauwerk

Stadthalle Wien Halle F
Dietrich | Untertrifaller - Wien (A) - 2006

Die Kunst, Zweiter zu sein

Respektvolle Distanz statt harter Kontraste: Wie sich Helmut Dietrich und Much Untertrifaller mit Augenmaß einem Monumentalbau annähern. Die neue Halle F im Wiener Stadthallen-Komplex.

4. März 2006 - Walter Zschokke
Die Wiener Stadthalle gilt zu Recht als herausragendes Monumental bauwerk, das in der Wiederauf bauzeit der 1950er-Jahre als einsame Ausnahme neu errichtet wurde. Roland Rainer hatte mit seinem Entwurf nicht bloß ein sehr großes Gebäude im Sinne eines linear vergrößerten Hauses vorgeschlagen; vielmehr gelang ihm eine Großform, die dem riesigen Volumen maßstäblich gerecht wird und als städtebauliche Figur zu den Nachbarbauten etwa zwei Häusergrößen Abstand hält. Zugleich wahrte der zeichenhafte, an beiden Seiten expressiv hochgezogene und aufgestelzte Baukörper vorsichtige Distanz, indem er hinter Märzpark und niedrigem Foyerbau eher zurückhaltend in Erscheinung tritt. Eine zusätzliche Betonung des monumentalen Charakters vermied der Architekt. Und er wird nach den Jahren martialischer Massenaufmärsche und totalitärer Großveranstaltungen wohl gewusst haben, warum. Dennoch blieb die städtebauliche Beziehung zum Verkehrsknoten Urban-Loritz-Platz seltsam ungeklärt. Denn nicht wenige Besucher streben jeweils durch die vom Märzpark gebildete Entspannungszone - einen wichtigen Vorbereich solcher Anlagen der Massenkultur - zum Stadthallenkomplex. Aber gerade in dieser Richtung war die städtebauliche Wirkung schwach.

Mit der neuen Halle F, von Helmut Dietrich und Much Untertrifaller, nach gewonnenem Wettbewerb an eben dieser Schlüsselstelle errichtet, wird die Eckposition angemessen markiert, werden angrenzende Straßen- und Platzräume definiert und wird der Dialog mit dem beachtlichen Bestand gesucht und klug geführt. Die östliche, zum Gürtel gerichtete Stirnseite kragt etwa zwölf Meter aus. Das ist einerseits städtebaulich als Empfangsgeste zu deuten, andererseits liegt die vordere Kante in der Flucht der Querachse vor der Stadthalle, die von der Moerlinggasse und - auf der anderen Seite - von der Zinckgasse gebildet wird. Damit erhält der in der Hütteldorfer Straße vor dem Möbelhaus ausgeweitete Straßenraum einen klaren, straßenparallelen Abschluss und mit der Pausenterrasse vor dem Südfoyer ein urbanes Element.

Die verglaste Eingangswand unter der Auskragung, wo sich die Türen zum Eingangsfoyer reihen, folgt hingegen der Flucht der niedrigen Eingangsfront zur großen Halle. Damit werden zwei parallele städtebauliche Kanten mit dem neuen Gebäude sorgfältig und präzis in Beziehung gebracht. Die auch als Medienwand gestaltbare Stirnseite ist geschlossen, die schräg zurückweichenden Flanken hingegen sind vollflächig verglast. Dahinter befinden sich die Pausenfoyers. Während nun die südexponierte Seite parallel zur Hütteldorfer Straße verläuft und sich damit dem Stadtgefüge unterordnet, sodass das Bauwerk hier eher Stadtreparatur betreibt, ist die symmetrisch angeordnete Nordseite in dieser Hinsicht frei. Die Nähe zu den schrägen Tribünenstützen und den weiteren Schrägen an der großen Halle führt hier zu einem interessanten Dialog windschief im Raum verlaufender Kanten und Linien.

Dabei überlässt der Neubau der älteren Halle hinsichtlich Höhe und Instrumentierung den Vorrang. Die Lautstärke der Architektursprache ist zurückgenommen, und die glatten Aluminiumtafeln der Fassade halten ausreichend Distanz zum profilierten Blech an der großen Halle. Am Tag spiegelt sich deren sonnenbeschienene Südfassade in der Glaswand, die im Schatten liegt. Nachts öffnet sich das beleuchtete Pausenfoyer und dialogisiert mit dem Raum unter den hochgezogenen Rängen des Rainer-Baus.

Helmut Dietrich und Much Untertrifaller zeigen, wie in dieser spannungsreichen Situation nicht etwa harte Kontraste, sondern kalkulierte Annäherung bei den Volumen und respektvolle Distanz in den Details zum optimalen Resultat führen. Der Sachverhalt ist auf dem Foto von Bruno Klomfar gut erkennbar.

Das Innere ist übersichtlich strukturiert, mit kurzen Wegen und direkten Zugängen. Im keilförmigen Raum unter den Zuschauerrampen wird man in die Foyerhalle hineingezogen. Zwei breite Treppen führen an beiden Seiten hinauf zu den Pausenfoyers, deren ansteigender Boden mit den Sitzreihen im Saal korrespondiert, sodass keine Stufen anfallen. Boden und Wände sind mit Robinienholz belegt, einem robusten Material von dunkel-warmer Anmutung. Über die hohen Glaswände wirken die Pausenfoyers offen und sind abends von außen einsehbar wie riesige Schaufenster. Das Geschehen im Inneren wird den Vorbeigehenden gezeigt und belebt damit den öffentlichen Raum.

Der Saal selbst ist ganz in hellem Rot gehalten, eine starke Farbe, die bereits ohne Publikum Erwartungsspannung erzeugt. Es gibt hier keinen Balkon. Damit ist eine Trennung der Zuschauermasse vermieden. Gerade dass die Sitzreihen einmal durch einen breiten Querweg unterbrochen werden, der, „Catwalk“ genannt, zugleich einen ausgelagerten Teil der breiten Bühne bildet. Zuhinterst befindet sich leicht erhöht ein VIP-Bereich, von dem kurze Treppchen in die hinter der Saalrückwand befindlichen VIP-Lounges führen, mit einer Bar und bequemen Sitzzonen. Der Zuschauerraum ist somit ähnlich wie ein Segment aus einem Fußballstadion organisiert.

Zu beiden Seiten und hinter der Bühne schließt der Backstage-Bereich an, dessen Ebenen durch Treppen, wie im Bild versehen mit hellgrüner Wandfarbe, verbunden sind. Das angenehme, zum Saalrot komplementäre Grün verdanken Auftretende und Bühnenarbeiter der Einsicht, dass der Sichtbeton dann doch zu unansehnlich war. In diesem Fall wohl ein Glück, da dies in solchen Räumen eher mit radikalem Sparen als etwa mit jenem glatt geschalten Beton von Tadao Ando in Verbindung gebracht wird. In den Ecken des hinten breiteren Gebäudes befinden sich ein kleinerer und ein größerer Saal, für Proben, aber auch für Bankette, beispielsweise bei Kongressen. Sie sind daher auch von den Pausenfoyers her zugänglich. Darüber liegt noch ein Geschoß mit Büros.

Die Anlieferung erfolgt klarerweise von der Rückseite, und von den Laderampen sind es nur wenige Meter bis zur Bühne. Diese bietet alles, was in einer heutigen Veranstaltungshalle gefordert ist; für Konzerte, Revuen, Tanz bis zu Zirkus, aber ebenso Modeschauen und Tagungen. Darauf abgestimmt ist die Akustik, die mit Beschallungsanlagen auf kurze Nachhallzeiten ausgelegt ist. Sie sorgt für eine gute Sprachverständlichkeit und lässt den Toningenieuren freie Hand.

Der rational und dicht gepackte Komplex steckt in einem geometrisch exakt geformten Volumen, das auch in der Dachaufsicht nicht an Klarheit einbüßt. Damit ist das Bauwerk durchaus zeitgenössisch, aber nicht in einer aufdringlichen Art. Und trotz der attraktiven städtebaulichen Lage gesteht es der ein halbes Jahrhundert älteren Halle von Roland Rainer die Hauptrolle zu. Ein sehr guter Zweiter kann sich das leisten.

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