Bauwerk

SVA-Verwaltungsgebäude
Isa Stürm Urs Wolf SA - Zürich (CH) - 1999
SVA-Verwaltungsgebäude, Foto: Heinrich Helfenstein
SVA-Verwaltungsgebäude, Foto: Margherita Spiluttini
SVA-Verwaltungsgebäude, Foto: Margherita Spiluttini
SVA-Verwaltungsgebäude, Foto: Heinrich Helfenstein

Der Blitz am Bahngeleise

1. April 1999 - Roman Hollenstein
Die Schweiz gilt heute international als eine Hochburg des Architekturdiskurses. Dessen gebaute Resultate finden sich - einmal von Basel abgesehen - meist abseits der grossen Zentren im Tessin und in Graubünden. Mit überregional ausstrahlenden Bauwerken konnte vorab die Wirtschaftsmetropole Zürich schon lang nicht mehr brillieren, obwohl hier so namhafte Teams wie Gigon & Guyer oder Meili & Peter arbeiten. Nun aber steht der erste grosse Vorzeigebau der Zürcher Szene: das von den beiden 41jährigen Architekten Isa Stürm und Urs Wolf realisierte Bürohaus der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich.

Einen Namen machten sich Stürm und Wolf vor zehn Jahren mit einer monolithischen Einstellhalle in Domat Ems. Ganz anders als dieser flache Solitär am Fuss des Hochgebirges, aber von ähnlich minimalistischem Geist geprägt war das dank kargem Materialeinsatz fernöstlich anmutende Ladenlokal von Issey Miyake, das sie etwa zur gleichen Zeit an Zürichs Bahnhofstrasse einrichteten. Auf diese meisterhafte Miniatur folgten weitere Umbauten und Innenraumgestaltungen. Grosses erhoffen liess 1998 der Sieg im Wettbewerb für ein Kunstmuseum in Vaduz. Doch schreckten die Auftraggeber vor diesem unkonventionellen, im Grundriss einfachen, im Schnitt aber komplexen Entwurf zurück. Der Sitz der Sozialversicherungsanstalt an der Röntgenstrasse in Zürich vermittelt nun eine Idee von dem, was sich die Liechtensteiner entgehen liessen.

Das von den einfahrenden Zügen aus nicht zu übersehende Gebäude, in dem sich Themen wie Stadt, Raum, Licht und Sicht zur architektonischen Form verdichten, erhebt sich - eingeklemmt zwischen dem Geleisefeld und einer Allee - auf einem dreieckigen Grundstück. Es ist der erste Teil der 1990 durch einen Wettbewerb entschiedenen Bebauung eines abgewirtschafteten, früher in gewissen Kreisen «Bronx» genannten SBB-Areals. Der messerscharf geschnittene Bau, der sich von den sachlichen «Crèmeschnitten» der sechziger Jahre durch einen komplexen Grundriss und sorgfältigere Proportionierung unterscheidet, setzt ein Zeichen im multikulturellen Industriequartier, das heute mit neuen Kinos, Bars und Galerien ein vorab junges Publikum anzieht.

Das von horizontalen Bändern aus Burgunder Kalk und grünem Glas zusammengehaltene Gebäude changiert zwischen Steinhaus und Glaspalast. Seine neun unterschiedlichen Fassaden suchen den Dialog mit der Umgebung. Von der Langstrasse her erblickt man zunächst einen gedrungenen Steinturm, dessen Fundament durch die Tiefgarageneinfahrt gefährlich unterhöhlt wird. Die optische Zäsur einer keilartigen Kerbe trennt ihn von der strassenseitigen Fassadenflucht: einer fast immateriell wirkenden «Glaswand», die sich der dynamisch über Eck gezogenen Fensterbänder wegen in der Unendlichkeit des Himmels zu verlieren scheint.

Die Blitzform des aus dem dreieckigen Sockelgeschoss wachsenden Bürohauses erinnert entfernt an das Jüdische Museum von Daniel Libeskind, leitet sich aber ab aus der Komposition der zwei zur Bahn und zur Strasse hin parallelen Baukörper, die miteinander verbunden sind. Daher hat das Haus mit Dekonstruktivismus ebensowenig gemein wie mit der gegenwärtig so erfolgreichen Schweizer Kiste. Vielmehr muss man die skulpturale Grossform, bei der sich Stürm und Wolf auf Ieoh Ming Peis Stadtverwaltung in Dallas und die Erweiterung der Washingtoner National Gallery, vielleicht aber auch auf Sizas Kunstmuseum in Santiago de Compostela bezogen, im erweiterten Kontext des Gesamtprojekts sehen. Dieses umfasst neben dem aus einer gesprengten Hofrandbebauung entwickelten Bürohaus noch neun siebengeschossige Wohnkuben, um deren plangetreue Realisierung die Architekten gegenwärtig ringen.

Der Noblesse der Aussenform entspricht der Innenausbau: Die horizontale Empfangshalle verweist ebenso wie das grosse Treppenhaus mit dem dramatisch inszenierten Lichtschacht auf die Eleganz der Ladengeschäfte von Stürm und Wolf. Über fünf Geschosse verteilt, sind 400 Arbeitsplätze in hellen Grossraum- und Einzelbüros untergebracht. Die sorgfältige detaillierte Ausarbeitung setzt sich durch alle Räume fort bis hinauf zur Cafeteria und zum Gymnastikraum in der Attika. Dabei zeigt sich, dass die für die Zwinglistadt so typische Formenstrenge durchaus mondäne Züge annehmen kann.

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