Bauwerk

Insel in der Mur
Vito Acconci - Graz (A) - 2003

Geborgen hinter Gittern

Mit Vito Acconcis Mur-Insel ist Graz demnächst um einen weiteren In-Treffpunkt reicher

Die Mur-Insel, das schwimmende „Amphitheater“ des New Yorker Architekten Vito Acconci, soll als eine Spielstätte des Kulturhauptstadtjahres rund 250 Besucher fassen und für Konzerte, Film- und Tanzvorführungen genutzt werden.

11. Januar 2003 - Markus Mittringer
Bisweilen ist Graz recht zweigeteilt. Oder eher noch unentschlossen. Zum einen kann man mit Richard Kriesches Marienlift ein Stück in den Himmel über Graz fahren, zum anderen den Lift hinunter zum Mur-Ufer nehmen - einem künstlichen Eiland entgegen. Lässt sich die Himmelfahrt als spätes demokratisches Aufbegehren verstehen, als selbstbewusster Akt der frisch gebackenen Kulturhauptstädter, ihr Graz ebenso mütterlich von oben zu betrachten, von der Ebene der obersten Urheber aus für sein Wohlergehen zu beten, so legt die Mur-Insel praktisch ein gegenteiliges Verhalten offen.

Wer hinabfährt an die Uferbänke oder sich von der Innenstadt bzw. vom Gries her kommend über einen der beiden Stege knapp über den Mur-Spiegel begibt, dem muss der Uhrturm noch viel höher erscheinen, der stellt sich noch tiefer unter die Fuchtel des Wahrzeichens.

Und kann dort, auf der Insel, die Robert Punkenhofer erdacht und Vito Acconci dann entworfen hat, künftig Kaffee trinken oder von den geschwungenen Stufen des Miniaturamphitheaters aus künstlerischen Darbietungen lauschen, oder auch nur dem Spiel der dunklen Wellen. Mit heftigem Seegang ist nicht zu rechnen, eine edelstählerne Doppelreling verhindert aber dennoch unliebsame Ausrutscher ins Fließwasser.

Der Amerikaner Acconci, der einst das Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) „verdoppelte“, um den Klon genial mit dem Original zu verschneiden, muss irgendwie an Fabergé gedacht haben - und dessen Eier. Zwei kunstvoll miteinander verschnittene Halbschalen bilden das artifizielle Eiland, deren eine sich verglast schützend über das künftige Café wölbt, die andere den Himmel zeigt und den Stadtteil Gries hinter Gittern. Geborgen ist man dort, fernab und doch zentral. Man hockt in einer Schüssel und erinnert sich der Kurkonzerte, die in vergleichbaren Pavillons zu ertragen man immer doppelt Schlagobers bestellte.

Natürlich ist es eine Neuinterpretation des traditionsreichen Müßigganges. Wie alles in Graz weitaus schicker. Es passt gut zu den edlen Wartehäuschen am Hauptplatz, zur neuen Trafik aus edlem Stahl und hartem Glas ebendort. Und es passt auch gut zum neuen Kunsthaus, das in Sichtweite entsteht und dort schon erste Noppen in den Grazer Himmel reckt. Man spürt schon: Die Insel wird „in“ werden, ein Platz für die schönen Grazer, die schon alt genug sind, samstags mit edlen Papiertüten voll von frisch erworbenem Konsumgut dort auszuspannen, aber noch jung genug, nicht ob der Kombination aus Stahl und Feuchtigkeit dem Rheumatismus anheimzufallen.

Die Plattform für Bergziegencarpaccio an einer Cuvée allerjungfräulichster Olivenöle nebst gehobener Kleinkunst wird dankbar angenommen werden. Es ist ein guter Ort: einsichtig, „schräg“, aber elegant. Ein weiteres Lokal, sich „kulturell“ zu fühlen.

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