Bauwerk

MoMA
Yoshio Taniguchi - New York (USA) - 2004

Diskret erregter Schwindel

Das New Yorker Museum of Modern Art wird neu eröffnet

Nach dreijähriger Bauzeit wird heute das neu gestaltete New Yorker Museum of Modern Art wieder eröffnet. Der japanische Architekt Yoshio Taniguchi hat für die wohl bedeutendste Moderne-Sammlung ein zurückhaltendes Heim geschaffen.

20. November 2004 - Samuel Herzog
Museen sind hollywoodianische Orte. Es sind Tempel, die man wie die grossen Filmtheater betritt, um den trockenen Alltag hinter sich zu lassen und einzufliessen in eine Welt des etwas Schöneren, etwas Besseren und bei allem Illusionismus doch hoffentlich auch etwas Wahreren. Die meisten Museumsneubauten der letzten Jahre stellen solche Zauberwelten dar: Frank Gehrys funkelndes Guggenheim-Museum in Bilbao ebenso wie Peter Zumthors weisser Wunderwürfel in Bregenz oder das Schaulager von Herzog & de Meuron bei Basel, dieses aus den Fugen geratene Erdmännchen-Heim. Auch die Neue Galerie in Graz, das Lentos-Kunstmuseum in Linz oder die Pinakothek der Moderne in München betritt man wie Alice das Märchenland der Kunst.

Auf Entführung in andere Welten sind ebenso die meisten New Yorker Museen aus: So saugt uns etwa das Guggenheim durch seine Spirale ein, und beim Metropolitan müssen wir uns über eine gigantische Treppenanlage die Höhen der Kunst erkeuchen. Da wäre es wohl naheliegend gewesen, auch für den Umbau des Museum of Modern Art (von den New Yorkern zärtlich MoMA genannt) einen Architekten zu engagieren, der mitten in der etwas gesichtslosen Welt der Bürotürme von Midtown Manhattan einen spektakulären Akzent gesetzt, einen verführerischen Kunstkörper hingezaubert hätte. Herzog & de Meuron, Rem Koolhaas oder auch Frank Gehry hätten an dieser Stelle sicher für Aufsehen gesorgt.

Keine Entführung in die Kunstwelt

Der Architekt jedoch, der nach einem in mehreren Etappen durchgeführten Wettbewerb 1997 zur Überraschung vieler Beobachter mit der Aufgabe betraut wurde, ist einen anderen Weg gegangen: Yoshio Taniguchi (geb. 1937), der zuvor hauptsächlich in Japan tätig war (Tokyo Sea Life Park, Toyota Museum of Art), hat einen Gebäudekomplex geschaffen, der sich geradezu unauffällig in die Umgebung einfügt. Die Fassade ist eher diskret - nur die edlen Materialien und die handwerkliche Perfektion vieler Details lassen erahnen, dass dies ein ganz besonderes Haus für eine ganz besondere Sammlung ist. Der wesentlichste Unterschied zu vielen anderen Museen aber besteht darin, dass Taniguchi einen Bau geschaffen hat, der den Besucher eben gerade nicht in eine andere Welt entführt, nie vollständig in die Kunst eintauchen lässt - im Gegenteil: Immer wieder werden wir hier daran erinnert, dass wir mitten in Manhattan sind.

Das beginnt schon mit der Eingangshalle, die sich neu auf die 52. und die 53. Strasse hin öffnet und also wie ein Durchgang funktioniert. Damit tut sich das Museum nicht nur symbolisch für die Menschenmassen auf, die täglich durch Manhattan strömen - denn nichts hindert Passanten daran, diese Halle als Abkürzung vom Büro zum Deli, vom «Starbucks» zur Subway zu nutzen. Über ein paar Stufen gelangt man zu einer gläsernen Wand, vor der sich der 1953 von Philip Johnson entworfene und 1984 von Cesar Pelli aufpolierte Skulpturengarten ausbreitet - dieses Fenster ist allerdings so gross angelegt, dass auch die Bürotürme mit zum «Bild» gehören. Eine Rolltreppe führt in das erste Stockwerk und damit in das riesige Atrium, das Zentrum des Neubaus: Um diese von oben und von der Seite mit Tageslicht beleuchtete Halle sind die fünf Ausstellungsgeschosse angelegt. Auch das Atrium selbst dient als Schauraum für besonders grossformatige Werke aus der Sammlung wie Claude Monets rund zwanzig Meter lange «Wasserlilien» oder den «Broken Obelisk» von Barnett Newman.

Im Übergangsbereich zwischen dem neuen Museumsteil und den sorgfältig renovierten Bauten von Goodwin & Stone und Johnson sind die Lifte und Rolltreppen eingerichtet. Von diesem selbst völlig kunstfreien Verteiler aus kann jede Sektion des Museums separat angesteuert werden. Der Bereich ist etwas düster geraten - umso heller und freundlicher empfindet man das direkte Tageslicht, wenn man seine Visite im sechsten und obersten Stockwerk beginnt. Von hier aus tut sich ein schwindelerregender Blick in das Atrium auf. Über eine Art Passerelle, wo ein spätes Triptychon von Francis Bacon sehr effektvoll in Szene gesetzt ist, gelangt man in den Ausstellungsraum. Die riesige und sehr flexibel unterteilbare Halle soll dereinst für Wechselausstellungen genutzt werden.

Im fünften Stock präsentiert das MoMA in einer Suite von mittelgrossen Sälen einen Querschnitt durch seine Reichtümer im Bereich der klassischen Moderne - die MoMA-Kollektion gilt als die grösste und exklusivste Moderne-Sammlung der Welt. Mehr oder weniger chronologisch werden hier zunächst hauptsächlich die künstlerischen Heldentaten der Europäer vom Postimpressionismus bis zum Zweiten Weltkrieg vorgeführt - fast ausnahmslos Werke, die Kunstgeschichte geschrieben haben. So sind zum Beispiel in einem Raum Bilder aus verschiedenen Schaffensperioden von Picasso rund um die «Demoiselles d'Avignon» versammelt, diese Inkunabel des Kubismus. Ein anderer Saal ist Henri Matisse gewidmet - und auch hier stossen wir auf Schlüsselwerke des Fauvismus wie das «Rote Studio» von 1911. Die Futuristen, die Surrealisten und die Maler der Neuen Sachlichkeit haben einen eigenen Saal - Marcel Duchamp ist recht geschickt mit russischen Konstruktivisten und kleineren Werken von Jean Arp, Max Ernst und Man Ray kombiniert.

Grosse und kleine Klassiker

Wie auf allen Etagen stossen wir auch hier immer wieder auf raumhohe Fenster mit leicht getöntem Glas, die den Blick auf die umstehenden Hochhäuser freigeben und mitunter gar Einblicke in Büros bieten. Aus der heroischen Geschichte der Moderne werden wir so immer wieder in die prosaische Gegenwart zurückgeholt, wo Geschäftsleute gähnend Sitzungen abhalten und Sekretärinnen Berge von Akten kopieren. Da und dort haben die Ausstellungsmacher auch sehr schöne Bezüge zu dieser Aussenwelt hergestellt: So treffen wir vor einem Fenster zum Beispiel auf Umberto Boccionis Bronzeplastik «Entwicklung einer Flasche im Raum» von 1912 - und dahinter schiessen in einer ganz ähnlichen Dynamik die Hochhäuser New Yorks in einen elektrifizierten Himmel, wie ihn sich die Futuristen wohl selbst in ihren kühnsten Träumen nicht ausgemalt haben.

Der vierte Stock ist den Klassikern der Nachkriegskunst gewidmet - auch hier jagt ein Höhepunkt den nächsten. Da durchschreiten wir einen Raum mit lauter «Drip-Paintings» von Jackson Pollock, und nebenan heizt uns Barnett Newman mit seinem tiefroten Riesengemälde «Vir Heroicus Sublimis» von 1950/51 ein. Erhabenes bieten auch Mark Rothko, Cy Twombly und Clifford Still - nationale Symbole greifen Jasper Johns und Robert Rauschenberg auf. In einem besonders originellen Saal sind Gesten und Konzepte versammelt, treffen sich Yves Klein, Piero Manzoni, Lucio Fontana, John Chamberlain, Günter Uecker und Dieter Roth. Klassischer kommt da die Gruppe der Minimal-Künstler oder die der Pop-Artisten daher.

Architektur und Design teilen sich den dritten Stock - hier geht es selbstverständlich ebenso gediegen zu. Vom Thonet-Stuhl über den «Side Chair» von Charles Rennie Mackintosh bis zur «Chaise Longue» von Charles Eames reicht etwa das Spektrum der Sitzmöbel. Da gibt es kleine Klassiker wie die Minox-Kamera oder das «Ericofon» - und grössere wie das rote Rennauto «Cisitalia» von Pininfarina oder einen Helikopter von Arthur Young. Bei der Architektur gibt es Klassiker von heute zu sehen - wunderbare Entwurfszeichnungen etwa von Ludwig Mies van der Rohe, Raimund Abraham oder Louis Kahn. Und Klassiker von morgen wie zum Beispiel das Modell für das kupferne Stellwerk von Herzog & de Meuron in Basel. Halb im «Altbau» sind auf dieser dritten Etage auch ein Zeichnungskabinett und eine mittelgrosse Fotogalerie eingerichtet.

Auf Etage zwei schliesslich befinden sich die «Contemporary Galleries», in denen das MoMA zeigt, was es an neuester Kunst gesammelt hat. Im Unterschied zu den klassischeren Galerien, die uns recht schlüssig und anregend durch die künstlerischen Gedankenwelten der Moderne und Nachmoderne schreiten lassen, herrscht hier eine gewisse Ratlosigkeit. Das hat vermutlich damit zu tun, dass offenbar ganz unterschiedliche Kriterien das Zusammenspiel der Exponate bewirkt haben: Einmal waren es die Inhalte, dann eher Material oder Form, dann wieder Zeitgenossenschaft oder schlicht Grösse der Kunstwerke, die ausschlaggebend waren. Die Namen sind allesamt wohlbekannt, sie reichen in der älteren Generation von Richard Serra über Robert Gober bis zu Gordon Matta-Clark und Martin Kippenberger, in der jüngeren von Matthew Barney über Chris Ofili bis zu Toba Khedoori. Ungenügend ist sicher auch die angeschlossene Galerie für neue Medien - steht dieser kleine Raum doch in keinem Verhältnis zu der Bedeutung, die elektronische Bilder heute haben. Doch das wird sich sicher noch ändern lassen, so wie sich alles bei diesem Museum ständig verändern soll und wird - sofern das in den letzten Jahren etwas statisch gewordene Haus seine ursprüngliche Bestimmung wieder aufzunehmen bereit ist. Wurde das MoMA doch vor 75 Jahren als ein Laboratorium gegründet, als ein Ort für die aktuellen Bewegungen der Kunst und die Veränderungen, die wir bei der Beschäftigung mit ihr erfahren.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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