Bauwerk

Wohnhausanlage ´Karl-Marx-Hof´
Karl Ehn - Wien (A) - 1930

Neue Zeiten, neue Formen

Der Karl-Marx-Hof ist zwar nicht die größte, aber die bedeutendste und eindrucksvollste Wiener Wohnhausanlage der Zwischenkriegszeit.

28. Juli 2003
„Es ist eine der damaligen Nachkriegszeit sachlich entsprechende und sozialen Ansprüchen gerecht werdend geplante Architektur, sowohl was die Gebäude als auch die Grünanlagen anbelangt“, erklärt Architekt Franz Kiener, der mit der Sanierung dieses „Superblocks“ betraut war.

Der bekannteste dieser Bauten ist der im bürgerlichen Bezirk Döbling angesiedelte Karl-Marx-Hof, einst „Ringstraße des Proletariats“ genannt. Zwischen 1927 und 1930 vom Otto-Wagner-Schüler und Stadtbaumeister Karl Ehn (1884-1957) errichtet, umfasst die Anlage 1382 Wohnungen.


„Stadt in der Stadt“

„Was die Gemeindebauten, die durch die Siedlerbewegung entstanden sind, u.a. auszeichnet, ist der großzügige Umgang mit der Grünfläche, denn nur etwa 18 bis 25 Prozent des jeweiligen Areals wurden verbaut“, erklärt Kiener.

Man betritt diese „Stadt in der Stadt“ über den Ehrenhof und mächtige Tore. Nur 18,4 Prozent des über 150.000 Quadratmeter großen und 1.000 Meter langen Areals - „Ein Kilometer Art Deco“ lautet ein Tourismus-Slogan - sind bebaut.


Wichtige Hofgestaltung

„Enorm wichtig war die Hofgestaltung, die ein sehr bewusstes Konzept darstellte, das es in der Gründerzeit nicht gab, denn die Höfe waren ja auch ein Raum der Begegnung“, erklärt Kiener.

Die Hof-Form dieser Großbauten des „Roten Wien“ sollte schließlich das Gefühl von Sicherheit und Zusammengehörigkeit vermitteln. Gleichzeitig bot sie Platz für Grünflächen und Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindergärten, Büchereien, Bäder, Geschäfte und einer Zentralwäscherei.

Dominierende Achse

„Die Achse des Karl-Marx-Hofes ist so dominierend, dass sie sich in der Gartengestaltung fortsetzt. Es sollte hier einen Garten geben, der aber nur ein Minimum an Pflege beansprucht. In der anfänglichen Bauphase gab es hier noch Schreber-Gärten und im vorderen Teil der Anlage kurzzeitig auch Nutzgärten“, erläutert Architekt Kiener.

„Ein gewisses Repräsentationsdenken war ganz bewusst gewünscht. Wien wollte damals zeigen: Wir haben große Bauten. Und natürlich ist eine gewisse Tradition von Schloss Schönbrunn ausgehend nicht zu leugnen“, so Kiener.


Bau mit Geschichte

Der Karl-Marx-Hof wurde in drei Bau-Abschnitten errichtet: Die ersten beiden Teile wurden zwischen 1926 und 1930, der letzte Bauteil erst 1933 fertig gestellt.

Die Anlage ist aber auch ein zeitgeschichtlicher Ort: Um dieses Symbol des „Roten Wien“ entbrannten während des Bürgerkriegs im Februar 1934 besonders heftige Kämpfe, in deren Verlauf mehrere Arbeiter getötet wurden. Eine Erinnerungsplakette an der Rückfront des so genannten „Blauen Bogens“ erinnert an den 15. Februar, als die letzte „Rote Festung“ fiel.


Generalsanierung in den 80ern

Franz Kiener war Planer der Generalsanierung des Karl-Marx-Hofes, die von 1989 bis 1993 durchgeführt wurde. Seit damals besitzen nun fast alle Wohnungen ein Bad und viele eine Zentralheizung. Und die Fassaden leuchten wieder in ihrer ursprünglichen Farbenpracht in Gold und Rostrot.


An vorgegebene Situation gehalten

„Bei der Sanierung haben wir uns auch bezüglich der Gartengestaltung an die vorgegebene Situation gehalten. So wurden etwa Pappeln aufgrund ihres Alters durch neue, im Karo gepflanzte, ersetzt. Außerdem wurden einige Wege, die es früher bereits gab, sowie ein Quadrat mit Blumen wiederhergestellt“, erklärt Kiener.

Im Rahmen der Generalsanierung, die in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt stattfand, wurden weiters zwei neue Kinderspielplätze, die von Hecken und Pflanzen abgeschirmt sind, errichtet.


Qualität setzt sich durch

Und ein Zeichen, dass die Qualität der Anlage von den Bewohnern auch wahrgenommen wurde, erläutert Architekt Kiener mit folgendem konkretem Beispiel:

„Wir fanden bei der Sanierung des Karl-Marx-Hofes keine künstlichen Diagonalen, also ungeplante Wege durch Grünbereiche. Die Menschen haben sich eben an die von Erbauer Karl Ehn vorgegebene Wegführung gehalten.“


Holzmeister-Schüler Franz Kiener

Franz Kiener, Jahrgang 1926, stammt aus Friedburg in Oberösterreich. Nach der Matura an der HTL Salzburg studierte er an der Akademie der Bildenden Künste in Wien bei Clemens Holzmeister. Im Jahr 1951 beendet er sein Studium. Er praktizierte bei Prof. Wachberger und bei Erich Boltenstern.

1959 erhielt er die Ziviltechnikerbefugnis und eröffnete ein eigenes Büro, das er seit 1995 gemeinsam mit seinem Sohn Martin Kiener leitet.


Bauten und Projekte

Zu Kieners Bauten zählen u.a. die Gartenstadt Süd, Maria Enzersdorf, das Bundesgymnasium Imst, Umbau und Aufstockung für das Österreichische Patentamt, mehrere Wohnhäuser der Gemeinde Wien sowie diverse Geschäftseinrichtungen.

Weiters war Kiener u.a. an der Sanierung (gemeinsam mit der GSD) des Karl-Marx-Hofes, des Reumann-, Ofner- und Wachauerhofes beteiligt.


Tipp:

Helmut Weihsmann: „Das Rote Wien. Sozialdemokratische Architektur und Kommunalpolitik 1914 - 1934“, zweite, vollkommen überarbeitete Ausgabe, Promedia, 2002. (Edition Spuren), 496 Seiten, ISBN 3-85371-181-2

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