Bauwerk

Umspannwerk Salzburg Mitte
Bétrix & Consolascio, Eric Maier - Salzburg (A) - 1995
Umspannwerk Salzburg Mitte, Foto: Eduard Hueber

Wo der Strom mit Freuden fließt

17. Juni 1995 - Liesbeth Waechter-Böhm
Ein Raum – eigentlich mehr ein Saal, eine Halle – ohne Außenbezug, ganz künstlich belichtet: An Wänden, Boden und Decke die Farben Ultramarin und Kobaltblau, nur die gelb gestrichene Kranbahn zeichnet quasi über die volle Länge eine Art Leuchtspur hinein, in der Mitte die eindrucksvollen Maschinen einer 110-Kilovolt-Schaltanlage. Architektur, so die Architekten Marie-Claude Bétrix und Eraldo Consolascio, die unabhängig von Wetter und Tageszeit existiert, mit dem Einschalten des Kunstlichts erscheint und mit dem Ausschalten verschwindet.

Das neue Umspannwerk der Salzburger Elektrizitätswerke liegt auf einer großen Industrieparzelle inmitten der Stadt, an der Salzach. Seinerzeit, im Jahr 1956, als dort ein Heizkraftwerk errichtet wurde, hagelte es Proteste. Denn längst hatte das städtische Wachstum der Stadt den früher einmal peripheren Standort überwuchert. In innerstädtischer Lage sieht man derartiges aber nicht gern: Heizkraftwerk, Umspannwerk, Entschwefelungsanlage – und was da sonst noch alles zusammenkommt.

1987 wurden die Schweizer Architekten Bétrix und Consolascio hier ein erstes Mal aktiv, als sie die neue Entschwefelungsanlage planten. Jetzt folgte das Umspannwerk Mitte. Das dringend erneuerungsbedürftige Heizkraftwerk müßte und sollte eigentlich der nächste Bauabschnitt sein. Hier an der Salzach ist also die „fortschreitende ästhetische Reparatur eines Unortes“ (Friedrich Achleitner) angesagt.

Und ästhetisch hat das neue Umspannwerk allerhand zu bieten. Man glaubt es kaum, ist doch ein Umspannwerk ein Gebäude, das nicht in erster Linie für Menschen, sondern für Maschinen gemacht ist. Aber das hat die Architekten anscheinend nicht tangiert, wenn man davon absieht, daß sie die Schaltanlagenräume – wohl auch aus Sicherheitsgründen – im Kern des Hauses plaziert haben, also ohne Außenzugänge und Tageslicht.

Neben den Technikräumen enthält das Haus zur Straße hin ein Geschäftslokal, das einstweilen noch ungenutzt ist und von dem man sich wünschen würde, daß es keiner kommerziellen, sondern einer kulturellen Nutzung zugute kommt (geradezu ideale Räume für eine Galerie!); es enthält Werkstätten; es enthält Büroflächen; es enthält eine kleine Wohnung für den jeweils am Wochenende diensttuenden Ingenieur; und es hat zwei Dachgärten.

Fangen wir oben, bei den Dachgärten an: Des Esseintes, der Held von Joris-Karl Huysmans' Roman „A Rebours“, hätte seine Freude daran, denn so künstlich wie hier ist Natur selten. Kleine Pflänzchen in zwei verschiedenen Farbtönen – silbrig und grün – formieren sich zu einer Art aufgerollter Streifentapete, ganz systematisch in Reih und Glied, mehr einem abstrakten Bild verwandt als einem Dachgarten.

Oder fangen wir unten an, bei der Treppe: Sie bildet das Herzstück des Gebäudes und ist als eine Art begehbare Skulptur, als ein räumliches Kunstwerk formuliert, in den Farben des Rohbetons und in einem schrillen Safrangelb. Der Verlauf dieser Treppe kennt keine Geometrie, und nach oben zu wird sie nicht perspektivisch schmäler, sondern breiter.

Wenn es in diesem Haus ein unübertreffliches architektonisches Spektakel gibt, dann ist es diese Treppe. Ein Haus – gedacht als ein Körper mit Schichten: So teilt sich das architektonische Konzept nach außen mit. In diesem Fall wurde der Körper dabei relativ kompakt und geschlossen formuliert, wobei sich an der Hauptfassade eine dunkle Schicht vor eine helle schiebt und diese Fassade in schmalen Streifen wie aufgeschnitten wirkt.

Dort sitzen die Glasflächen, große Schiebefenster, von denen die Architekten sagen, daß es irreführend wäre, sie als Bandfenster zu bezeichnen. Drei statische Elemente – Quadersäule, Würfel, Pendelstütze – treten nur für den Spezialisten sichtbar in Erscheinung, weil sie bis zur Unkenntlichkeit – fast bis zum Kunstwerk – umgedeutet sind.

Bétrix und Consolascio hatten bei diesem Haus, das sie unter Mitarbeit von Eric Maier planten, eine Art Heimvorteil: Seit dem Bau der Entschwefelungsanlage erfreuen sie sich ganz offensichtlich des uneingeschränkten Vertrauens ihres Bauherrn. Und das muß dazu beigetragen haben, daß sie eben nicht einfach nur ein Haus planen durften, sondern daß sie sehr viel mehr tun konnten, auch bis hin zum kleinsten Detail der Ausstattung. Das führt beim Rundgang durch das Gebäude zu einer unerhörten Erlebnisdichte noch im verstecktesten Winkel, und es schafft eine räumliche Atmosphäre der erlesensten Art.

Wer hier arbeitet, den kann man nur unverhohlen beneiden, weil es solchen ästhetischen Luxus heute einfach ganz, ganz selten gibt. Dabei hat das Gebäude eine sehr rigorose, bis zum Äußersten getriebene Logik. Diese hat mit seiner Lage auf dem Grundstück zu tun sowie mit dem Raumprogramm, das sich in genau bezeichneten Schichten entwickelt; und sie setzt sich fort bis in die verwendeten Materialien und bis hin zu den Oberflächen.

Was zum Beispiel letztere betrifft, war es das erklärte Ziel der Architekten, die nachträgliche „dekorative“ Oberflächenbehandlung so weit wie möglich zu vermeiden. Das heißt, die Beschaffenheit der Oberflächen sollte sich dem Herstellungsprozeß selbst verdanken.

So wurden etwa an einem Teil der Fassade vor dem endgültigen Abbinden die Betonfeinanteile an der Wandoberfläche entfernt. Das geschah mit Hilfe eines farblosen Hydrophobierungsmittels, das aber durch die erhöhte Kapillarität der Wand den Beton dunkel färbte. – Bei der Raumbehandlung gingen die Architekten von zwei Extremen aus: Von den völlig abgekapselten Technikräumen im Gebäudeinneren, die jeweils in eine einzige Farbe getaucht sind; und vom tageslichtdurchfluteten Bürogeschoß, in dem Sichtbeton und Akazienholz das Bild beherrschen und Innen- und Außenraum kunstvoll miteinander verschränkt sind.

Zwischen diesen beiden extremen Polen wickelt sich ein „geschichtetes“, formal differenziertes Raumprogramm ab. Man muß natürlich schon Fundamentalist sein, um überhaupt eine solche Qualität – auch Ausführungsqualität – zu erzielen. Aber das ist bei Bétrix/Consolascio ganz offenkundig der Fall. Oder hat man je von einem anderen Architekturbüro gehört, das wie dieses den Handwerkern Eins-zu-eins-Pläne von jeder einzelnen Tür vorlegt?

Die „ästhetische Reparatur“ eines Unortes: In Angriff genommen wurde sie noch unter Voggenhuber, als der Gestaltungsbeirat ein Gutachterverfahren für die Entschwefelungsanlage verlangte. Die Salzburger Stadtwerke waren damals nicht gerade begeistert. Aber wie gesagt, das hat sich seither dramatisch geändert. Bétrix/Consolascio haben nicht nur das neue Umspannwerk gebaut. Sie arbeiten bereits an der Planung des neuen Heizkraftwerks als nächster Stufe der baulichen Verbesserung dieser städtischen Industrieparzelle an der Salzach. Im Norden von Salzburg wird außerdem gerade ein ganz „besonderes“ Fernheizwerk dieses Architektenehepaares fertig.

Man kann wahrscheinlich ohne Übertreibung sagen, daß mit diesen Bauten von Bétrix/Consolascio eine neue Dimension im Industriebau Einzug gehalten hat. Sie betrifft die formalen Qualitäten dieser Gebäude, sie betrifft aber auch die konzeptuelle Folgerichtigkeit, die sich darin ausdrückt. Denn Industriebauten sind heute nur zu oft bloße Hüllen für Technik, für Maschinen. Menschen halten sich darin bestenfalls temporär auf. Und das hat üblicherweise die Auffassung zur Folge, daß man sie architektonisch vernachlässigen darf.

Der gedankliche Ansatz von Bétrix/Consolascio verläuft umgekehrt: Die Technikräume sind das, worum es im neuen Salzburger Umspannwerk Mitte im wesentlichen geht. Und dieser Bedeutung trägt die Architektur Rechnung. Das tut sie zwar ohne Prahlerei und Verschwendung, aber mit einer selbstverständlichen Ernsthaftigkeit und einer eben auch ästhetischen Erlesenheit, die ihresgleichen suchen. Und daran werden sich andere orientieren müssen, wenn sie im Industriebau architektonische Maßstäbe setzen wollen.

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