Bauwerk

Kindertagesheim Gschweidlgasse
Geiswinkler & Geiswinkler - Wien (A) - 1995
Kindertagesheim Gschweidlgasse, Foto: Paul Giuliani

Kautschuk und Sichtkontakt

Wie zeitgemäß darf die Architektur eines Bauwerks der Gemeinde Wien sein? Markus Geiswinklers Kindergarten im Stadterweiterungsgebiet Brünner-Straße-Ost: ein Nachruf auf eine bessere Vergangenheit?

17. Februar 1996 - Liesbeth Waechter-Böhm
Wie zeitgemäß darf die Architektur eines Bauwerks sein, das im Auftrag der Gemeinde Wien geplant wird? Die Frage stellt sich neuerdings mit unangenehmer Dringlichkeit: im Bereich des Schulbaus, aber auch bei den Kindergärten. Verglasungen? Womöglich geklebt? Leichtbauweise? Vorfertigung? Beton? Oh nein, all das kann, darf und soll in Wien künftig nicht mehr sein. Hier haben Glasscheiben von dicken Rahmen gehalten zu werden und Wände aus Ziegeln gemauert zu sein.

Unter diesen Vorzeichen betrachtet, nimmt sich der gerade fertiggestellte Bauteil eins eines Kindergartens im 21. Bezirk als architektonischer Nachruf auf eine bessere Vergangenheit aus. Geplant wurde das Bauwerk von Markus Geiswinkler. Er zählt zu den wenigen Vertretern einer jüngeren Wiener Architektengeneration, die das Glück haben, gelegentlich zumBauen zu kommen, obwohl sie erfrischend transparente, leichte Architekturvorstellungen haben - und nicht massiv geziegelte. In diesem Sinn ist auch Geiswinklers Mehrzwecksaal im Hof des Bezirksamts von Favoriten sofort aufgefallen.

Genauso verhält es sich nun beim neuen Kindergarten. Dieser gehört zum großen Stadterweiterungsgebiet Brünner-Straße-Ost, liegt aber an der rückwärtigen Kante der Bebauung. Das bedeutet für ein ambitioniertes architektonisches Unternehmen an sich nichts Gutes, denn die neue Wohnbebauung rundherum ist ein baukünstlerischer Schandfleck von Wien. Wettgemacht wird die Misere nur durch die schöne Lage am Marchfeldkanal.

Jedenfalls soll der Kindergarten einmal acht Gruppen- und zwei Bewegungsräume umfassen, aber weil zu Beginn der Planung ein fünf Meter breiter Streifen des vorgesehenen Areals noch nicht im Besitz der Gemeinde Wien war, mußte das Bauwerk so geteilt werden, daß der jetzt bezogene Bauteil gegebenenfalls auch allein stehen könnte.

Von außen und von der Straße aus betrachtet, ist das ebener- Haus von fast strenger Schlichtheit und Modernität. Die Glasflächen sind nicht einmal besonders groß, die Wände aus Beton, nur ein Rundumlauf aus Holzbohlen im Dachbereich könnte einem wie ein materialmäßiger und ästhetischer Bruch des Gesamtbildes erscheinen. In einem verglasten Einschnitt in dieser Südfassade führt eine gewendelte Metallstiege, offenkundig ein Industrieprodukt, zum Dach hinauf, was irgendwie neugierig macht.

Die östliche Ecke des Bau- werks ist besonders formuliert. Hier geht es zum Eingang über einen überdachten Vorplatz hinweg, der einen deutlich ins Gebäude hineinzieht, weil der Kautschukboden, der auch in der großzügigen Erschließungshalle liegt, bis hier heraus verlegt ist. Unter dem Vordach: drei Stützen, von denen die beiden leicht schräg gestellten reine Zugstäbe sind, sodaß nur die senkrechte wirklich „trägt“. An der westlichen Gebäudeecke liegt der Bewegungsraum, der vorläufig, solange der zweite Bauteil nicht realisiert ist, als provisorische Heimstatt der allerkleinsten Kinder dient. Von hier gibt es an der Nordseite, über Rampen, einen direkten Ausgang in den Garten.

Die Nordseite öffnet sich mit ihrer großzügigen Verglasung zum Garten und zum Marchfeldkanal. An zwei Stellen sind überdachte Loggien in diese Fassade eingeschnitten. Geiswinkler hat für die Gruppenräume, die hier nebeneinander angeordnet sind, eine Leimbinderkonstruktion gewählt. Die drückt sich nach außen sichtbar aus, sorgt für einen schönen, geordneten, keinesfalls lauten Rhythmus und macht die Raumabfolge ablesbar. In der warmen Jahreszeit werden diese Gruppenbereiche für die Kinder wundervoll nutzbar sein, im Winter tröstet der Ausblick zum Grünufer des Marchfeldkanals.

In einer Ecke des Gartens steht ein recht spartanisches, ganz und gar nicht niedliches kleines Gebäude: Es wird einmal Gartenund Spielgeräte aufnehmen. Außerdem führt auch hier, an der Gartenseite, vom Dach ein direkter Abgang herunter. Die Geschichte mit dem Dach hat mit dem noch nicht realisierten Bauteil zu tun: Geiswinkler fand enge Platzverhältnisse vor. Aufgrund der vorgegebenen Baufluchtlinien war es ausgeschlossen, die acht Gruppen- und zwei Bewegungsräume mit all den Nebenräumen, die ein Kindergarten braucht, ebenerdig zu planen.

Für die Kinder wäre ein direkter Zugang zum Garten zwar am schönsten, aber es ging nun einmal nicht. Daher wird der zweite Bauteil zweigeschoßig sein. Die benachteiligten Kinder, deren Gruppenräume oben liegen, werden über eine kleine Brücke auf das Dach von Bauteil eins hinüberwechseln können und dort einen befestigten Spielplatz mit Sandkiste und eine richtige Wiese vorfinden.

Der Rundumlauf aus Holzbohlen, den man von der Straße aus sieht, hat mit dieser Lösung zu tun. Die Kinder können vom Obergeschoß von Bauteil zwei hinüber auf ihren eigenen Dachgarten; sie können von dort direkt in den Garten hinunter und über die Wendeltreppe direkt in die große Erschließungshalle bziehungsweise zum Bewegungsraum und wieder in den Garten. Diese geschickte Durchwegung des Hauses ist jetzt schon eine große Qualität; wenn der zweite Bauteil realisiert ist, wird sie für die Kinder ein spannendes Raumerlebnis sein.

Das Konzept dieses Bauwerks besticht durch seine unauffällige, aber irgendwie zwangsläufige Präzision. Die „dienenden“ Bereiche des Hauses sind zur Straße, zur Wohnbebauung, nach Süden orientiert. Dieser Teil ist in Massivbauweise - in Beton - ausgeführt. Die Gruppenräume mit der schönen Leimbinderkonstruktion, die eben diese Durchgängigkeit von innen nach außen möglich macht, schauen nach Norden.

Deshalb ist auch kein Sonnenschutz erforderlich, und der wunderbare Ausblick kommt voll zum Tragen. Und doch - auch eine kleine Besonderheit an diesem Konzept - liegen die Gruppenräume nicht vollständig im Schatten. Im Gegenteil: Betritt man sie an einem sonnigen Tag, ist man von der Lichtstimmung in diesen Räumen beeindruckt - und von den Sonnenstrahlen, die durch schmale Oberlichtbänder ganz oben und an der Südwand hereinfallen.

Kleinigkeiten fallen auf: wie durch die Verglasung des Einschnitts in der Südfassade, wo die Wendeltreppe ist, zusätzlich Licht ins Haus hereingeholt wird; oder wie in der Überdachung der beiden Loggien zum Garten zusätzlich ein Oberlicht plaziert ist. Höchst angenehm macht sich bemerkbar, daß nur wenige verschiedene Materialien in diesem Haus verwendet worden sind. Der graue Kautschukboden zieht sich durch alle Räume, bis hinaus auf den Vorplatz; eine Differenzierung gibt es insofern, als er in den stärker beanspruchten Bereichen, etwa der Erschließungshalle, genoppt und in den Gruppenräumen glatt ist.

Es gibt viel Glas in diesem Haus - übrigens auch solches, das „nur“ geklebt ist. Dadurch kommt eine Vielzahl von Durchblicksmöglichkeiten und Ausblicken hinaus zum Garten zustande, und das Gebäude ist lichtdurchflutet. Selbst in der zentralen Erschließungshalle, von der es links zu den Nebenräumen und rechts zu den Gruppenräumen geht, ist es hell. Das hat auch damit zu tun, daß alle Wände zu dieser Halle Oberlichten haben. Sichtkontakt besteht außerdem zwischen den einzelnen Gruppenräumen. Sie sind durch Leichtbauwände voneinander abgetrennt, aber durch eine auf die kindliche Augenhöhe abgestimmte Verglasung wieder miteinander verbunden.

Natürlich konfrontiert die heutige Pädagogik den Architekten, gerade wenn es um sehr kleine Kinder geht, mit einem scheinbar unumstößlichen Anforderungsprogramm. Für den Nichtpädagogen ist schwer nachvollziehbar, warum zum Beispiel ein Gruppenraum nicht in erster Linie großzügig sein und Raum zum Spielen bieten soll, sondern unbedingt Nischen haben muß. Geiswinkler hat sich diesem Problem gleichzeitig gestellt und gefinkelt entzogen: Er hat einen mobilen, 2,20 mal 2,20 Meter großen und wegen der Belichtung nach oben offenen Container entwickelt, in dem nicht nur verstaut werden kann, was gerade nicht gebraucht wird, sondern der sich auch nach Wunsch verschieben und aufstellen läßt. So entstehen die Nischen von selbst, dem Raum aber ist nichts von seiner Großzügigkeit genommen.

An dieser Stelle wird ein Exkurs unvermeidlich. Er bezieht sich auf das Mobiliar, auf das der Architekt selbstverständlich keinen Einfluß nehmen durfte. Etwas so Absurdes wie die Möblierung dieses Hauses sieht man selten. Auf der einen Seite ein Architekt, der sich bemüht, großzügige Flächen anzubieten, damit sich die Kinder rühren können; auf der anderen Seite Kindergärtnerinnen - oder Magistratsbeamte, wer weiß das schon so genau -, die alles mit Möbeln vollstopfen, sodaß nicht der kleinste durchgehende Freiraum bleibt, weil man überall an Sessel, Tische und Regale stößt.

Es ist unglaublich, wie vollgerammelt dieses Haus ist. Topfpflanzen, Matratdige zen, runde Tische, eckige Tische, halbrunde Tische, Regale an der Wand, freistehende Stellagen, unsägliche, völlig unterschiedlich gemusterte Stoffe und in der großen Halle wahre Ungetüme von Sitzgeräten, die so tun, als wären sie Korbmöbel, in Wirklichkeit aber wahrscheinlich aus nicht wiederverwertbarem Plastik sind.

Das ist eines der Dramen in der heutigen Architektur von Kindergärten und Schulen: daß der Architekt mit einer vernünftigen, schlüssigen Überlegung antritt, aber einer Phalanx von „Fachleuten“ gegenübersteht, die aus einer festgefahrenen Position heraus argumentieren. Geiswinklers Kindergarten hat zweifellos das Prädikat „gute Architektur“ verdient. Der kulturelle Anstoß, der er für die Kinder sein könnte, findet trotzdem nur in abgeschwächter Weise statt. Kindergärtnerinnen wolnen len es niedlich.

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