Bauwerk

Ostarrichi - Kulturhof
Ernst Beneder - Neuhofen an der Ybbs (A) - 1996
Ostarrichi - Kulturhof, Foto: Margherita Spiluttini
Ostarrichi - Kulturhof, Foto: Margherita Spiluttini

Rot-Weiß-Rot in größter Eile

In Neuhofen an der Ybbs ist für die Milleniumsfeier innerhalb kürzester Zeit Ernst Beneders „Ostarrichi-Kulturhof“ errichtet worden. Nach dem Ende der Ausstellung „Menschen, Mythen, Meilensteine“ wird er der Gemeinde in vielfältiger Weise dienen.

2. März 1996 - Walter Zschokke
An der Grenzlinie zwischen flachwelligem Alpenvorland und snowboardtauglichen Voralpenhängen liegt das Dorf Neuhofen im niederösterreichischen Mostviertel. Man erinnert sich bei der Anfahrt an das Jahreszeitenbild von Pieter Breughel, weil sich die unbelaubten Kronen der Obstbäume von den verschneiten, im Sommer landwirtschaftlich genutzten Fluren abheben. Der Flecken hat sich einen intakten Siedlungsrand bewahrt und die Ausbreitung der Einfamilienhäuser auf einen Talausgang im Südosten beschränkt.

Wie ein aufmerksames Muttertier wacht der hohe Bau einer gotischen Hallenkirche über das Dorfzentrum, dessen breitgelagerte Gasthöfe Übernachtungsstation auf der Pilgerstraße zum nahen Sonntagsberg waren. Räumlich sind sie als Vierkanter oder zumindest als Dreikanter organisiert. Der nahe Pfarrhof, in dem sich die Reste eines „festen Hauses“ verbergen - er wurde vor nicht allzu vielen Jahren um den Wirtschaftsteil reduziert und bildet jetzt einen zum Dorf offenen Winkel -, überragt gemeinsam mit der Kirche auf steil geböschter Terrasse eine vom Elzbach durchflossene Geländemulde. Südlich davon beginnen die Berge. Zwischen Pfarrhof, Gasthöfen und der vom Turm dominierten Westfront der etwas abgerückten Kirche war ein weiträumiger Bereich offengeblieben; seine Westseite wurde von dem 1980 erstellten, an ländliche Wirtschaftsgebäude gemahnenden Bauwerk der Ostarrichi-Gedenkstätte eingenommen.

Wir haben mit Neuhofen ein schmuckes Dorf vor uns, das - außer einem kleinen, leicht übermöblierten Platz mit einer besenartig zurechtgestutzten Linde - mit der angerartigen Weite der Ostarrichi-Gedenkstätte in zentraler Lage über einen großzügigen öffentlichen Bereich verfügt. Hier sollte für die 1000-Jahr-Feier der schriftlichen Erstnennung von „Ostarrichi“ eine aktualisierte Gedenkstätte und zugleich ein Mehrzweckgebäude mit Ausstellungs-, Seminar-, Club- und Tourismusräumen sowie einem Festsaal für die Gemeinde entstehen. Nach einer mißglückten ersten Planung wurde in höchster Eile ein Gutachten ausgeschrieben, das Architekt Ernst Beneder gewann. Unter enormem Zeitdruck folgten Ausführungsplanung und Baubeginn, sodaß der neue „Ostarrichi-Kulturhof“ für den zur Zeit stattfindenden Einbau der Länderausstellung „Menschen, Mythen, Meilensteine“ zeitgerecht bereitstand.

Das Konzept, das Ernst Beneder zusammen mit seiner Mitarbeiterin Anja Fischer ausgearbeitet hat, verstärkte die räumliche Wirkung des bestehenden Gedenkstättengebäudes durch einen flach quadrischen Obergeschoßaufbau, der zu Pfarrhof und Gasthöfen in räumliche Beziehung tritt und auch zur Kirche ein polares Spannungsverhältnis eingeht. Die übrige erforderliche Kubatur legte Beneder als winkelförmigen Bau unter das Terrain; zugleich schuf er einen abgesenkten Hof, der sich U- förmig nach Süden öffnet. Typologisch verwendet er dieselben volumetrischen Grundformen, wie sie in der unmittelbaren Nachbarschaft vorkommen: gedrungener Solitär, Winkelbau und Hof; die architektonische Ausformulierung als transparenter Skelettbau ist jedoch zeitgenössisch. Mit der Tieflegung bewahrt er die Weiträumigkeit der vorherigen Situation, und der abgesenkte Hof zentriert den öffentlichen Bereich in nutzungsmäßiger Hinsicht. Ein leichter Stahlsteg überspannt die offene Hofseite und durchstößt das selbständige Element einer riesigen, halbtransparenten Fläche in Rotweißrot. Dieses symbolhafte Superzeichen aus farbigen Netzen, die auf Rahmen gespannt sind, verengt die offene Ecke zwischen Kulturhof und Pfarrhofmauer. Es trennt räumlich und ist für Blicke zugleich schleierartig durchlässig, je nachdem, wie das Licht darauf fällt.

Mit den gesetzten Maßnahmen gelingt es, dem attraktiven Dorfzentrum ein weiteres Element dazuzugesellen, das strukturell und räumlich vielfältig mit der Nachbarschaft in Beziehung steht, ohne die Besonderheit der räumlichen Weite aufzugeben. Obwohl keine geschlossene Bebauung vorliegt, treten die größeren Baukörper zueinander in Beziehung, es kommt zu einer Verdichtung, die die Mitte offenläßt. Architektonisch gesehen nützt der Hauptbau den alten Mauerwerkskörper als Sockel für das mit einem Oberlichtband optisch ins Schweben versetzte Obergeschoß. Es wirkt bei heruntergelassenen Lamellenstores ebenfalls verschleiert und ist doch einsehbar, da die Wände dahinter mehrheitlich verglast sind. Prinzipiell ist das Bauwerk in mehrere vertikale Schichten geteilt - als erste schließt hinter der symbolhaften Fahne eine langgezogene Rampe an, die in das Foyer übergeht. Durch das Netz der Fahne entsteht eine subtile Blickbeziehung zum abgesenkten Hof und darüber hinweg zur Kirche.

Vom anschließenden Festsaal trennt eine raumhältige hölzerne Wand mit technischen Installationen und Stauraum. Sie steht strukturell in Beziehung mit dem erforderlichen Brandabschluß zum Stiegenhaus. Beneder wählte hier Teleskop-Hubtore, damit die räumliche Offenheit bei Normalbetrieb gewahrt bleibt. Die schwarz gestrichenen Tore sind unübersehbar, bilden aber keine Störung, sondern sind in ihrer architektonischen Wirkung integriert. Das luftige Stahlbetonskelett des Tragsystems setzt sich ins Obergeschoß fort, wo Büros und Seminarräume vorgesehen sind. Der Grundriß erlaubt auch hier eine optimale Flexibilität. Nach Südosten ist eine Terrasse vorgelagert, die mit den Lamellenstores in einen blickgeschützten Arbeitsraum unter freiem Himmel verwandelt werden kann und damit in den schwebenden Quader integriert ist.

Der im Untergeschoß über das Gelenk des Stiegenhauses anschließende Winkelbau ist für eine Dauerausstellung zur Regionalgeschichte vorgesehen. Er wird außenseitig von der Erde berührt, während die Hofseiten vollverglast sind. Als zusätzliche Lichtquelle wurde im rückseitigen Bereich ein Oberlichtstreifen über die Länge beider im rechten Winkel zueinander stehender Trakte durchgezogen. Ein gedrücktes Glasbausteingewölbe deckt ihn ab, sodaß er von oben als Grenzziehung streifenartig hervortritt. Das flache Dach des Winkelbaus ist begrünt und begehbar.

Die beiden Flanken des langen, abgewinkelten Innenraumes erhalten Tageslicht unterschiedlicher Qualität: Vorn fällt es, klare Schatten werfend, direkt ein, hinten sickert es als Streulicht durch die Glasbausteine, tropft auf die glatte Rückwand aus schön gearbeitetem Sichtbeton und wird von dieser als feiner Sprühregen in den Raum reflektiert. Die Raumzone, in der dieses Eindringen des Lichts stattfindet, ist durch eine Reihe schlanker Stützen, die eine Durchgangsbreite vor der Rückwand stehen, andeutungsweise abgetrennt. Der scharfkantige quadratische Querschnitt läßt die Stützen im Licht plastischer hervortreten. Zugleich bindet die Geometrie vertikale und horizontale Elemente stärker zusammen.

Dieser Gebäudeteil wirkt, wie für Ausstellungszwecke dienlich, neutraler und ruhiger. Weil auch der Hauptbau für die Länderausstellung 1996 vorgesehen ist, fehlen die definitiven Einbauten, damit möglichst wenig präjudiziert ist. Die Rundumverglasung und die architektonisch ausgekosteten Erschließungswege machen ihn aber zu einem öffentlichen Gebäude, das durch die klimatische Glashülle und die schleierartigen Filter der Fahnenwand und der Lamellenstores differenziert abgrenzbar ist. Besonders am Abend kommt hier die Lichtregie Beneders stark zur Geltung.

In der enorm kurzen Planungs- und Ausführungszeit hat Ernst Beneder architektonisch und organisatorisch Außerordentliches geleistet, er war oft tagelang auf der Baustelle anwesend und hat, was bei Zeitdruck selten ist, den Rahmen von 28,8 Millionen Schilling Gesamtbaukosten (inklusive Umsatzsteuer) gehalten.

Dennoch sei den Politikern ins Stammbuch geschrieben, daß es verfehlt wäre zu glauben, Zeitdruck sei gut für die Architektur; auch qualifizierte Fachleute wie Ernst Beneder können nicht pausenlos Wunder vollbringen.

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