Bauwerk

Einfamilienhaus Sch. - Umbau
Luigi Blau - Wien (A) - 1995
Einfamilienhaus Sch. - Umbau, Foto: Margherita Spiluttini
Einfamilienhaus Sch. - Umbau, Foto: Margherita Spiluttini

Anbau mit Reißverschluß

Von städtischer Eleganz, reich an Tönen und immer an der Nutzung orientiert: So lassen sich die Arbeiten von Luigi Blau charakterisieren. Jüngstes Beispiel: der Zubau zu einem Althaus in Wien-Währing.

4. Januar 1997 - Liesbeth Waechter-Böhm
Wien hat die architektonische Kleinform der feinen, der speziellen Art schon Tradition. Und Luigi Blau gilt unter den Zeitgenossen als einer ihrer Meister. Geschäfte, ein Lokal, Wohnungsumbauten, Einfamilienhäuser - das sind die Arbeiten, die zum Repertoire dieses Architekten gehören, die man kennt und die man zu schätzen weiß. Da ist zwar noch der Umbau beziehungsweise die Instandsetzung des Ronacher, also eine Aufgabe, die schon allein in bezug auf die Baumasse doch eine andere Dimension aber irgendwo lasten die himmelblauen Schatten bis heute auf diesem Projekt. Und dann ist da auch noch - quasi als der architektoni-schen Kleinform - der nicht unerhebliche Beitrag von Luigi Blau zum Wiener Stadtmobiliar, seine Straßenbahn-Wartehäuschen, seine Mistkübel, die zu den erfreulichen Erscheinungen dieses ansonsten höchst unerfreulichen städtischen Terrains zählen.

Man kann die Arbeit dieses Architekten jedenfalls generell als etwas charakterisieren, was im besten Wortsinn in der Wiener Historie verankert ist: von einer gewissen städtischen Eleganz geprägt, auch von zurückhaltender, aber unübersehbarer Kultiviertheit, reich an Zwischentönen, dabei bar jeder Beliebigkeit - und immer auch am Zweck, an der Nutzung orientiert. Wohnen? Dazu braucht es architektonisch nicht einmal besonders viel: Grundlegende Regeln müssen eingehalten werden, der Rest ist räumlich-atmosphärischer Natur.

Das gilt auch für die Renovierung und den Zubau eines Einfamilienhauses in Wien-Währing, den Luigi Blau kürzlich fertiggestellt hat. Es ist ein typisches Wiener Biedermeierhaus mit schmalem Vorgarten an der Straße, gelegen in einem der noblen, durchgrünten Randbezirke von Wien.

Das Grundstück hinter dem Haus fällt recht steil ab - was für den Zubau seine Folgen hatte. Aber bleiben wir erst noch beim Altbau: Blau hat ihn nach denkmalpflegerischen Gesichtspunkten sehr liebevoll saniert und nur insofern auch architektonische Maßnahmen gesetzt, als ein neuer Keller mit Zugang zur Garage nötig war. Von der Nutzung her sind nun im Altbau eine Einliegerwohnung zu ebener Erde untergebracht und im Obergeschoß drei Kinderzimmer mit einer eigenen Naßgruppe.

Von der Straße aus sieht man den Zubau von Luigi Blau gar nicht. Er liegt hinter dem Haus, und die Nahtstelle zwischen Alt und Neu hat der Architekt wie einen Reißverschluß, als vertikales Glasband kenntlich gemacht. Natürlich spricht dieser Zubau architektonisch eine andere, eine zeitgemäße Sprache. Aber man muß auch sagen: Blau hat den Konfrontationskurs nicht absichtsvoll gesucht, er fügt dem vorhandenen Satzbau seine Formulierung eher diskret an, unterspielt, ganz so, als ob er es eigentlich nicht nötig hätte aufzutrumpfen. Und man muß sagen: Er hat es wirklich nicht nötig.

Auf den ersten Blick ist klar, worum es hier geht: erstens um die minutiöse Komposition des Anbaus auf dem Hang - und zweitens um einen Wohnraum, der einiges zu bieten hat. Etwa eine wintergartenähnliche, zweigeschoßige Verglasung, von der man auch schon außen vermutet, daß sie drinnen für sehr angenehme räumliche Verhältnisse sorgt; auch eine direkte Anbindung des Obergeschoßes an das steile Terrain, sodaß aus der Not eine höchst angenehme Tugend wird.

Der Wohnraum ist teilweise zweigeschoßig, wunderbar tagesbelichtet und durch den Verlauf der Treppe mit eingeschobenem Zwischenpodest und das teilweise galerieartige Obergeschoß in unterschiedlich hohe Bereiche differenziert. Das führt dazu, daß zum Beispiel der Eßplatz - unter dem Zwischenpodest gelegen - mit einer relativ niedrigen Raumhöhe auskommt, während man im Bereich der zweigeschoßigen Verglasung die volle, die doppelte Raumhöhe hat. Funktionell ist natürlich alles bedacht: im Erd- geschoß etwa die Verbindung zur Küche, auch im Obergeschoß, wo sich ein Gartenzimmer über eine große Terrassentüre direkt ins Freie, auf den hinter dem Haus liegenden Hang öffnet.

Luigi Blau hat besonders darauf geachtet, daß die Anbindung des Neubaus an den Altbau niveaugleich erfolgt. Das Elternschlafzimmer, im Obergeschoß Richtung Altbau gelegen, befindet sich also auf der gleichen Ebene wie die Kinderzimmer. Andererseits macht die Komposition des Zubaus auf den Hang gewisse Terrainsprünge im Haus unvermeidlich: Das ist allerdings reizvoll und teilt sich als Qualität mit. Genauso wie auch die unterschiedlichen Raumhöhen eine Qualität darstellen, denn sie sorgen für differenzierte atmosphärische Bereiche im Haus, für Intimität, aber auch für Großzügigkeit. Übrigens war es notwendig, das Gelände im unmittelbaren Vorfeld des Hauses, da, wo man von der Straße eintritt, ein wenig abzugraben, um zumindest eine relativ ebene Hoffläche zu erhalten. Ein neu angelegter Weg führt dann den Hang hinauf zu einem Schwimmbecken und einer kleinen Badehütte aus Holz. Hier, auf demhöchsten Punkt des Geländes, läßt sich ein wunderbarer Ausblick genießen.

Wie gesagt, generell hat Luigi Blau die Konfrontation mit dem Altbau nicht bewußt sucht, er hat sie keinesfalls überstrapaziert. Daher ist der Neubau in einer vergleichsweise konventionellen Technologie errichtet, in hochwärmedämmendem, 38 Zentimeter starkem Ziegelmauerwerk. Die weiß gestrichenen Holzbalkendecken drinnen treten im Obergeschoß auch außen sichtbar in Erscheinung. Die Wände sind weiß, auf dem Boden liegen im Erdgeschoß bruchrauhe Sollnhofer Platten, im Obergeschoß gebeizte Eichenparkette. Das heißt: Der Materialaufwand und die damit erzielten Effekte bewegen sich durchwegs in den Grenzen gepflegter Wohnlichkeit. Nichts Überzogenes fällt auf, die architektonischen und gestalterischen Maßnahmen sind nicht Selbstzweck, sondern bilden den räumlichen Hintergrund für etwas, was sich jenseits von Architektur und Design ereignen muß, was von den Bewohnern selbst kommen muß.

Apropos Wohnen: Das ist vermutlich das Thema, um das Luigi Blaus Überlegungen besonders ausführlich kreisen. Und wenn an dieser Stelle ein kleiner Exkurs erlaubt ist, dann müßte man davon reden, daß es fast dazu gekommen wäre, daß Blau in seiner Arbeit einen Dimensionssprung geschafft und einen ganz anders gelagerten, einen urbanen Beitrag zumThema Wohnen umsetzt. Dabei wäre es um ein Appartementhotel in Favoriten gegangen, das rund 400 Wohneinheiten zu 30 und 54 Quadratmetern umfaßt hätte, außerdem Seminarräume, Büros und ein Café. Blaus Projekt erhielt im Sommer des vergangenen Jahres die Baugenehmigung, aber dann zog sich der Investor plötzlich und unvermutet zurück; so ist diese Arbeit wohl Makulatur.

Das ist natürlich sehr schade. Denn obwohl das Projekt die Blockbebauung der unmittelbaren Umgebung aufnimmt, hätte es mit seiner sorgsam komponierten Fassade und der signifikanten Sockelzone aus Abbruchziegeln sicher einen reizvollen Beitrag in dieser heterogenen Umgebung dargestellt. Und vor allem ist Luigi Blau bei diesem Projekt etwas geglückt: Er hat das Thema der Erschließung, des tristen Hotelkorridors, anders als üblich gelöst. In einem Appartementhotel steigen die Leute ja nicht nur tageweise ab, hier wohnt man länger. Daher war die Überlegung Blaus ganz richtig, daß der Weg zum Appartement in einem solchen Haus einen großen Stellenwert hat. Und er entwickelte eine verglaste, zweiseitige Laubengangerschließung, eine großzügige, luftige, tagesbelichtete Halle, die sicher ein optisches Spektakel gewesen wäre.

Man muß es wirklich bedauern, daß die Gelegenheit ungenutzt geblieben ist, von diesem Architekten auch einmal ein größeres Bauwerk in der Stadt zu haben. Ein spekulativer Investor gibt auf - und schon verschwindet ein interessantes Bauvorhaben sang- und klanglos in irgendwelchen Schubladen. Man muß aber auch anmerken, daß dieser Vorwurf nicht allein den anonymen Investor trifft. Die Arbeit von Luigi Blau vor Augen, seine Auseinandersetzung mit der „Behausungsfrage“, kommt man nicht umhin, Richtung Stadt Wien, Richtung Wohnbauträger zu schielen und darüber zu sinnieren, wieso im Wohnbau eigentlich immer wieder drittklassige Architekten zum Zug kommen, während die erste Garnitur unbeschäftigt bleibt. Aber auf diese Frage gibt es wohl keine überzeugende Antwort.

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