Bauwerk

Haus P.
PAUHOF - Gramastetten (A) - 1996
Haus P., Foto: Paul Giuliani

Mit dem Hang und quer dazu

Schweben als Paradigma: Bei einem privaten Wohnhaus, dem Landhaus P. in Gramastetten, Oberösterreich, führen PAUHOF die Praxis ihrer Entwurfsmethode vor - ein architektonisches Manifest.

1. Juni 1996 - Margit Ulama
Immer wieder schafft ein Jahrzehnt seinen eigenen kulturellen Ausdruck, seine spezifischen Formen. Die architektonische Tendenz der neunziger Jahre ist unverkennbar. Auch wenn individuelle, konträre Ausdrucksformen, etwa von Hans Hollein oder Coop Himmelb( l)au, weiterbestehen - die Tendenz zur Vereinfachung bildet derzeit die breite Ausrichtung von Architekten. Abstrakte Entwurfsmethodiken knüpfen an jene der klassischen Moderne an. Formten damals die technologischen Errungenschaften die Basis für die ästhetischen Neuerungen, so entwickeln Architekten heute die Kompositionsweisen auf oft spielerische, subjektive, manchmal zum Manierismus neigende Weise weiter.

Allgemeiner Hintergrund ist der Minimalismus der deutschschweizerischen Tendenza; gleichzeitig ortet man eine Gegenreaktion zu früherer Geschichtsbezogenheit oder Expressivität. In diesem Sinn distanzieren sich Florian Riegler & Roger Riewe von der Dominanz der Grazer Schule, und in Wien wendete sich Adolf Krischanitz nach eigenen geschichtsreferentiellen Anfängen einer reduzierteren Formensprache zu. Michael Hofstätter & Wolfgang Pauzenberger operieren hingegen seit dem Beginn ihrer Zusammenarbeit Mitte der achtziger Jahre mit abstrakten Elementen. Ihr methodischer Ansatz baut sich logisch auf und wird besonders deutlich im Vergleich ihrer Kunstobjekte und Architekturentwürfe. Im jetzt realisierten Landhaus in Gramastetten erkennt man aber auch spezifisch architektonische Qualitäten. In den letzten Jahren hat sich das Gebiet um den Pöstlingberg nördlich von Linz, in der hügeligen Landschaft des Mühlviertels, immer stärker zum Wohngebiet der Städter entwickelt. Anspruchsvolle Architektur findet man äußerst selten. Lois Welzenbachers Haus Rosenbauer auf dem Pöstlingberg von 1930 scheint vergessen, obwohl es, wie auch das Landhaus Gamerith am Attersee von E. A. Plischke, laut Friedrich Achleitner zu den schönsten Beispielen eines „Bauens in der Landschaft“ zählt. Akzeptanz durch die Fachwelt und gängige Praxis stehen einander aber auch hier diametral gegenüber. In seinem Architekturführer konstatierte Achleitner vor mehr als zehn Jahren, daß das Haus von Plischke heute kaum mehr eine Chance hätte, „ein behördliches Genehmigungsverfahren durchzustehen“. Am mangelnden Verständnis für die Moderne hat sich bisher wenig geändert.

So wurde auch der Entwurf für das Landhaus P. beim zweiten Versuch eher zufällig genehmigt. Dabei zeigt es sich als Fremdkörper nur im Kontext der umliegenden Bebauung, nicht in bezug zur Landschaft. Mit einer weit ausgreifenden, einen Gartenhof begrenzenden Betonmauer folgt es den Schichtenlinien des Hanges, der auf der anderen Hausseite abfällt. Diese an Entwürfe von Mies van der Rohe erinnernde, über den Bau hinauslaufende Fläche fügt das Haus in die Landschaft ein. Über dem niederen Baukörper schwebt dann, quer dazu, ein zweiter, unabhängiger. In diesen beiden Bewegungen - einerseits mit dem Hang, andererseits quer zu diesem - interpretiert das Landhaus die Landschaft auf abstrakte Weise und ist darin dem Welzenbacherschen Bau wohl nicht zufällig ähnlich.

Das von PAUHOF zum allgemeinen Prinzip erhobene Komponieren mit Volumen, Flächen und linearen Elementen, das ohne Ornamentik und Symbolik, ohne Motive und insbesondere ohne Satteldach auskommt, wurde am Beginn dieses Jahrhunderts begründet. Als zentrales Paradigma galt dabei das Schweben der Architektur. Voraussetzung dafür waren neue Technologien, mittels deren man das traditionelle Lasten schwerer Gebäudeteile aufheben konnte.

Einerseits wurden Elemente eines Bauwerkes durch die groß-zügige Verwendung von Glasflä-chen oder spiegelnden Oberflä-chen, wie man sie bei Bauten von Mies sieht, entmaterialisiert und scheinbar gewichtslos, andererseits konnte ein Baukörper auf Grund neuer konstruktiver Möglichkeiten tatsächlich über dem Boden schweben - wie zum Beispiel die Villa Savoye von Le Corbusier.

Das Schweben als Paradigma der Architektur reflektieren PAUHOF in ihren Entwürfen immer wieder. Doch während in der Moderne zumeist das Eigengewicht ästhetisch aufgehoben wurde und nur in wenigen konstruktivistischen Projekten tatsächlich schwere Gebäudeteile schwebten, gehen Hofstätter & Pauzenberger häufig an die Grenzen des Möglichen, machen sie Architektur zum Wagnis. Dies praktizierten sie auch bei Objekten. Im Rahmen der Ausstellung „Raumkult“ 1989 in Linz hingen drei quadratische Betonplatten, zwei Meter lang und drei Zentimeter dick, vertikal an Schnüren von der Decke, ihr Gewicht völlig negierend. Dann, bei der Ausstellung „Application & Implication“ in Grenoble 1993, wurde vor der Präsentationswand ein rechteckiges, fünf Meter langes Gummiobjekt scheinbar von einer zarten Metallplatte an einem Ende getragen. Das Schweben des schweren Objekts wurde auch hier zum riskanten Unternehmen, es irritierte die Wahrnehmung.

Dieser Topos auch etlicher anderer PAUHOFscher Entwürfe wurde nun zum ersten Mal realisiert. Kaum merkbar abgehoben, liegt ein schwerer, metallverkleideter Quader auf dem darunterliegenden Bauteil, nur mit einem Glasschlitz dazwischen. Außen führt dieser schmale Glasstreifen somit ein paradoxes Lasten vor, innen provoziert er eine besondere Räumlichkeit im Wohn- und Eßbereich. Die tatsächlichen konstruktiven Verhältnisse sind verborgen, denn jede Seitenwand setzt sich aus einem Stahlfachwerk zusammen, das an einem aufragenden vertikalen Betonelement hängt. Diese Verankerung wird nun durch die Wärmedämmung und die Metallverkleidung verdeckt. So soll hier nicht die „konstruktive Wahrheit“ vor Augen geführt werden, sondern der Effekt mi-nimalistischen Schwebens.

Während sich der Kubus in Ostwestrichtung zur Landschaft öffnet, ist das Wohngeschoß südseitig zu dem durch die ausgreifende Betonmauer geschützten Hof in verglast. Im Gegensatz zum einfach in Schlafräume geteilten Obergeschoß konstituiert sich der Bereich darunter in der vielfältigen Differenzierung -der Wegführung, des Ausblicks, des Lichts, der Raumhöhen und Materialien.

Außen karg, entfaltet das Haus innen seine räumliche Vielfalt und knüpft auch in der durch Stufen und Treppe definierten spiralförmigen Bewegung an eine spezifische Tradition an: Loossche Ideen werden auf völlig neue Weise interpretiert. Zusätzlich wird die Bewegung in der Längsrichtung quasi gestoppt durch eine in der Querrichtung, also durch Stufen, durch die der Wohnraum tiefer liegt als der Eßbereich. Durch die Lage der Box entstehen besondere Raumzonen: ein Vordach an der Eingangsseite des Hauses (also eines ohne Motivik) sowie an der verglasten Südseite, eine Nische im Wohnraum mit geringerer Raumhöhe.

Da der Quader konsequent als eigener Körper behandelt ist, zieht sich die Metallverkleidung an der Unterseite weiter und bildet hier auf extravagante Weise die Deckenverkleidung des Wohn-/Eßbereichs. Im übrigen steht das technoide Äußere jedoch im Gegensatz zum beinahe gediegen wirkenden Innenausbau, der im Bereich der Garconnière bereits fertiggestellt ist.

Aufgeschlossenheit und Engagement bilden die Grundlage für die Realisierung dieses nüchternen, konstruktiv anspruchsvollen Baus. Nicht nur das Stahlfachwerk der schwebenden Box, auch die langen, im Garten vorgefertigten Betonteile, die im Erdgeschoß dem Mauerwerk samt Wärmedämmung vorgeblendet sind, konnten nur mit großem technischen Geschick ausgeführt werden. An der Realisierung des Hauses beteiligte sich auf entscheidende Weise Josef Hofstätter, dessen ebenfalls von PAUHOF entworfene Metallwerkstätte vor wenigen Jahren in unmittelbarer Nähe im Selbstbau entstanden ist. In der aktuellen Architekturdiskussion zum Thema „Box“ oder „Kiste“ wird manchmal vergessen, daß PAUHOF dabei eine zentrale Rolle einnehmen. Stringenz und Sinnlichkeit des Entwurfs kann man jetzt beim Landhaus P. in der Realität erleben.

Bei den unterschiedlichen Projekten von PAUHOF findet man immer wieder einen spezifischen „Sprachton“. Dabei setzt sich die architektonische Syntax jeweils aus ähnlichen Elementen zusammen, zum Beispiel taucht das flache, rechteckige Element mit einigen im Quadrat angeordneten runden Löchern als raumübergreifendes Dachelement beim Expo-Pavillon in Sevilla 1992, als schwarzes Gummiobjekt in Grenoble oder als Treppenbrüstung im Landhaus P. auf. Trotz ihrer ästhetischen Konsequenz haben Hofstätter & Pauzenberger nach der Metallwerkstätte in Gramastetten auch diesmal ein lebendiges, sensibel reagierendes Bauwerk realisiert.

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Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Familie Pramer
Hans Jörg Pramer

Tragwerksplanung

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