Bauwerk

Raiffeisenbank Satteins
Gohm Hiessberger Architekten - Satteins (A) - 1996
Raiffeisenbank Satteins, Foto: Margherita Spiluttini

Doppelschwung mit Augenmaß

Noch rümpft man im Vorarlberger Dorf Satteins die Nase über die neue Bankfiliale von Markus Gohm und Ulf Hiessberger. An die klare architektonische Sprache dieses Musterbaus wird man sich aber noch gewöhnen.

15. Februar 1997 - Liesbeth Waechter-Böhm
Die Bewohner von Satteins in Vorarlberg erleben in jüngster Zeit so ihre Überraschungen. Denn neuerdings hält die zeitgenössische Architektur Einzug in ihrem Dorf. Erst wurde eine kleine Siedlung von Rudolf Wäger gebaut, dann haben Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle ein Pfarrheim errichtet, das mit seinem massiven Bibliotheksturm und der rundum verglasten „Schachtel“ des Veranstaltungssaals auch nicht gerade gängigen Vorstellungen von „Dorf“ entspricht; und jetzt - sogar Sichtbeton, pur und nüchtern, und das an der Fassade eines kleinen, aber solitären Bauwerks, das unmittelbar vis-à-vis vom Gasthof steht. Es handelt sich um ein Bankgebäude mit drei Wohnungen im Obergeschoß, das die Architekten Markus Gohm und Ulf Hiessberger geplant haben. Und es handelt sich um ein wirklich bemerkenswertes, vielschichtiges, dabei maßstäblich richtiges Statement zeitgenössischer Architektur.

Wie das Haus an der Straße steht, daran ist nichts zu kritisieren: Es fügt sich in die Bauflucht der vorhandenen Bebauung ein, und es orientiert sich in der Gebäudehöhe an den umliegenden Häusern. Und wenn man in der Bank drinnen ist, dann merkt man auch, daß hier vielfältige Sichtbezüge aufgenommen wurden: Durch das lange, bündig in der Fassade sitzende Glasband der Straßenseite in Sichtbeton kann man hinüber zum Gasthaus schauen, durch eine große Verglasung an der Schmalseite des Baus sieht man weit in den Straßenraum hinein, bis zu einer kleinen Kapelle.

Das Haus wurde von der Raiffeisenbank errichtet und war ursprünglich Gegenstand eines Wettbewerbs. Damals sollten auch noch Teile der Gemeindeverwaltung in diesem Neubau untergebracht werden. Aber die Gemeinde besitzt das Grundstück gleich hinter dem jetzigen Neubau und hat im Anschluß an den Wettbewerb überlegt, selbst etwas zu bauen. Also mußte das Wettbewerbsprojekt unter der Vorgabe eines verminderten Raumprogramms überarbeitet werden.

Das gebaute Resultat dieser Überarbeitung steht jetzt da, wiewohl sich auch daran zu einem relativ späten Zeitpunkt etwas geändert hat. Denn eigentlich war im Obergeschoß nur gartenseitig an eine Wohnung gedacht, während zur Straße hin Büros errichtet werden sollten.

Die Architekten mußten ein relativ dichtes Raumprogramm in ihrem relativ kleinen Baukörper unterbringen. Aber dieses Problem haben sie mit Raffinesse gelöst: Hinter dem Haus wurde das Gelände großflächig abgegraben, sodaß der Schulungsraum im Untergeschoß natürlich belichtet ist und sich atmosphärisch sogar ins Freie, in den gekiesten, durch seitliche Sichtbetonwände und eine begrünte Böschung begrenzten Hof, in eine Art „Zimmer im Freien“ fortsetzt. Dieser Freibereich ist als ein höchst artifizieller Raum ausgebildet, zwar von angenehmer Großzügigkeit, aber demonstrativ künstlich: Abgesehen von der Begrünung der Böschung wächst hier nichts, und dieser Ausdruck besagt klar und deutlich, daß es eben nicht um die Schaffung eines Naturraums gegangen ist, sondern um eine Erweiterung des Gebäudes ins Freie.

Das Haus beherbergt also zu ebener Erde die Bank mit Büros an der Gartenseite, im Untergeschoß, unter dem Eingangsbereich, den Tresorraum, straßenseitig Technik- und Nebenräume, gartenseitig eine Teeküche und den Schulungsraum; und im Obergeschoß, halbgeschoßig versetzt, drei Wohnungen.

Aber bleiben wir noch an der Gartenseite. Wenn man hinter dem Haus steht, erkennt man das architektonische Verhaltensmuster von Markus Gohm und Ulf Hiessberger nämlich besonders gut: Es geht um ein Denken in Schichten, um die Staffelung differenzierter Volumina. Einerseits scheint das ganze Haus über dem Boden zu schweben, durch eine Verglasung setzt sich der straßenseitige Baukörper außerdem ein wenig ab; links und rechts geben zwei kleine Volumina mit Bruchstein-Mauerwerk an der Fassade der Gartenschicht einen stabilen Rahmen; und dazwischen ist eine vom Gebäude fast abgelöste Raumschicht mit Balkonen eingeschoben. - Obendrein ist die Ausführungsqualität etwa der Beton- und der Schlosserarbeiten sowie des Bruchstein-Mauerwerks beeindruckend. Der Sichtbeton wurde zum Beispiel durchwegs ortbetoniert, was selbst Architektenkollegen nicht glauben wollten, die das Haus besichtigten und meinten, diese Oberflächenqualität sei an Ort und Stelle nicht zu erzielen.

Der Stein für das Bruchstein-Mauerwerk stammt von einem nahe gelegenen Steinbruch in Rankweil. Er wurde am Felsen ausgesucht. Und in der Ausschreibung haben die Architekten explizit gefordert, daß dieses Mauerwerk von einem einzigen Arbeiter ausgeführt werden müsse, damit es nicht zu einer unterschiedlichen Handschriftlichkeit komme.

Und was der ortsansässige Schlosser wirklich kann, das sieht man in der Eingangszone der Bank. Hier wurde nämlich ein Warmluft-Schleier installiert, und das hatte nicht gerade kleine Gerätschaften an der Decke zur Folge. Mit der ursprünglich vorgesehenen Gipskarton-Vorsatzschale war dieses Problem also nicht zu lösen, eine „Notlösung“ war nötig. Sie schwingt sich jetzt mit elegantem Doppelschwung über den Eingang bis in den Schalterraum hinein, silbrig schimmernd, und keiner ahnt, daß hinter der Abdeckung aus Aluminiumrohren eine vom Schlosser sozusagen „freihändig“ gebogene Unterkonstruktion aus Stahl von der Decke abgehängt ist. Die Kurven des Doppelschwungs wurden tatsächlich nach Augenmaß gefertigt, das Ergebnis ist aber eine schöne Geste des Empfangs.

In der Bank selbst macht sich die Transparenz des Bauwerks angenehm bemerkbar. Wenn man vor dem langen, dunkelroten Pult der Schalter steht, sieht man durch die verglaste Trennwand der Bürozone dahinter durch bis an die Gartenseite, man genießt die Ausblicke in den Straßenraum, auf das Dorf.

Die Innenausstattung ist von zurückhaltender Noblesse. Auf dem Boden: ein grobkörniger Terrazzo, der farblich durch schwarze Zuschlagsteine dominiert wird. Nur im Schalterbereich und in den Büros, also dort, wo sich die Angestellten den ganzen Tag aufhalten, wurde ein schwarzgrauer Teppichboden verlegt.

Allerdings geht der Terrazzo unter dem Pult und dem Teppichboden durch. Mit dieser Maßnahme wurde einer ungewissen Bankenzukunft Rechnung getragen, in der die Angestellten und Pulte möglicherweise überhaupt verschwinden und nur noch Maschinen diese Arbeit tun.

Eine konstruktive Besonderheit gibt sich - indirekt - zu erkennen: Zwischen der Kundenzone und dem Bereich, in dem sich die Angestellten aufhalten, haben die Architekten die Raumhöhe differenziert. Eineinhalb Geschoße ist der eine Bereich hoch, normale Raumhöhe hat der andere, weil hier ein mächtiger Stahlbetonträger, auf dem die Decken aufliegen, für einen stützenfreien Raum sorgt.

Das hat auch Auswirkungen auf die Wohnungen darüber, die um dieses halbe Geschoß versetzt sind und durch diesen Höhensprung ein südseitiges Fensterband erlauben, das auch denen, die zur Straße hinaus wohnen, noch etwas von der schönen Aussicht und der Sonne bringt.

Es ist ein sehr sorgfältig geplantes Haus, das spürt man bis ins Detail. Wenn zum Beispiel Holz verwendet wird, dann wird eindeutig zwischen dem Holz des Mobiliars und jenem, das zum Bau gehört, unterschieden. Letzteres ist harte Eiche, ersteres feine Birke. Die Architekten haben daraus höchst schlichte Einbauschränke entworfen, ansonsten sind die Büros mit einem geradezu klassischen Möbelprogramm in Schwarz und Chrom ausgestattet. Und Eiche findet man hauptsächlich bei den Fenstern und als Anleimer bei den mit Linol belegten Türen.

Amüsantes Detail: An der Gartenseite haben Gohm und Hiessberger - nicht unten im Hof, sondern auf Geländeniveau - einen einzelnen Baum gepflanzt, eine Eiche, denn der Gärtner war der Meinung, der Natur müsse das verbrauchte Eichenholz wieder rückerstattet werden.

Eine Kleinigkeit wäre vielleicht zu kritisieren: Im Schulungsraum haben die Architekten keinerlei akustische Maßnahmen ergriffen (es gibt also auch keine Akustikdecke), und das macht sich jetzt durch ein wenig Hall bemerkbar.

Natürlich reiben sich die Dorfgeister an dieser Bank. Natürlich muß man sich an diese architektonische Sprache erst gewöhnen. Aber der Zeitpunkt, da man auf dieses kleine Gebäude stolz sein wird, ist abzusehen. Und diesen Stolz darf man auch dem Bauherrn empfehlen, denn damit ist die Raiffeisen-Landesorganisation Vorarlberg, die nach einer bemerkenswerten Filiale in Bregenz (von Baumschlager & Eberle) nun schon den zweiten Musterbau realisiert, ihren Schwesterorganisationen in den anderen Bundesländern wirklich haushoch überlegen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Raiffeisenbank Frastanz-Satteins

Tragwerksplanung

Fotografie